Das Seelenkarussell - Band 1 - Vera. Andreas Loos Hermann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andreas Loos Hermann
Издательство: Bookwire
Серия: Das Seelenkarussell
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742778994
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Veränderung der Siedlungsstrukturen. Er schwärmte von neuen menschenfreundlichen Städten, die gar nicht mehr wie Städte aussahen, sondern mehr eine Ansammlung von Dörfern waren, vom Leben auf dem Land und von einer neuen umweltfreundlicheren Lebensweise für alle Menschen.

      Vera konnte ihm stundenlang zuhören, wenn er seine Theorien erzählte, aber irgendwie fühlte sie, dass sie so nicht leben könnte und es auch gar nicht wollte. Sie brauchte die Stadt und die Menschen um sich. Ohne Gesellschaftsleben würde sie verkümmern, da war sie sich sicher.

      In dieser Zeit war alles noch irgendwie unbestimmt und unwirklich. Sie konnte eine feste Beziehung zu Andi haben. Gleichzeitig verpflichtete Andi sie zu nichts. Beide studierten und keiner dachte an die Zeit nach dem Studium.

      Vera hatte bisher so vor sich hin studiert. Sie war nicht gerade schlecht gewesen, hatte sich aber auch nicht sehr angestrengt. Sie hatte lieber die angenehmen Seiten des Studentenlebens genossen. Langsam wollte sie aber beweisen, dass sie genauso gut war, wie Andi, der fast alle Prüfungen mit „Sehr Gut“ bestand. Sie begann so richtig zu strebern, was sie vorher nie getan hatte. Ihr Vater fand, dieser Andi tue ihr sehr gut, da solle sie dranbleiben. „Dann wird noch was aus dir“, erklärte er Sonntags beim gemeinsamen Mittagessen der Familie immer.

      Irgendwann merkte Vera, dass sie alles daransetzte, um besser als Andi zu sein. Das war nicht leicht, da Andi sehr gut war. Sie hätte auch gar nicht sagen könne, warum sie das wollte. Etwas Unbestimmtes reizte sie und forderte sie dazu heraus.

      Bald war sie fast so gut wie Andi, da der nun auch manchmal eine Prüfung nicht so hinbekam, wie er gerne gewollt hätte, besonders wenn Vera ihn am Vorabend in seiner Studentenbude besucht hatte. Er wollte sie nicht abweisen und so wurde in solchen Nächten sehr wenig gelernt und noch weniger geschlafen.

      Andi ging es nicht um den Notenschnitt, er wollte keinen Wettbewerb mit Vera. Er wollte nur rasch sein Studium abschließen, um seinen Eltern nicht länger auf der Tasche zu liegen. Dass er dabei niemals durchfiel, fand Vera irgendwie unheimlich. Er hatte auch gegen ihre Besuche vor Prüfungen nie etwas einzuwenden und meinte stattdessen, „Liebe vor der Prüfung sei das beste Rezept gegen Prüfungsstress.“

      Mit der Zeit verlor Vera dann das Interesse am Jusstudium, denn sie merkte, dass sie eigentlich hätte Wirtschaftswissenschaften studieren sollen. Dort gab es viel bessere Karrierechancen, da in den Zeitungen immer stand, es gäbe zu viele Juristen in Österreich.

      Doch dass sie Jus studieren würde, wie ihr Bruder, war natürlich immer klar gewesen, das hatte sie schon mit siebzehn vor der Matura gewusst. Als Anwaltstochter, deren Vater eine der großen Kanzleien von Wien betrieb, gab es keine Alternative. Sie sollte ja einmal in die Kanzlei einsteigen und sie wusste, dass sie in der Kanzlei immer einen Job bekommen würde, solange die Kanzlei existierte. Aber das war nicht das, was sie sich unter Karriere vorstellte. Sie wollte lieber eine eigene Karriere, unabhängig von der Hilfe der eigenen Familie.

      Das Problem mit Andi brach dann recht plötzlich auf, als Vera und Andi gleichzeitig mit dem Studium fertig wurden. Beim Schreiben der Diplomarbeit hatte sich Vera noch voll hineingesteigert und für ein halbes Jahr alles rings um sich vergessen. Sogar mit Andi war sie in der Zeit weniger zusammen gewesen. Dann allerdings, als alles fertig war und sie ihren Magister in der Tasche hatte, stellte sich die bange Frage: Vera was nun?

      Ihr Vater wollte sie in der Kanzlei haben, sie wollte aber nicht. Sie dachte an ein Gespräch im Arbeitszimmer ihres Vaters, als sie gerade im zweiten Semester war. Damals hatte er ihr zugesagt, nicht in der Kanzlei arbeiten zu müssen, wenn sie nicht wollte. Sie hatte ihre Meinung seither nicht geändert. Die väterliche Kanzlei kam ihr als schlimme Strafe vor. Das Büro lag in einem düsteren Altbau der Wiener City im Hochparterre und war selbst im Sommer fast ohne Sonnenlicht. Dazu die altmodischen dunklen Möbel und die vertrockneten Klienten mit ihren Rechtsgeschäften und nie enden wollenden Verhandlungen vor Gericht. Ein Horror, in diese Welt eintauchen zu müssen. Das würde sie ihre ganze Jugendlichkeit kosten, dachte sie. Sie würde über Nacht das Aussehen der Chefsekretärin ihres Vaters annehmen, die allerdings schon vierundfünfzig war und sich noch nie nach der Mode gekleidet hatte. Ein Alptraum, nur daran zu denken.

      Da brachte Herbert, ihr Bruder, sie auf die Idee, sich bei diesem internationalen Computerkonzern zu bewerben. Er hatte ihr versichert, als Jurist hätte man dort die besten Chancen, denn Juristen seien in der Datenverarbeitung nicht so häufig.

      Vera hatte zuerst Bedenken, gab dann aber ihre Bewerbung ab, denn ganz ins Ausland ziehen, wollte sie ja nicht, dazu war ihr Andi viel zu wichtig. Sie war immer noch davon überzeugt, dass sie ihn liebte, auch wenn die anfängliche Euphorie nach drei Jahren später schon merklich abgekühlt war.

      Der Ratschlag ihres Bruders war durchaus eigennützig gewesen, da er sie so aus der Kanzlei draußen halten konnte. Ihr war das natürlich klar gewesen. Aber sie dachte praktisch. Wenn sie in fünf Jahren mit internationaler Erfahrung zurückkam und es nötig sein würde, ging sie vielleicht doch in die Kanzlei, dann aber zu ihren Bedingungen. Falls sie aber bis dahin international Karriere gemacht hatte, würde sie nur mehr mitleidig auf die Wiener Kanzlei herabsehen und sich im internationalen Business schon längst zu Hause fühlen. Ein Leben mit Dienstreisen quer über den Globus und das Wohnen in Luxushotels, so etwas hatte sie sich schon immer gewünscht. Die frühere Vera, wie sie vor Andi gewesen war, kam wieder zum Vorschein. Sie war ja doch für den Luxus geboren, den sie bei Andi immer ein wenig vermisst hatte. Gewiss, Andi war nicht arm, seine Eltern waren wohlhabend, aber sie machten sich so gar nichts aus Besitz. Sie wollten lieber gestalten, als besitzen. Und Vera wollte leben und erleben. Das Abenteuer der Weltwirtschaft lockte und sie hatte schon bereut, nicht Wirtschaftswissenschaften studiert zu haben, tröstete sich aber damit, dass Jus als das wesentlich leichtere Studium galt. Sonst wäre ihr Magister noch in weiter Ferne gewesen.

      Zu ihrer eigenen Überraschung wurde sie sofort genommen. So kam es, dass sie gleich nach dem Studium bei CCI, Global Computer Inc., einen weltumspannenden amerikanischen EDV Konzern in dessen Wiener Niederlassung anfing. Global Computer baute alle Arten von Computer und Computerzubehör. Die PCs von Global Computer begannen damals gerade den Markt zu überschwemmen. Vera kam in die Rechtsabteilung, wo sie es sofort mit allen Finessen des Vertragsrechtes zu tun bekam und sich mächtig in die Arbeit stürzte.

      Wäre da nicht Andi gewesen. Auch er war fertig geworden und hatte als frisch gebackener Diplomingenieur der Raumplanung sofort einen Job bei der Niederösterreichischen Landesregierung bekommen. Sein Jusstudium hatte er schon vorher aufgegeben, da er es nie wirklich gewollt hatte. Ein Doppelstudium und Vera, das sei auch für ihn zuviel, meinte er manchmal scherzhaft. Vera hatte sich dann immer geschmeichelt gefühlt, obwohl es Andi eigentlich gar nicht schmeichelhaft gemeint hatte.

      Doch die Stunde der Entscheidung nahte viel schneller als es Vera lieb war. Andi machte ihr auf ganz altmodische Weise einen Heiratsantrag. Er dachte, sie könnten als gut bezahltes Akademikerehepaar ihre Beziehung jetzt mit Trauschein, Ring und Siegel dauerhaft machen. Nachdem er sie in ein elegantes Wiener Restaurant zum Abendessen ausgeführt hatte und sie anschließend in einer Bar gelandet waren, hatte er ganz großartig die Schachtel mit den Ringen aus seinem Jackett gezogen und sie gefragt, ob sie seine Frau werden wolle.

      Sein künftiger Dienstort sei Baden bei Wien, gerade die richtige Gegend, um eine gemeinsame Wohnung oder ein Reihenhaus zu erwerben und um eine Familie zu gründen. Mit den Kindern könnten sie ja noch ein wenig zuwarten, bis Vera in ihrem Job besser eingearbeitet sei und in Karenz gehen könne.

      Vera wusste nicht, ob sie ja sagen sollte. Es war ihr irgendwie zu schnell gegangen. Sie wollte sich noch nicht binden und bat um Bedenkzeit. Andi war an diesem Abend sehr verständnisvoll und wollte sie zu nichts drängen, aber im weiteren Verlauf des Abends kamen sie dann nicht in die Wohnung von Vera, wie Andi es gerne gewollt hätte, sondern sie trennten sich schon bei der Oper da Vera von dort die U-Bahn nahm. Es war das erste Mal gewesen, dass Vera nach einem Abend mit Andi alleine heimkam.

      In der nächsten Zeit fing Andi öfters an, von gemeinsamen Kindern zu sprechen und von den Vorteilen des ehelichen Lebens südlich von Wien in einem Villenviertel. Vera fand währenddessen in ihrer Firmenpost die ersten Termine zu Dienstreisen vor, die sie nach London und Frankfurt führen sollten. Mit einem Säugling am Arm