Das Seelenkarussell - Band 1 - Vera. Andreas Loos Hermann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andreas Loos Hermann
Издательство: Bookwire
Серия: Das Seelenkarussell
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742778994
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ein altes Ehepaar streiten, obwohl sie sich gar nicht kennen“.

      „Na ja, einen Tag kennen wir uns ja schon, “ entgegnete Vera, „aber was ist schon ein Tag.“

      „Über die Länge der Zeit ist schon so unendlich viel philosophiert worden, da können wir ruhig noch eins drauflegen, vielleicht haben wir ja die große Erkenntnis“, warf Georg spöttische ein.

      Irgendwie hatten sie in dieser Nacht wirklich ein Zeitproblem, denn als Vera das nächste Mal auf die Uhr sah, war es bereits kurz nach Eins und die letzten Gäste waren eben gegangen. Der Wirt wollte nun wirklich schließen. Die letzen beiden Stunden waren irgendwie vorüber geflogen. Sie hatte Georg dann doch von ihren Problemen mit Michael erzählt und dass sie nicht wusste, was sie wollte. Andi hatte sie auch erwähnt, obwohl sie das gar nicht gewollt hatte. Irgendwie wusste Georg schon alles, so kam es ihr zumindest vor. Er hatte ihr auch von seiner Ehe erzählt. Er war fünf Jahre verheiratet gewesen, nun war er seit drei Jahren geschieden. Kinder hatte es keine gegeben, aber seine Frau wollte unbedingt große Karriere machen und hatte keine Zeit mehr für ihn und ihre gemeinsame Beziehung gehabt. Georg war nicht der große Karrieretyp, obwohl er Geschäftsführer einer Niederlassung war. Das bedeutete ihm aber nicht allzu viel. Das hatte er nur über seine Familie erreicht, die sehr wohlhabend war und sein Vater kannte sehr viele Leute.

      Er wollte eine echte Partnerschaft, in der nicht nur von Büro und Karriere die Rede war. Er wollte ein geregeltes Familienleben und Kinder großziehen und Segeln gehen. Das hatte ihm Sybille, so hieß seine Ex, immer vorenthalten, bis er festgestellt hatte, ihre Ehe sei eigentlich gar keine, da es nichts Gemeinsames mehr gebe. Es gab nicht einmal eine große Szene, sie ließ ihn einfach gehen, als er aus der gemeinsamen Wohnung auszog. Er ließ ihr die Wohnung und nahm den gemeinsamen Wagen. Seit der Scheidung hatte er sie nicht mehr wiedergesehen. Sie hatte ihn auch nicht mehr angerufen. Ihr Job als Chefin in einem Dolmetschbüro füllte sie mehr als aus, und außer Sprachen und Dolmetschen hatte sie eigentlich nichts anderes im Kopf. Georg verstand solch eindimensionale Menschen, wie er sie nannte, überhaupt nicht. Das Leben hatte für ihn viel mehr zu bieten. Da gab es Hobbys, seine Segelabenteuer auf der Nordsee, seine Abende mit Freunden und Bekannten, wo es oft hoch herging.

      Vera hatte fasziniert zugehört. Georg konnte recht fesselnd erzählen. Ihre Müdigkeit war wie weggeblasen, sie wusste selbst nicht warum. Ihr anfänglicher Disput geriet dabei ganz in Vergessenheit. Sie erzählte über Dinge, die ihr im Leben wichtig waren und musste dabei erkennen, dass ihr Leben eigentlich nicht so verlaufen war, wie sie es sich vorgestellt hatte. Sie hatte vieles erreicht, aber wichtige Dinge, wie gute Freundschaften, oder einfach das Leben selbst einfach genießen zu können, war ihr nicht gelungen. Die Liebe war ihr wichtig und trotzdem hatte auch sie, wie Sybille, die Karriere vorgezogen. Statt bei Andi zu bleiben, war sie hier in Brüssel gelandet, diskutierte mit Georg, der eine Frau verlassen hatte, die sich so wie Vera verhalten hatte. Nur war es Georg gewesen, der gesagt hatte, so geht es nicht.

      Vera vergaß, dass sie sich erst so kurz kannten, sie dachte, sie kenne Georg schon viel länger. Wenn sie etwas sagte, wusste sie auf einmal oft schon, was er darauf antworten würde, auch wenn er noch gar nichts gesagt hatte. So etwas war ihr seit Andi nicht mehr passiert.

      Georg machte keinerlei Anstalten, sich ihr irgendwie zu nähern. Nicht einmal seine Hand berührte zufällig ihre Hand. Vera dachte auch nicht mehr darüber nach, ob er nun bestimmte Absichten hatte oder nicht. Sie genoss es einfach, dass da wieder einmal jemand war, der sie zu verstehen schien. Das hatte sie seit Andi nicht mehr erlebt. Dabei erinnerte Georg so gar nicht an Andi, er war ein ganz anderer Typ. Trocken und humorvoll mit einer sehr sanften Stimme und einem kräftigen Ansatz zu einer hohen Stirn, man könnte fast schon Teilglatze dazu sagen.

      Jetzt war der Wirt allerdings unerbittlich und schloss wirklich sein Lokal. Da standen sie nun auf der Straße und sahen sich an. „Na, dann los, bringen wir den Marsch hinter uns“, munterte Georg Vera auf.

      Sie schritten kräftig aus. Vera hatte sich bei Georg untergehängt. Sie spürte seine Nähe, er machte aber keine Anstalten, sie zu küssen oder etwas Ähnliches zu unternehmen. Die Kälte war nun wirklich schon unangenehm, so dass ihr Gespräch bald verstummte. Mit ihrem kräftigen Marschtempo durch das nächtliche Brüssel gelangten sie sehr bald zum Hilton, obwohl sie ein kräftiges Stück des Weges bergauf gehen mussten. Vera war wieder warm geworden.

      Vor der Hotelhalle wechselten sie noch einige belanglose Worte. Fast schien es so, als ob Georg auf einmal nicht wusste, was er sagen sollte. Vera war auch irgendwie schweigsam. So verabschiedeten sie sich, als Georg den Vorschlag machte, sie könnten am nächsten Abend die ganze Gruppe der Konferenzteilnehmer sich selbst überlassen und die Stadt zu zweit entdecken. Er würde noch einige nette Plätze kenne, die einen Besuch lohnten.

      Vera sagte zu, ohne lang nachzudenken.

      Kapitel 9

      Erst in ihrem Zimmer kam ihr zu Bewusstsein, dass sie eigentlich gerade ein Date vereinbart hatte. Es war ihr so logisch vorgekommen. Sie lauschte in sich hinein, sie war noch immer nicht müde, da der Marsch ihren Kreislauf auf Touren gebracht hatte. Oder war da noch etwas Anderes, sollte sie sich gar ein wenig verliebt haben. Sie war sich nicht sicher, aber auf alle Fälle freute sie sich auf den nächsten Abend. Sollten die anderen sagen, was sie wollten. Es war ja kein offizielles Essen vereinbart. Sie mussten ja niemandem sagen, dass sie sich trafen. Sie konnte ja Müdigkeit vorschützen und Georg konnte sagen, dass er noch eine wichtige Arbeit für die Konferenz im Hotel erledigen müsse.

      Vera beschloss, einfach nicht weiter darüber nachzudenken, ob das jetzt eine Beziehung mit Georg werden könnte oder nicht. Das war sicherlich besser so, denn wie sollte sie nach Hamburg kommen oder Georg nach Wien. Eine Beziehung über mehr als tausend Kilometer Entfernung war nicht das, wovon sie träumte. Aber vielleicht kam alles auch ganz anders. Jetzt wollte sie sich nur darauf freuen, dass ihr morgen ein interessanter Abend bevorstand. Wie und wo dieser Abend allerdings enden würde, hätte sie sich in ihren wildesten Alpträumen niemals ausmalen können.

      Vera zog ihren Hosenanzug aus und warf ihn achtlos über die Stuhllehne. Sie betrachtete sich in BH und Höschen im großen Spiegel im Badezimmer und fand, dass es an ihrer Figur wirklich nichts auszusetzen gab. Ihr Busen hatte genau die richtige Größe und um ihre Taille war wirklich kein Fett zu sehen. Ihre recht langen Beine waren gut geformt, wenn auch vielleicht mit einer Spur zuviel Muskeln für ihren Geschmack. Die hatte sie vom Tennisspielen, da sie letzten Sommer sehr viel gespielt hatte. Aber wenn sie es genau nahm, dann hatte sie nicht den geringsten Grund, mit ihrer Figur unzufrieden zu sein. Sie dachte, wenn Georg mich jetzt so sehen könnte, dann würde er rasch schwach werden und in ihren Armen landen, aber er hatte ja nicht einmal den Versuch gemacht, sie zum Abschied auch nur zu küssen. Es gab ihr einen leisen Stich, wie sie daran dachte. Wollte er sie überhaupt, aber sonst hätte er sie ja wohl kaum eingeladen, den morgigen Abend allein mit ihm zu verbringen. Wieso fragte sie sich eigentlich, ob er sie wollte, das sollte ihr doch egal sein. Nur war es das nicht. Vielleicht war sie doch ein wenig in Georg verknallt oder wollte sie nur ein Abenteuer, weil sie die Beziehung mit Michael nicht mehr ausfüllte und sie sich von Michael bereits sehr entfernt hatte. Sie wusste es nicht und ihr Verstand würde es ihr heute auch nicht mehr sagen. Morgen würde sich alles herausstellen. Wer weiß schon am Abend, was der nächste Tag bringen würde. Sie freute sich einfach darauf, Georg wieder zu treffen und es der Situation zu überlassen, wie sich der Abend entwickeln würde.

      Sie beschloss, nun endlich ins Bett zu gehen, da ihr bis zum Aufstehen nur mehr wenige Stunden blieben. Seit sie sich mit Georg für morgen verabredet hatte, hatte sie an Michael gar keinen Gedanken mehr verschwendet. Sie dachte noch daran, was Georg ihr alles gesagt hatte, da war sie auch schon eingeschlafen.

      Kapitel 10

      Vera hatte noch ein wenig Zeit. Sie sah aus dem Fenster ihres Zimmers im fünfzehnten Stock des Hiltons. Sie blickte über die Stadt, die heute so ganz anders aussah, als vor zwei Tagen, es war alles viel freundlicher und viel sonniger. Vorgestern war sie unzufrieden mit sich selbst gewesen und wusste nicht, was sie in Brüssel erwarte. Nun freute sie sich auf den Abend mit Georg.