Nach ein paar Tagen der Eingewöhnung wurde Markus zu einer medizinischen Untersuchung beordert.
Zwei kleine Graue führten ihn in einen großen runden, klinisch wirkenden Raum mit weiß gestrichenen Wänden.
In der Mitte stand eine schmale, in der Höhe verstellbare Liege. Markus musste sich vor den Augen der kleinen Alien splitternackt ausziehen und lang gestreckt auf der unangenehm kühlen, dünn gepolsterten Pritsche Platz nehmen.
Während er regungslos dalag, standen seine Aufpasser wie Wachsoldaten neben der Eingangstür.
Nach einer „halben Ewigkeit“, wie Markus empfand, traten zwei menschenähnliche Alien, ein großer, dunkelhäutiger Arzt und eine weiße, zierliche, hellblonde Ärztin, aus einem Nebenraum kommend, zu Markus an den Untersuchungstisch.
Sie musterten ihn von oben bis unten, sagten aber nichts.
Dann entnahm die sehr jung wirkende Ärztin aus einem der im Raum verteilten Instrumentenschränke ein Gerät, das mit einem Monitor und zwei Kabel versehen war. Die Alien-Frau setzte sich neben Markus auf einen Hocker und drückte das eine selbsthaftende
Kabelende auf seine Stirn. Am Ende des zweiten Kabels befand sich eine Art Röntgengerät, mit dem sie nach und nach jeden Körperteil abtastete und dabei den kleinen Monitor im Auge behielt.
Dann musste er sich auf den Bauch drehen und die „Durchleuchtung“ begann von Neuem.
Während die Assistenzärztin Markus gründlich „unter die Lupe“ nahm, stand ihr Vorgesetzter stillschweigend daneben. Ob er ihr telepathische Anweisungen gab, konnte Markus nicht feststellen. Es war gespenstisch still im Raum, so dass man eine Stecknadel hätte fallen hören.
Als die Ärztin Markus durchgecheckt hatte, begannen beide Alien, die Haut und großen Gelenke von Markus zu untersuchen. Sie achteten auf blaue Flecken, Tätowierungen, einer Blinddarmnarbe und gefärbtes Haar. Markus konnte damit nicht aufwarten.
Er durfte sich wieder ankleiden. Als ihn der Wohlwollen ausstrahlende Alien nach dem Genuss von Alkohol und Nikotin fragte, bekannte Markus seine diesbezüglichen Verfehlungen …
Sein Gegenüber grinste, eine Gefühlsregung, die er von einem Alien nicht erwartet hatte. Den anschließenden Hörtest bestand Markus mit Bravour. Ungewöhnlich war der Sehtest. Weil er seine Brillen vergessen hatte, wurde ein kleiner Alien geschickt, sie zu holen.
Ähnlich wie bei einem Augenarzt leuchteten auf einer Wandtafel die Zahlen von 0 – 9 in verschiedenen Farben auf. Sie wurden nicht Reihe für Reihe von oben nach unten kleiner, sondern erschienen willkürlich durcheinander in unterschied-lichen Größen.
Mit einem kurzen Metallstock deutete der Arzt auf die Zahl, die Markus erkennen sollte.
Mit dem Ergebnis war er sichtlich zufrieden. Zum Lesetest mit der Nahbrille kam es nicht mehr. Die außerirdischen Mediziner zogen sich zu einer kurzen Beratung in ihr Ärztezimmer nebenan zurück. Als sie wieder auftauchten, durfte Markus auf der „Liege der Wahrheit“ sitzend, aus dem Munde der fast menschlich wirkenden Ärztin erfahren:
„Ihre Ohren sind bestens, ihre Augen noch gut – aber Ihr Herzmuskel ist durch den Herzklappenfehler geschwächt und die
Herzleistung reduziert. Der Alkoholgenuss hat Ihrer Leber geschadet und die vielen Zigarren der Lungenfunktion. Da es bei uns weder Zigarren noch Alkohol gibt, dürften sich beide Organe wieder regenerieren.
Ihre Großgelenke, der Halswirbel und die untere Wirbelsäule zeigen starke Verschleißerscheinungen.
Die beginnende Herzschwäche und die Verschleißer-scheinungen lassen eine schwere körperliche Arbeit nicht zu.
Erholen Sie sich erst einmal – dann werden wir sehen, wie wir sie nützlich einsetzen können.“
Markus war ein Stein vom Herzen gefallen: Das Todesurteil noch nicht gesprochen und in die Grube, wie sein junger Zimmerkamerad, brauchte er auch nicht.
Und der Alien-Arzt fügte mit erhobenem Zeigefinger hinzu:
„Ohne unser Eingreifen wäre ihre Zeit auf der Erde bald abgelaufen!“
Markus, der mit einer stoischen Ruhe diese Prozedur überstanden hatte, wurde jetzt nervös.
Ohne nachzudenken, ob man es überhaupt darf, drückte er den verdutzten Alien die Hände und sagte mit seiner rauchigen Stimme:
„Vielen Dank für die offenen Worte und dass ich mich nicht mehr abrackern brauche!“
Die kleinen Alien begleiteten ihn in seine „Gruft“, wo er schon erwartet wurde.
„Wie war die Untersuchung? Was haben sie alles mit dir angestellt?“, empfing ihn Seppel wie einen alten Freund.
Markus setzte sich bedächtig an den Tisch und holte tief Luft. Nach einer Weile der Sammlung schilderte er haarklein den Ablauf der medizinischen Untersuchung durch die Alien.
Zum Schluss meinte er lakonisch:
„Die Zigarre werde ich aufheben, bis ich wieder zu Hause bin.“
Dann kam er zum Ergebnis der Untersuchung und zitierte wörtlich die junge, attraktive Alien-Ärztin. Er hatte Gefallen an ihr gefunden. – Sie könnte seine Tochter sein!
„Haben sie Blut abgenommen?“, wollte Seppel gern wissen.
„Nein. Das kann noch geschehen.“
„Bei mir haben sie so viel Blut abgezapft, als wollten die Alien Blutwurst machen“, scherzte der überraschend gut aufgelegte Bergbauern-Bursche.
Und Markus setzte obendrauf:
„Vielleicht haben sie einen Vampir gezüchtet, dem frisches, gesundes Tirolerblut besonders gut schmeckt?“
Beide mussten laut lachen …
Die Tage vergingen.
Seppel und Markus vertrieben sich die quälende Langeweile, indem sie stundenlang über Gott und die Welt diskutierten, ihr Leben Revue passieren ließen oder ihre Heimat mit einem verklärten Blick beschrieben.
Bald konnten sie sich ein Bild vom anderen machen.
Während Markus besonders das Fernsehen vermisste, fehlten dem Seppel seine vielen Videos und „anständige Musik“, wie sie Jugendliche in seinem Alter gern hörten.
Stattdessen dröhnte aus einem schwarzen viereckigen „Kasten“ an der Wand eine Musik, die beide nicht leiden konnten. Sie stellten das „Gedudel“, wie sie es nannten, entweder ganz leise oder ab. Diese für Mitteleuropäer exotisch klingende Musik stammte wahrscheinlich vom Heimatplaneten der Alien oder war in „Hinterasien“ aufgenommen worden.
Auch gab es keine Nachrichten. An Zeitungen oder Zeit-schriften von der Erde war überhaupt nicht zu denken …
Täglich bekamen Markus und Seppel Besuch von der Ärztin, die sich nach ihrem Wohlbefinden erkundigte. Sie sprach perfekt Deutsch. Markus erhielt einen Becher Stärkungsmittel für das Herz verabreicht, dessen Wirkung er schon nach wenigen Tagen spürte. An das fast schwarze, übel riechende und scheußlich schmeckende Gesöff musste er sich erst gewöhnen. Bier und Schnaps wären ihm lieber gewesen. Sein junger Freund lechzte ebenfalls nach Bier. Bei einer der Visiten durch die Alien-Ärztin bat Markus, sie möge doch deutschsprachige Literatur besorgen. Mit den im Bücherregal stehenden Schwarten in fremden Sprachen könnten sie nichts anfangen.
Am darauffolgenden Tag brachten kleine Alien zahlreiche deutschsprachige Bücher: Vom Kriminalroman bis Liebesroman, wissenschaftliche Werke verschiedener Fach-richtungen und Bildbände. Im Nu waren die Bücher ausgetauscht.
Für Markus und Seppel begann ein „Bildungsurlaub auf dem Monde“. – Zu den festgelegten Mahlzeiten trafen sich alle Isolierten der Quarantänestation in einem geräumigen Speisesaal. Etwa 50 Personen fanden darin Platz.
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