brachte es ihm, und so oft sie es ihm brachte, warf er
es ihr jedes Mal nach den Fersen. Darauf bat sie ihre
Herrin, sie möge sie doch hier und da ein Mal nach
Hause gehen laßen; sie gieng aber nicht nach Hause,
sondern zu jenen Steinen, und wenn sie in die Nähe
der Steine kam, da thaten sich die Steine wieder auf
und es war wieder eine Stube, und sie zog dann stets
ihre prächtigen Kleider an, und es kam alle Mal eine
Kutsche gefahren, in die setzte sie sich und fuhr in die
Kirche. Der Schreiber aber war auch in der Kirche,
und er sah dort das wunderschöne Mädchen und kam
deshalb den zweiten Sonntag wieder in die Kirche,
und das Mädchen war auch wieder da. Aber ihre Herrin
hatte ihr gesagt, sie müße eher nach Hause kommen
als der Schreiber. Eines Tages jedoch verspätete
sie sich, und da sie nicht mehr Zeit hatte ihre prächtigen
Kleider abzulegen, zog sie zu Hause Alltagskleider
über jene prächtigen an. Da ließ sie der Schreiber
durch den Bedienten rufen: sie solle kommen und ihm
den Kopf absuchen2, aber sie wollte nicht und sagte
›Man hat meiner bisher noch nie bedurft, und man bedarf
meiner auch jezt nicht.‹ Als aber der Bediente
zum zweiten und dritten Male sie rief, da muste sie
doch gehen. Wie sie ihm nun den Kopf absuchte, da
durchsuchte er ihre Kleider und kam bis zu jenem
Mantel. Und als er den Kopf von ihren Knien erhob,
da riß er ihr das Kopftuch vom Kopfe und erkannte
sogleich in ihr seine Schwester. Darauf verließen
beide das Gehöfte, aber niemand wuste, wohin sie
giengen.
Fußnoten
1 Die Erzählerin nennt ›Steine‹ was wir ›Felsen‹ nennen
würden. Eigentliche Felsen sind in Litauen nicht
vorhanden, wol aber gibt es große Massen erratischer
Blöcke, und diese hat wol die Erzählerin vor Augen.
2 Diese Liebeserweisung ist in den litauischen Märchen
die gewönliche Einleitung von Erkennungsscenen.
Vom trägen Mädchen.
Eine Frau hatte eine sehr faule Tochter, die zu keiner
Arbeit Lust hatte; da führte sie sie auf einen Kreuzweg
und auf dem Kreuzwege prügelte sie sie durch.
Da fuhr ein Herr des Weges daher, und das war ein
Edelmann, und er fragte, weshalb sie das Mädchen so
prügele. Sie sagte ›Herrchen, sie ist eine solche Arbeiterin,
ja sie kann uns das Moos von der Wand ab
spinnen.‹ Da sagte der Herr ›Ei da gib sie nur mir, ich
habe zu Hause genug zu spinnen.‹ Da sagte die Frau
›Nehmt sie nur mit, nehmt sie nur mit, ich will sie
nicht mehr.‹ Wie nun der Herr mit ihr nach Hause
kam, da stopfte er ihr den ersten Abend ein ganzes
Faß voll Werg1 und führte sie in eine Stube allein.
Jetzt ward es ihr angst: ›Spinnen mag ich nicht und
kann ich nicht.‹ Da kommen des Abends drei Laumes
daher und klopfen ans Fenster und das Mädchen ließ
sie schnell ein. Die Laumes sagten ›Wirst du uns auf
deine Hochzeit laden, so wollen wir dir heute Abend
spinnen helfen.‹ Schnell erwiderte sie ›Spinnt nur,
spinnt, ich werde euch laden.‹ Da spinnen denn die
Laumes den ersten Abend das ganze Faß leer: das
faule Mädchen schlief stets, die Laumes spannen. Am
Morgen kam der Herr nachsehen: das Mädchen das
schlief und die ganze Wand des Zimmers hieng voll
Gespinnst. Da ließ der Herr niemanden in das Zimmer
des Mädchens, damit sie recht ausschlafen könne
nach so großer Arbeit. Und den anderen Tag stopfte
er ihr ein eben so großes Faß voll Flachs. Die Laumes
erschienen wieder und es begab sich wie am ersten
Abende. Da hatte der Herr nichts mehr zu spinnen
und er sprach ›Jetzt will ich dich heiraten, da du eine
so vortreffliche Arbeiterin bist.‹ Den Tag vor der
Hochzeit sagte das Mädchen zum Herrn ›Ich muß
noch gehen meine drei Tanten einladen.‹ Und der Herr
ließ sie gehen. Als sie nun kamen und sich hinter den
Ofen setzten, da kam der Herr um sie an zu sehen und
als er sie sah in ihrer Häßlichkeit, da sagte er zu seinem
Mädchen ›Aber deine Tanten sind sehr unschön.‹
Und die eine Laume fragte er, weshalb sie solch lange
Nase habe. Sie erwiderte dem Herrn ›Herrchen, das
ist von dem starken Spinnen; wenn man immer spinnt
und der Kopf so nickt, da dehnt sich die Nase so stark
in die Länge.‹ Da fragte er die andere, weshalb sie so
dicke Lippen habe. Sie erwiderte dem Herrn ›Herrchen,
das ist von dem starken Spinnen; wenn man
immer spinnt und immer nezt, da werden die Lippen
so dick.‹ Da fragte er die dritte, weshalb sie einen so
ungefügen Steiß habe. Sie erwiderte dem Herrn ›Herrchen,
das ist von dem starken Spinnen; wenn man
immer spinnt und immer sitzt, da wird der Steiß so
ungefüge.‹ Da überkam ihn die Angst, seine Gemah-
lin könne vom Spinnen eben so häßlich werden, und
schnell warf er den Rocken in den Ofen.
Fußnoten
1 In Litauen Heede genannt, grober, schlechter
Flachs.
Vom schlauen Jungen.
Es waren einmal zwei Brüder; der eine, ein sehr reicher
Mann, war Kaufmann in der Stadt und kinderlos,
der andere aber war ein armer Teufel auf dem Lande
und der hatte drei Knaben, aber er war so arm, daß er
nicht einmal etwas zu eßen hatte. Da gedachte einst
der reiche seines armen Bruders, ließ sich die Pferde
vor den Schlitten spannen, denn es war zur Winterszeit,
packte für die drei Jungen der Reihe nach Kleider
ein und fuhr hin zu seinem Bruder. Als er hin gekommen,
hielt er vor der Thüre und sein Bruder kam