Das Seelenkarussell - Band 1 - Vera. Andreas Loos Hermann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andreas Loos Hermann
Издательство: Bookwire
Серия: Das Seelenkarussell
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742778994
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trug sie schulterlang und für heue waren sie streng nach hinten frisiert und mit einer Haarspange zusammengehalten.

      Meistens genoss sie es, wenn ihr ein Mann bewundernd hinterher sah. Nur hier im Ausland konnte Frau nie wissen, wozu sie einen Mann ermutigte, wenn Frau sich nicht entsprechend den Landessitten verhielt, weil sie diese nicht kannte. Sie wusste sehr wenig über Belgien, außer dass die EG-Institutionen hier ihren Sitz hatten.

      Es dauerte eine ganze Weile, bis sich das Förderband in Bewegung setzte, und anfing, die Koffer aus Wien auszuspucken. Es kam Koffer um Koffer, nur Veras Koffer war nicht dabei. Sie wollte gerade beginnen, sich Sorgen zu machen, als er über die Kante der Gepäckanlage kippte.

      Zum Glück hatte ihr Koffer Räder, denn sie hatte für eine Woche Brüssel jede Menge Garderobe mit. Der Koffer war so schwer, dass sie ihn kaum heben konnte. Denn sie wusste, dass es etliche Abendeinladungen geben würde, wo sie interessante Leute aus dem amerikanischen Stammhaus oder aus den weltweit verstreuten Konzernniederlassungen kennen lernen könnte.

      Die Eisenbahnverbindung ins Zentrum von Brüssel war alt und rumpelig. Vera hoffte nur, dass ihr Kostüm durch die vergammelten Sitze nicht allzu schmutzig werden würde, aber bis Brüssel Zentrum wollte sie auch nicht stehen. Langsam schaukelte der Zug vorwärts und Vera hing ihren Gedanken nach.

      Vera war die Tochter eines wohlhabenden Wiener Anwalts, der eine der großen Anwaltskanzleien der Stadt sein Eigen nannte. Er beschäftigte 12 Topjuristen und mehr als dreißig Angestellte. Armut kannte Vera nicht. Ihre Eltern waren wohlhabend, wie sie selbst es ausdrückten. Andere hätten gesagt, reich. Aber ihrem Vater war es fremd, mit seinem Reichtum zu protzen, denn Geld hatte man eben, aber man sprach nicht darüber.

      Seine Kinder waren da schon anders. Vera hatte es schon in der Schule gefallen, die neueste Mode vorzeigen zu können, die ihre Freundinnen neidisch machte. Die Familie wohnte im neunzehnten Bezirk, ganz nahe am Stadtrand in einer alten Villa. „In dieser noblen Gegend gebe es keine armen Menschen“, meinte Vera. Die Eltern ihrer Schulkolleginnen waren alle mehr als wohlhabend. Vera war in ein privat geführtes Klostergymnasium gegangen, eine der Wiener Nobelschulen, wo es nur Schüler gab, deren Eltern sich das hohe Schulgeld auch leisten konnten.

      Die Clique, mit der sie zusammensteckte, kam sich sehr gut vor und wusste das Geld der Eltern hinter sich. Vera und ihre Freundinnen zogen von Party zu Party und genossen ihr Leben. In der Schule spielte sie immer das fromme höhere Töchterchen, aber bei den Partys flirtete sie mit allen Jungs, die ihr gefielen. Bei alledem hatte sie damals aber trotzdem keinen festen Freund. Ein bisschen Herumknutschen nach der Tanzschule, das war alles, was sich damals ergeben hatte.

      Die Burschen fanden sie hinreißend und sie konnte jedem den Kopf verdrehen, aber sie wollte sich mit keinem wirklich einlassen.

      Herbert, ihr Bruder, war mit siebzehn ihr großes Vorbild gewesen. Sie wollte so unabhängig sein, wie er. Heute war er nicht mehr ihr Vorbild. Er war sieben Jahre älter als Vera und hatte bis heute keine feste Beziehung zustande gebracht. Er wollte immer nur ein gut aussehendes Mädchen fürs Bett und zum Ausgehen. Aber nie für lange, denn bald langweilte er sich in einer Beziehung und ein Wechsel musste sein.

      Vera hatte schon eine längere Beziehung hinter sich und war nun seit sechs Monaten mit Michael zusammen. Diese Beziehung war nicht das, was man allzu eng nennen konnte, denn sie sahen sich durchaus nicht jeden Abend. Es gab Zeiten, da sahen sie sich gerade zum Wochenende, da jeder so von seinem Beruf ausgefüllt war, dass für die Gemeinsamkeit keine Zeit mehr blieb.

      Ihr Bruder war immer noch Single und seit drei Jahren alleiniger Leiter der Kanzlei des Vaters, seit sich dieser endgültig zur Ruhe gesetzt hatte. Partner waren in der Kanzlei immer vermieden worden und Herbert wollte auch niemanden neben sich haben, der ihn womöglich kontrollieren könnte. Er war ein Leichtfuß, der das Leben nicht ganz ernst nahm, was schlecht zu einem Juristen passte. Das könne sich einmal bitter rächen, dachte Vera öfters über ihren Bruder.

      Ihr Vater hätte es lieber gehabt, wenn sie ihrem Bruder in der Kanzlei zur Hand gegangen wäre und die Kanzlei gemeinsam mit ihm geleitet hätte. Herbert traf oft sehr leichtfertig schwerwiegende Entscheidungen und dachte nicht genug an die Konsequenzen. Für die Leitung einer renommierten Rechtsanwaltskanzlei mit dreißig Mitarbeitern war das gefährlich. Trotzdem hatte ihr der Vater den Job im Computerkonzern nicht ausgeredet. Er dachte, sie solle einmal die Welt kennen lernen und später könne sie immer noch in die Kanzlei einsteigen.

      Denn Vera wollte mit jungen und interessanten Menschen zu tun haben. Sie wollte ihre Fremdsprachenkenntnisse einsetzen können. Wozu sprach sie fließend Französisch, Englisch und ein wenig Spanisch. Die Klienten in der Kanzlei, die waren ihr alle viel zu alt und unmodern, wie sie ihrem Vater immer wieder vorgehalten hatte.

      Kapitel 2

      Vom Bahnhof hatte sie ein Taxi genommen und nun stand sie am Fenster ihres Hotelzimmers und blickte über die Dächer von Brüssel. Vom fünfzehnten Stock des Hilton hatte man normalerweise einen prächtigen Blick über die ganze Stadt. Nur heute war der Himmel neblig und mit dunklen, tiefhängenden Wolken verhangen, so dass selbst die Kugeln des Atomiums, dem herausragenden Wahrzeichen Brüssels, nicht einmal zu erahnen waren. Der Nieselregen erhielt vom nahen britischen Kanal beständig Nachschub und ließ immer wieder einen Schauer über der Stadt niedergehen. Ende September hätte das Wetter in Brüssel noch etwas freundlicher sein können.

      Vera achtete nicht auf das Wetter, denn mit einem Mal war sie unzufrieden mit sich selbst, obwohl sie keinen Grund finden konnte. Hatte sie nicht alles erreicht, was sie sich im Leben bisher vorgenommen hatte und nicht allen Grund, froh und selbstbewusst in die Zukunft zu blicken. Besonders jetzt, auf ihrer ersten großen Auslandsdienstreise. Aber irgendeine bedrückende Stimmung lag auf einmal in der Luft in ihrem Hotelzimmer.

      Sie konnte es sich nicht erklären. War es das düstere Wetter über der Stadt, oder war da noch etwas Anderes, das seine Fäden leise nach Vera auszustrecken begann. Vera hatte ihre Gefühle immer gerne unter Kontrolle, und wenn das nicht ging, dann ärgerte sie sich über sich selbst.

      Ein kurzer Regenschauer peitschte die Tropfen an ihr Hotelfenster. Vera stand einfach da. Es war Sonntagabend und sie hatte nichts vor, da sie hier noch niemanden kannte, den sie hätte treffen können. Das Wetter hatte ihre Lust, sich die Altstadt anzusehen, erheblich gedämpft. So dachte sie über ihr bisheriges Leben nach, über ihre Entscheidungen, die sie bis in dieses Hotelzimmer geführt hatten. Der Grauschleier, der ihre Stimmung trübte, wurde langsam dichter und dichter.

      Sie war niemals ein Kind von Traurigkeit gewesen, aber mit der großen Liebe hatte es nicht so recht klappen wollen. Ihre Freundinnen hatten alle schon längst einen festen Freund, aber sie war mit zweiundzwanzig noch immer solo gewesen. Sie studierte Jus und war von feschen Studenten umgeben, aber keiner gefiel ihr. Sie hatte an allen etwas auszusetzen. Ihre Freundinnen schwärmten von der großen Liebe und die meisten hatten damals schon einen Freund den man daheim auch den Eltern vorstellen konnte und wo die Mütter an künftige Schwiegersöhne dachten. Nur für Vera war nie der Richtige dabei gewesen. Die Jungs kamen ihr alle so dumm und unreif vor und sie fühlte sich ihnen so maßlos überlegen. Die Jungs vergötterten sie und jeder wollte mit ihr etwas anfangen, aber es wurde nie eine wirkliche Beziehung daraus.

      Sie trieb sich zwar oft bis zum Morgengrauen auf Partys herum. Sie wurde auch oft knutschender Weise mit einem der Burschen in einer Ecke gesichtet. Niemand hätte daher auch nur geahnt, dass sie mit zweiundzwanzig noch immer Jungfrau war. So hatte sie ihr Problem und fühlte sich einsam und unverstanden. Das sah ihr aber niemand an, da sie nach außen alles geschickt überspielte und den verführerischen Vamp abgab, der nur noch nie verführt worden war.

      Sie konnte ihren Traummann einfach nicht finden. Sie zweifelte schon daran, dass es ihn überhaupt gab. Für das ganze Gerede von der großen Liebe hatte sie nur Verachtung über, denn für sie gab es diese Liebe nicht. Sie hatte zwar jede Menge flüchtige Bekanntschaften, aber keinen echten Freund, mit dem sie wirklich zusammen sein konnte.

      Sie wusste auch heute noch nicht, hier in Brüssel am Fenster stehend, warum ihr das passiert war. Sie hatte eben immer Pech gehabt, redete