Ruhelos stand ich auf und ging ins Bad. Dort ließ ich mir eine heiße Wanne ein. Versunken im Schaum, kam ich langsam ein wenig runter. Der Duft von Lavendel und die Wärme taten mir gut. Entspannt lehnte ich mich zurück, ignorierte das Buch, das ich schon seit Langem zu Ende lesen wollte, und versuchte nicht weiter nachzudenken. Leider funktionierte das nicht im Entferntesten so wie geplant. Für und Wider abwägend, sinnierte ich darüber, ob dieser Job das Richtige für mich sein konnte. Der Job war einfach perfekt, eine wirkliche Chance, meinen Lebenslauf gehörig aufzupeppen und einen riesigen Schritt auf der Karriereleiter nach oben zu steigen. Doch ob ich mich in Mark Engels Gegenwart wohl jemals würde konzentrieren können? War es tatsächlich eine so gute Idee, mich dieser Herausforderung zu stellen? Meinem Herz das zuzumuten? All diese Fragen und die Erinnerungen an das heutige Gespräch versetzten mein Hirn in einen absoluten Ausnahmezustand. Ich musste es irgendwie schaffen, all diese Gedanken beiseite zu schieben.
Aber dennoch: Es gab einen Mark Engel. Und ich fühlte mich magisch von diesem Mann angezogen. Dass ich Gefahr lief, mich ernsthaft in ihn zu verlieben, verweigerte meine Denke. So nahm ich bewusst oder unbewusst den Kampf gegen meine eigenen Gefühle auf.
Hätte ich mehr auf meine Antennen geachtet und mich selbst ein kleines bisschen realistischer eingeschätzt, wäre ich vielleicht nicht so dumm gewesen. Möglicherweise hätte ich es dann sogar eher in Erwägung gezogen, mich zur Bäckergehilfin umschulen zu lassen. Selbstüberschätzend ging ich stattdessen davon aus, dass ich gerade nur einen kleinen Hormonschub verspürt hatte, den man leicht wieder in den Griff bekam.
DIE FIRMA
Drei Wochen später fing ich bei „K-Messe“ an. Ich hatte es also geschafft und mir eine Position gesichert, von der andere ein Leben lang träumten! Obwohl ich noch nicht über allzu viel Erfahrung verfügte und außerdem eine Frau war, was in dieser Branche eine Art Seltenheitswert hat, gab man mir eine Chance. Eine neue Ära begann, und ich freute mich voller Stolz darauf.
Nicht nur mein Gehalt stimmte, sondern auch die neuen Kollegen waren in Ordnung. Durch die Bank alle sehr sympathisch. Wenn ich eine Frage hatte, standen sie mir hilfsbereit zur Seite, packten mit an und nahmen mir so meine anfängliche Unsicherheit. Ehrgeizig bemühte ich mich, von ihnen zu lernen und meinen Aufgaben gerecht zu werden. Fleiß sollte mir dabei helfen, nicht ständig an den Mann zu denken, der mich so durcheinandergebracht hatte und mein Herz nach wie vor Cha-Cha-Cha tanzen ließ.
Es war bedauerlicherweise nicht nur der erste Eindruck gewesen und auch nicht der zweite oder der dritte, der mich expressiv in eine Schieflage geleitet hatte. Nein – es hatte mich erwischt! Wie stark vermochte ich noch nicht zu sagen, aber mein Vorgesetzter machte mich irre, so viel stand fest! Und mich mit Arbeit abzulenken, klappte leider nur bedingt. Einerseits wurde ich dadurch zwar schnell zu einer produktiven Mitarbeiterin, andererseits blieb der gewünschte Effekt aus. Denn es gestaltete sich problematischer als angenommen, jemanden aus seinem Hirn zu katapultieren, dem man täglich über den Weg läuft.
Quer schoss dabei auch die Firmenpolitik, die vertraglich vorschrieb, sich intern gegenseitig mit den Vornamen anzusprechen – ein Umstand, der wenig förderlich war, wenn man eigentlich einen Sicherheitsabstand für besser hielt, aber was sollte ich tun?
Obwohl ich mich nach außen um Distanz bemühte, war es nicht von der Hand zu weisen, dass Mark mich mental über Gebühr in Beschlag nahm. Und meine Telefonkritzeleien bedurften wahrlich keiner psychologischen Deutung. Verträumt malte ich seinen Namen in den verschiedensten Varianten auf kleine Zettelchen, die ich schnell wieder zerknüllte und in den Müll warf, sobald ich realisierte, was ich da tat.
Nichtsdestotrotz passten unsere Initialen meiner Meinung nach gut zusammen. Aber egal! Spielte eh keine Rolle, durfte es ja auch gar nicht! Wie kam ich nur auf solchen Blödsinn? Das war der völlig falsche Ansatz! Doch ungeachtet dessen, dass Mark eine Frau hatte, deren Name bestimmt noch viel besser zu ihm passte als mein eigener, fand ich ihn toll und erlag seiner Anziehungskraft.
Keinesfalls wollte ich mich vor ihm blamieren oder zeigen, wenn ich mir an einem Projekt die Zähne ausbiss. Er sollte mich schließlich ernst nehmen und sehen, dass er sich richtig entschieden hatte, als er mir die Stelle gab. Dass mein Brustbereich in seiner Nähe häufig auffällig spannte, stand auf einem anderen Blatt.
Zu dieser Zeit hatte ich noch ein oder zwei Beziehungen am Start. (Oder waren es mehr?) Altes klang aus, und etwas noch Älteres machte nach wie vor keinen Sinn. Auch neuen Bekanntschaften gegenüber zeigte ich mich als moderne junge Frau nicht automatisch abgeneigt.
Das bedeutete allerdings nicht, dass ich leicht zu haben, wohl aber auf der Suche war und meinen Marktwert testete. Doch auch wenn ich mich mit verschiedenen Männern traf, hielt sich meine Begeisterung dabei meist in Grenzen. Ich war es leid, Kompromisslösungen einzugehen, und hatte es satt, jemandem tiefe Gefühle vorzugaukeln, bloß weil man sich gerade mal nett unterhielt.
So konsumierte ich seelische Streicheleinheiten oder hatte einfach nur Sex, ohne emotional viel zu investieren. Dabei brauchte ich weder das Kuscheln davor noch die Zigarette danach, wichtig allein war nur der Akt an sich. Ein flüchtiges Empfinden von Geborgenheit, wie bei einer Momentaufnahme. Damit sprengte ich zwar ein Klischee, aber ich hatte noch nie irgendeinem Stereotyp entsprochen.
Tatsächlich glaubte ich an die große Liebe und daran, dass der Blitz einschlug, wenn man seinem Seelenpartner begegnete. Darauf würde ich warten, und bis dahin musste ich mich gedanklich irgendwie von Mark lösen. Denn: Wer keinen Notstand hat, muss nachts auch nicht regelmäßig von seinem Chef träumen – ein Konzept, das für eine Weile recht passabel funktionierte. Aber eben nur für eine Weile.
Wie es dann weiter ging? Nun ja, zwischen Mark und mir entwickelte sich keine greifbare Annäherung, aber durchaus eine wachsende Sympathie. In dem Bewusstsein, einen verheirateten Mann vor mir zu haben, der noch dazu ein Kind mit langen blonden Zöpfen hatte, hielt ich mich pflichtbewusst an die Regeln.
Darum bemüht, meine anstößigen Denkinhalte, die ich seit dem ersten Aufeinandertreffen hatte, zu unterdrücken, verdrängte ich die Bilder unserer kopulierenden Körper aus meinem Schädel, auch wenn ich rund um die Uhr grübelte, wie alt er tatsächlich sein mochte. Und ja, ich kochte ihm Kaffee, kaufte Mittagessen oder half mit Zigaretten aus, aber mehr war da nicht. Ich erledigte quasi den Job einer durchschnittlichen Sekretärin, obgleich das nicht Inhalt der Stellenbeschreibung gewesen war.
Ambivalent wog ich immer wieder ab, ob ich wirklich auf ihn abfuhr oder ihn vielleicht nur sehr gern hatte. Vermutlich ein bisschen von beidem. In jedem Fall wollte ich ihm etwas Gutes tun, und da mir unter den gegebenen Umständen ein Blow-Job verwehrt blieb, waren die Möglichkeiten eben begrenzt.
Irgendwie wünschte ich mir, Mark danken zu können, denn er leitete sein Team praktisch mustergültig und tat beinahe alles für seine Abteilung. Bei neuen Projekten hatte er stets die Muße, uns alles haarklein zu erklären, stärkte uns im Ablauf mit Rat und Tat, war nie genervt und nahm es mit Humor, wenn mal was daneben ging. Er sprang selbst dann schützend vor uns, wenn alle Fakten gegen uns sprachen, und riskierte lieber seinen eigenen Hals, als Andere hinzuhängen. Schoss einer einen Bock, setzte er sich stellvertretend mit unserer Chefin auseinander, die in der Tat nicht sehr umgänglich war.
Gerade wenn Gerlinde Sackser, die übertakelte Dekoschnecke und Inhaberin der Firma, ihn zur Rechenschaft zog, brüllte er ungehalten so lange zurück, bis sie sich wieder beruhigte und einlenkte. Allein dafür verdiente er einen Orden!
Und Gerlinde, die mit ihren Wechseljahren kämpfte, hatte sich bisweilen nicht besonders im Griff. Sie gehörte zu den Menschen, die ihre schlechte Laune – am schlimmsten war es montags – pauschal an ihren Angestellten ausließen.
In ihrer Gegenwart lief plötzlich jeder wie auf rohen Eiern. Betrat sie den Raum, wurde ich sofort flatterig und merkte, dass mir die Angst den Nacken hinaufkroch – und das völlig ohne Grund. (Wie in der U-Bahn: Selbst wenn ich wusste,