Anele - Der Winter ist kalt in Afrika. Marian Liebknecht. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marian Liebknecht
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847634409
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und ich uns sehen. Es ist zwischen uns einfach zu viel Porzellan zerschlagen worden, zumindest auf meiner Seite, als dass man sich dann treffen könnte und ein wenig Smalltalk betreibt, als ob nichts gewesen wäre. Solltest du den Kontakt mit deiner Mutter jetzt wieder intensiver pflegen, kannst du sie nächstes Mal ja fragen, was das Ganze soll.“ Philipp sagte das, weil er genau wusste, dass Julia in den letzten Jahren so gut wie keinen Kontakt zu Sarah gehabt hatte. „Ich sehe jedenfalls keinen Grund, mich mit ihr zu treffen.“ Beim letzten Satz glaubte Philipp, ein leichtes Stechen in seiner Brust zu fühlen, wie er es seit der Zeit der Scheidung nicht mehr gespürt hatte. Damals hätte er alles dafür gegeben, einmal mit Sarah vernünftig reden zu können, um die Katastrophe abzuwenden.

      „Na gut, falls wir uns sehen, werde ich es ihr sagen. Aber reden könntest du doch mit ihr, oder?“

      Philipp wollte dazu nichts mehr sagen. Julia nahm die noch brutzelnde Pfanne von der Herdplatte und Vater und Tochter setzten sich an den Tisch zu einem reichlichen Frühstück mit allem, was dazugehörte. Für Philipp war es eine richtige Wohltat. Julia erzählte ihm noch hundert Dinge von Walter und ihrem Studium, diesmal, ohne dass er gleich "ausflippte“.

      Nachdem Julia gegangen war, blieb Philipp nachdenklich zurück. Die Mitteilung, dass Julia mit Sarah zusammen gewesen war und dass diese sich auch mit ihm treffen wollte, konnte er nicht richtig einordnen. Er legte sich aufs Bett, schloss die Augen und wie von selbst wanderten seine Gedanken zurück zu seiner Ehe mit Sarah.

      Sie hatten sich sehr jung kennen gelernt. Er war neunzehn gewesen und Sarah hatte gerade ihren achtzehnten Geburtstag gefeiert. Bei der Geburtstagsfeier eines Freundes waren sie einander vorgestellt worden, er war allein gekommen, sie mit irgend einem Typen, der andauernd unpassende Bemerkungen machte und um jeden Preis aufzufallen suchte. Philipp hatte Sarah, der an ihrer Begleitung offensichtlich nicht allzu viel lag, noch am selben Abend ins Herz geschlossen. Ihr helles, ungeniertes Lachen, die Art, wie sie sprach und wie sie sich bewegte, das alles fesselte ihn so unmittelbar, dass er sich Hals über Kopf in sie verliebte. Bei Sarah dauerte es zwar etwas länger, aber nach ein paar Verabredungen war für beide klar, dass sie ihre Zukunft gemeinsam gestalten wollten. Ein Jahr später heirateten sie und ein gutes halbes Jahr danach kam ihre Tochter Julia zur Welt, ein Kind, das ihr gemeinsames Glück vollkommen machte.

      Nur etwas fiel Sarah damals nicht ganz so leicht, nämlich, dass sie ihre gut bezahlte Arbeit in einer Versicherung aufgeben musste. Zudem hatte sie damals gerade gute Chancen gehabt, sich in ihrer Firma wesentlich zu verbessern, und zwar sowohl was die Stellung als auch was die Bezahlung betraf. Das Kind machte diesen Ambitionen ein plötzliches Ende. Sie fand sich aber schließlich damit ab und das Leben mit Julia bot ihr genügend Ersatz für die entgangenen beruflichen Chancen. Als Julia drei Jahre als war, begann sie wieder, in geringem Umfang zu arbeiten. Sie erledigte Schreibarbeiten für einen Rechtsanwalt, womit sie einen kleinen Teil zum Familieneinkommen beisteuerte.

      Je länger ihre Rolle als Mutter für sie die Hauptbeschäftigung bildete, desto deutlicher zeigte sich allerdings, dass es ihr schwer fiel, die finanzielle Abhängigkeit von Philipp, die damit verbunden war, zu ertragen. Obwohl Philipp sie diesen Umstand nicht spüren ließ, wuchsen damals die Spannungen in der Beziehung. Als Julia größer wurde, verstärkten sich Sarahs Ambitionen, aus ihrem Leben mehr zu machen. Nach etwa sieben Jahren Ehe teilte sie Philipp mit, dass sie studieren wolle. Philipp war darüber nicht erfreut, da er sich denken konnte, dass damit Stress für die ganze Familie verbunden war, aber er hatte auch nichts Grundsätzliches dagegen. Außerdem lag es nicht in seiner Natur, Sarah vorzuschreiben, was sie zu tun oder zu lassen hatte.

      Sarah übte ihre Teilzeitarbeit weiter aus, während sie im Studium gute Fortschritte machte. Die ganze Situation war aber gespannter als vorher, da sie die dreifache Belastung durch die Betreuung von Julia, ihre Arbeit und das Studium immer stärker spürte. Es ergab sich immer öfter, dass sie am Abend noch weg war, um mit ihren Kommilitonen zu lernen oder eine Arbeit zu schreiben, was dazu führte, dass Philipp die Aufgabe erbte, Julia zu betreuen und zu Bett zu bringen. Die Ablenkung Sarahs von ihren häuslichen Pflichten führte in regelmäßigen Abständen zu abendlichen Streitgesprächen, bei denen sie immer weniger Verständnis dafür aufbrachte, vor allem auf ihre Mutterrolle fixiert zu werden, was Philipp nicht akzeptieren konnte, da er sich zwar seinerseits sehr um Julia kümmerte, dies aber auch von seiner Frau erwartete.

      Dann passierte es, dass Sarah wieder schwanger wurde. Philipp freute sich anfangs darüber, merkte jedoch bald, dass Sarah seltsamer Weise dieses zweite Kind von Anfang an als großen Unglücksfall betrachtete. Ihm wurde klar, dass sie dieses Kind nicht haben wollte und er warf ihr Egoismus vor, erreichte damit aber nur, dass sich das Verhältnis zwischen ihm und seiner Frau zusehends verschlechterte. Damals hatte er das Gefühl kennengelernt, wie es war, wenn sein Glück ihm zwischen den Fingern zerrann und es nichts gab, was er dagegen tun konnte.

      Schließlich kam Sarah eines Abends nach Hause und war so müde und zerstört, dass sie kaum ansprechbar war. Von Philipp nach dem Grund gefragt, eröffnete sie ihm, dass sie ihr Baby abgetrieben hatte. Für Philipp brach damals eine Welt zusammen. Er konnte seine Frau und ihre Handlungen, die nur darauf ausgerichtet waren, ihre Ehe zu zerstören, nicht mehr verstehen. So oft er auch mit Sarah sprach, er erfuhr nichts darüber, warum sie so gehandelt hatte. Als sie schließlich die Scheidung verlangte, war dies für ihn der letzte, schwerste einer Reihe von Schlägen, die langsam, aber sicher sein Leben zerstört hatten. Das Seltsame daran war, dass er bis zum Schluss bei Sarah das unbestimmte Gefühl hatte, ihre Liebe wäre immer noch da. Um so unverständlicher erschien ihm deshalb auch ihr Handeln.

      Nach der Scheidung begann für Philipp eine sehr schwere Zeit. Im beiderseitigen Einvernehmen war festgelegt worden, dass Julia bei ihm bleiben sollte. Aber nicht die Verantwortung für die Erziehung seiner Tochter war die größte Schwierigkeit für ihn, sondern seine unverminderten Gefühle für Sarah. Sie verhinderten lange, dass er wieder zu sich finden und Freude empfinden konnte. Erst langsam, nachdem er erkannt hatte, dass er nicht aufhören würde sie zu lieben, begann er zu lernen, diesen Teil seines Wesens auf die Seite zu stellen, anderes wichtiger werden zu lassen, einfach weil er anders nicht mehr weiter machen konnte. Nur auf diese Art war es ihm auch gelungen, eine neue Beziehung aufzubauen, ohne dass seine Gefühle für Sarah ihm bei jedem Schritt im Weg waren. Aber wenngleich er das alles geschafft hatte, wusste er dennoch, dass dieser Schmerz jederzeit wieder aufbrechen konnte, und genau das war geschehen, als ihm Julia heute über ihr Treffen mit Sarah erzählt hatte und über deren Wunsch, ihn zu sehen. Er fürchtete ein Zusammentreffen mit ihr, doch auf gewisse Weise sehnte er sich danach.

      Das Klingeln des Telefons holte Philipp aus der Vergangenheit zurück in die Gegenwart. Er nahm den Hörer ab und Babsis Stimme drang ihm entgegen. Im ersten Moment fühlte er ein schlechtes Gewissen, da doch er sie hatte anrufen wollen. Seine Worte kamen deshalb etwas stockend, als ob er etwas zu verbergen hätte. „Hallo, Babsi, wie geht’s? Schön, dass du dich einmal meldest!“

      „Wenn ich darauf warten würde, dass du es tust, würd’ ich wahrscheinlich schwarz werden. Mir geht’s ganz gut, Danke! Und wie geht’s dir?“ sagte Babsi.

      „Danke, geht so. Ich hab‘ in letzter Zeit leider sehr viel zu tun gehabt, deshalb bin ich gar nicht dazu gekommen, mich bei dir zu melden. Wann sehen wir uns einmal?“ Als er sprach, hatte Philipp das Gefühl, dass er log, obwohl es, allgemein betrachtet, gar nicht so falsch war, was er sagte.

      „Wenn du willst, können wir uns morgen Abend sehen. Ich habe das Gefühl, wir sollten reden!“ Diese Aussage von Babsi verwirrte Philipp. War meinte sie mit diesem eigenartigen ,Wir sollten reden’? Er war es doch, der die Beziehung in Frage stellte und sich deshalb mit ihr aussprechen wollte. Aber war es im Grunde nicht besser, wenn das Gespräch von beiden Seiten aus demselben Blickwinkel geführt wurde?

      „Wenn du willst, können wir uns um sechs am Stephansplatz vor dem Haas-Haus treffen. Dann können wir noch immer entscheiden, wohin wir gehen“, sagte er nur.

      „Gut, treffen wir uns um sechs. Also dann, bis morgen, tschüss.“

      „Bis morgen dann, Wiedersehen, Babsi.“

      Als er aufgelegt hatte, bekam Philipp Angst vor seiner eigenen Courage. Bei wichtigen Entscheidungen