„Gut bemerkt“, bestätigte der Zwerg.
Reo hatte den Kommentar nur nebenbei wahrgenommen. Er war vielmehr besorgt, dass ihn etwas oder jemand beobachtete. Beweisen konnte er dies nicht, so viele Geräusche kamen aus dem auf beiden Seiten wie eine Mauer aufragenden dicht zugewachsenen Wald.
Glorfindel fuhr fort: „Wir müssen ab sofort vorsichtiger sein. Der Feind wacht hier. Ich spüre ihn. Das Böse ist hier stark gegenwärtig.“
Reo fühlte sich gerade besser trotz der schlechten Nachricht. Er war also nicht der einzige, der die Lage als gefährlich einschätzte.
Genauso schnell, aber nun aufmerksam nach jeglicher Gefahr suchend, bewegte sich die Truppe vorwärts. Der Weg schlängelte sich zickzackförmig durch den Dschungel.
Eine gute Stunde verstrich, doch nichts Besonderes ereignete sich.
Vom hellen Sonnenlicht erreichte immer weniger den Waldboden, da die Bäume immer grösser wurden, je tiefer sie in den Wald eindrangen.
Eine kurze Pause wurde einberufen, Sorgen wurden geäussert, dann ging es weiter. Immer tiefer in das Meer der Bäume.
Reo strich sich den Schweiss von der Stirn weg mit einem flauschigen Armband, das er an seinem linken Handgelenk befestigt hatte. Es war ungewöhnlich heiss, irgendetwas stimmte nicht mit diesem Wald.
Der mittelländische Krieger begann von einem Bett zu träumen. Wie schön wäre es doch, sich einfach nur zu entspannen! – Er nahm sich fest vor, dies tatsächlich zu tun, nachdem er von dieser Reise zurückkehren würde.
Glorfindel brach die Stille: „Ich spüre einen Ort starker Magie. Einen magischen Knotenpunkt. Einen Ort, wo die Magie von einer anderen Sphäre in die unsere Welt fliesst. – Das wäre ein sehr geeigneter Standpunkt für eine Festung, sofern magiebegabte Wesen sich der Diebesgilde angeschlossen haben. – Der Weg führt uns direkt zu diesem Ort.“
„Gut so!“, brummte der Zwerg Zurak. „Meine Axt hat schon zu lange geruht, sie möchte wieder geschwungen werden.“ -
Noch einige kurven des Wegen führte sie an blau leuchtenden Riesenpilzen und violett scheinenden buschartigen Gewächsen mit dicken Blättern vorbei, die in dem immer magischer werdenden Wald wie Unkraut an jeder Stelle hochschossen.
Reo erinnerte sich an die Erinnerung, welche er in Glorfindels Vergangenheit gesehen hatte. Es schauderte ihn. Angst attackierte ihn. Sollten die furchtbaren Pläne der Diebesgilde wahre Form annehmen?
„Wir sind hier!“, sagte der Elf. Doch Reo konnte noch nichts Besonderes ausmachen. Er sah nur, dass der Weg nun schnurgerade in eine Richtung führte, wo er verschwommen ein Licht erblickte. Wissend, dass Elfen sehr scharf sehen, fragte er:
„Was siehst du, Glorfindel?“
„Ein grosses Gebäude. Pyramidenförmig gebaut. Einige schwarz gekleidete Leute sind dort versammelt. Das Licht scheint vom Inneren der Pyramide her. – Aber ja, wir werden gleich dort sein.“
Reo liess nicht locker: „Sollten wir nicht eine Angriffsstrategie besprechen? Wir sollten den Überraschungseffekt nutzen, und schnell zuschlagen! Ich mit den Reitern voran…“
Glorfindel unterbrach: „Ich habe eine Strategie. Es gibt jemand, der uns helfen wird. Ohne IHN hätten wir gar nicht erst kommen müssen. Wir sind nicht mächtig genug, wenn ER nicht bei uns ist. – Zum Überraschungseffekt: Das würde nie klappen, wir werden erwartet. Seit wir den Wald betreten haben, werden wir begleitet und beobachtet.“
Nun lauschten auch alle anderen Abenteurer ebenfalls gespannt. – Sie hatten sich auf etwas Grösseres eingelassen, als sie sich vorgestellt hatten.
„Wer ist ER?“, fragte Reo neugierig. Er wunderte sich, wer ihn dieser verlassenen Gegend sie wohl finden würde, um ihnen zu helfen.
„ER ist sehr gross, kräftiger als du dir vorzustellen vermagst, und wird uns in Kürze treffen. Eigentlich ist er mächtig genug, um alleine die gesamte Diebesgilde zu vernichten. Obwohl, meine Hilfe kann er doch gut gebrauchen. Unser Schicksal ist aneinander gebunden. Seine Magie wird verstärkt durch meine Anwesenheit. Und meine Kraft hat sich ebenfalls um ein vielfaches Verstärkt wegen den vielen hundert Jahren, die wir gemeinsam waren. Du wirst ihn gleich sehen. Sein Name ist Selamar. Ich spüre, wie er sich mit höchster Geschwindigkeit uns nähert.“
Reo war verwundert. Er fragte: „Wenn dein Freund so stark ist, warum hast du uns dann alle mitgenommen. Das macht doch keinen Sinn!“
Der Elf wendete sich, blickte mit seinen funkelnden Augen direkt in Reos Augenpaar, und sagte: „Eine sehr gute Frage. Ich wundere mich auch. Irgendwie hatte ich vor Monaten das Gefühl, dass ich einen bestimmten Teil der Aufgabe nicht erledigen kann. Das Gefühl liess mich nicht los, daher suchte ich unter den Mittelländern nach den richtigen Leuten, um mich zu unterstützen. Ich suchte lange. Und nun habe ich genau die Leute zusammen, die das Schicksal mir zugespielt hat. Ich glaube ein jeder von euch wird einen grossen Unterschied bewirken auf eure eigene Art.“
Zurak tippte Reo auf die Schultern. „Schau!“
Reo folgte dem dicken Zwergenfinger mit seinem Blick, und erkannte hinter den magischen Gewächsen die klaren Umrisse von schwarzen Umhängen.
„Keine Angst, Herr Zwerg“, tröstete der Elf.
„Ich habe keine Angst!“, brummte Zurak. Doch sein bleiches Gesicht sagte etwas anderes aus.
Reo fragte den Elfen noch mehr Dinge, als sich eilends der Pyramide näherten. Ein unvorstellbar grosses Gebäude. Massiv und unverrückbar, hoch in den Himmel aufragend, durchlöchert mit vielen Licht aussendenden Eingängen, präsentierte sich der rote Steinbau den Abenteurern.
Die dunkel gekleideten Personen formierten sich sowohl auf dem Bau als auch um sie herum. Sie waren eingekreist.
Eine Person auf der Pyramide rief mit lauter Stimme:
„Was wollt ihr hier, Fremde? Habt ihr euch im Wald verirrt?“
„Nein, das haben wir nicht!“, antwortete Glorfindel.
„NIEMAND KENNT UNSERE GEHEIME STÄTTE. NIEMAND KOMMT HIERHER. WIE HABT IHR UNS GEFUNDEN?“
„DAS BLEIBT UNSER GEHEIMNIS!“, rief der Elf zurück.
Die Person schritt eine Treppe hernieder, welche geradlinig mitten zwischen den klobigen Steinblöcken eingemeisselt worden war. Ihm folgten einige seiner Gefolgsleute. Er sagte, immer leiser sprechend:
„Ihr wollt uns doch nicht etwa Widerstand leisten, nehme ich an, Elf?“
„Die Magie ist sehr stark hier, ich könnte euch grosse Schmerzen zufügen“, meinte Glorfindel.
Der Andere murmelte leise etwas, und blaue Blitze zuckten aus seinen Händen, in die Richtung des Waldes, wo vier Bäume zu Staub zerfielen. Kurze Stille. Dann meldete sich der in schwarz Gekleidete wieder:
„Das war nur eine Kostprobe unserer Macht. Auch unsere Magie ist stärker hier.“
Nicht gross beeindruckt blickte der Elf weiter unbeirrt auf den sich nähernden Schwarzmagier.
„Beeindruckend!“, sagte Glorfindel. Die Ironie im Tonfall war nicht zu überhören.
Der Schwarzmagier fuhr fort: „Wir hätten euch schon lange vor eurer Ankunft bei der Pyramide auslöschen können, doch wir sind uns Besucher nicht gewohnt, deshalb wollten wir euch einen kleinen Blick auf unser neu entstehendes Reich schenken, bevor wir euch erledigen.“
„Sehr nett“, antwortete Glorfindel kurz. Seine Feinde waren noch knappe zwanzig Meter von ihm entfernt, zu allen Seiten, wo sie wie hungrige Löwen warteten auf ein Zeichen des Angriffs.
Der Elf ergriff nun seinerseits das Wort: „Ich