MESSE
Während in Paris und New York halb verhungerte Models über den Laufsteg staksten, stand bei uns die „in fashion munich“ auf der Praterinsel vor der Tür – eine europäische Modemesse und Höhepunkt des Jahres für alle Modeinteressierten.
„K-Messe“ betreute dort nicht nur diverse Kunden, sondern war über eine gewonnene Ausschreibung auch bei der Vorbereitung am Gesamtkonzept intensiv beteiligt. Extravagante Labels und Designer aus den Bereichen Casual, Street Fashion und Dressed up beabsichtigten, dem Fachpublikum ihre neuesten Kollektionen zu präsentieren. Zu diesem Schauspiel gehörten natürlich ein in Szene gesetzter Catwalk und ein aufwändiges Drumherum.
Die Praterinsel, eine Insel in der Isar, wurde schon seit Langem den schönsten Veranstaltungsorten Münchens zugeordnet und gliederte sich zwischen dem Deutschen Museum und dem Maximilianeum ein. Das stilvolle Ambiente einer niveauvoll restaurierten alten Fabrikhalle mit einem prächtigen Innenhof und die zentrale Lage hatten bereits in der Vergangenheit die Lifestyle-Orientierten von nah und fern herbeigelockt.
Das prophezeite nicht nur, dass viel Arbeit auf Erledigung wartete – wir hatten Hochsaison von jetzt auf gleich. Nach meiner Einarbeitung und der bestandenen Probezeit wurde ich jetzt erstmalig richtig gefordert und ins kalte Wasser geworfen. Doch bei einem Großprojekt wie diesem mit dabei zu sein, war einfach gigantisch und machte wirklich Spaß. So brauchte es beispielsweise für den Accessoire-Bereich einige Stände, die ich eigenhändig mit entwarf. Und dass man mir als Frischling eine solche Chance bot, war keine Selbstverständlichkeit. Emsig machte ich mich ans Werk, und die Entwürfe bestachen bereits am Monitor in der zweidimensionalen Darstellung. Wie würden sie erst aussehen, wenn sie fertig gebaut waren?
Aber bis dahin war noch furchtbar viel zu tun. So galt es unter anderem dafür zu sorgen, dass sich eine Firma wie „Light & Sound“ an die Vorgaben hielt und einen guten Job ablieferte, denn die Ausleuchtung des ganzen Spektakels musste perfekt funktionieren. Für die Zeit vor und nach den Shows hatten wir eine Sängerin engagiert, die einen eigenen Raum für ihre Garderobe forderte, aber auch hier war eigentlich der Ton das A und O. Dann musste ich Lieferanten für die verschiedensten Materialien auftreiben, die für die Extras an den Ständen vorgesehen waren, und diese kurzfristig bestellen. Und, und, und.
Ein Rädchen griff ins andere, und alles passierte irgendwie gleichzeitig. Mir schwirrte der Kopf, während ich stundenlang mit einer Werbeagentur stritt, die es einfach nicht schaffte, den richtigen Farbton für die Plakatwände zu finden, oder mich mit den Sponsoren herumkabbelte, die trotz unterschriebener Verträge nach wie vor um jeden Cent feilschten.
Es gab also allerlei Nebenkriegsschauplätze, die dafür sorgten, dass es spannend blieb. Zwar wurden Überstunden geschoben und auch am Wochenende geschuftet, weswegen ich meine sozialen Kontakte auf ein Minimum reduzierte, aber die Vorfreude auf die bevorstehende Eröffnung tröstete mich schnell darüber hinweg.
Wie ich hörte, lief Helga für MARIMEKKO und seine finnischen Designer, die aufgrund ihrer Farbenpracht und ihrer stofflichen Vielfalt bereits im ganzen Land bekannt waren. Sie sollte dem Publikum die neueste Kollektion vorstellen und die Einzelanfertigungen progressiv-avantgardistischer Strömungen ankurbeln.
Es wäre gelogen, würde ich behaupten, dass mir das nichts ausmachte. Es machte mir nämlich etwas aus! Da nützte auch das Insiderwissen darüber nichts, dass ihr diese Ehre nur deshalb zuteilwurde, weil das vorgesehene Mannequin mit einem Magengeschwür in der Klinik lag und ihr Agent zu den Finnen einen guten Draht hatte. Natürlich wollte ich mir ihren Lauf nicht entgehen lassen, aber da war noch etwas anderes: Auch Mark würde da sein, sie sehen und ihre Schönheit kaum leugnen können.
Und nun war ich diejenige, die mit dem lähmenden Gefühl grenzenloser Eifersucht zu kämpfen hatte. Ein Gefühl, das unpassender nicht hätte sein können! Aber so sehr ich auch versuchte, dagegen anzukämpfen, es gelang mir nicht, meine Besorgnis unter den Teppich zu kehren. Doch Besorgnis weshalb? Weil ich neben Helga sichtbar schlechter abschnitt? Weil ich nicht halb so sexy war wie sie? Weil ich die Tricks nicht kannte, mit denen man die Leute verzauberte? Ganz genau – genau aus all diesen Gründen!
Die Tage vor Beginn der Messe arbeitete unsere Abteilung mit den Monteuren aus dem Rückgebäude vor Ort Hand in Hand auf Hochtouren, um die Umsetzung der Entwürfe in Echtgröße zu betreuen und da zu helfen, wo Not am Mann war. Das bedeutete: viel kalter Kaffee aus Pappbechern und haufenweise labbrige Wurst- oder Käsesemmeln. Selbst mein nicht besonders verwöhnter Magen, der sich hauptsächlich mit Fast Food auseinanderzusetzen pflegte, wehrte sich nach der dritten Semmel gegen diese Art von Nahrung.
Ansonsten gab es Arbeit, Arbeit, Arbeit, wir nahmen Maß, klebten Folien und kletterten auf Leitern herum. Obwohl man von uns erwartete, rund um die Uhr zu ackern, muss ich sagen, dass wir durchaus unseren Spaß hatten. Die Atmosphäre war weit gelassener als in den Büroräumen, und die Abwechslung tat uns allen gut – wenngleich ich Christoph nach wie vor aus dem Weg ging.
Die verschiedenen Aufgabengebiete und die große Fläche des Events veranlassten uns dazu, mehrere Teams zu bilden. Mark hingegen, der die „Oberaufsicht“ hatte, teilte sich auf und unterstützte in jedem Bereich. Lächerlicherweise vermisste ich ihn, sobald er aus meinem Sichtfeld verschwand. Deshalb freute es mich umso mehr, dass er regelmäßig vorbeischaute. Bevor er wieder abzog, tippte Mark sich mit einem vielsagenden Blick unauffällig an die Brusttasche, die eine Schachtel Zigaretten nur mühsam verbarg, um mir zu signalisieren, dass es Zeit für eine Zigarettenpause war.
Wenn wir dann so paffend beieinander standen, machte er Bemerkungen wie: „Blöd, dass ich nicht in deinem Team bin!“ Oder: „Jetzt haben wir uns schon eine halbe Stunde nicht gesehen!“ Das zeigte mir, dass er meine Nähe nicht zufällig suchte, was mich natürlich freute. Zwar war es mittlerweile keine große Überraschung mehr, dass Mark sich aus irgendeinem Grund zu mir hingezogen fühlte, aber die Selbstverständlichkeit, mit der er damit umging, gefiel mir trotzdem.
Es war großartig, dabei zu sein und zu erleben, wie aus den Miniaturmodellen reale Bauten wurden, deren Optik und Anmutung sich von allem unterschied, was ich je gesehen hatte.
Außerdem lernte ich Marion etwas besser kennen, einen weiteren Charakter in diesem Buch, den ich gerne näher beschreiben möchte, da sie auf ihre ganz eigene Art Teil meiner Geschichte wurde. Marion war eine Kollegin, die (nach ihrer Ausbildung zur Bürokauffrau plus einem Jahr Weltreise) überlegte umzuschulen, und darum bei „K-Messe“ ein achtmonatiges Praktikum absolvierte.
Bisher hatten wir nicht viel miteinander zu tun gehabt. Sie war um die 20 und verhielt sich meist sehr still, sodass man ihre Anwesenheit kaum bemerkte. Kam sie einem entgegen, machten ihre Schritte kaum ein Geräusch. Sie schwebte durchs Leben, war extrem schlank und lehnte kosmetische Hilfsmittel gänzlich ab. Ihre natürliche Ausstrahlung umhüllte sie, und ihre Wirkung auf Männer schien ihr völlig gleichgültig zu sein. Ein Kurzhaarschnitt umrandete ihr Gesicht, das eher kantig, aber dennoch sehr ausdrucksstark war. Sie gehörte zu den Menschen, die einem nicht schon in der ersten Minute ihr ganzes Leben aufs Auge drücken – im Gegenteil: Man konnte von Erfolg sprechen, wenn man überhaupt eine Antwort bekam.
Mit Marion ein Schwätzchen zu halten, war demnach anspruchsvoll, aber nicht unmöglich. Und nach ein paar Anlaufschwierigkeiten taute sie auf. Vorsichtig versuchte ich, sie aus der Reserve zu locken, und wurde bald mit zusammenhängenden Sätzen belohnt. Nach einiger Zeit schon unterhielten wir uns angetan, was von der teilweise körperlich schweren Arbeit ablenkte. Wir verstanden uns binnen kurzer Zeit sogar so gut, dass wir uns vornahmen, uns bald mal privat zu treffen.
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