Mordsschock!. Gaby Hoffmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gaby Hoffmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847656647
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für die Blumen. Jetzt verzieh dich, Kleiner!“, pfiff ich ihn an. Es fehlte mir, dass nun auch noch ein Praktikant mein Erlebnis madig machte.

      „Schade, dass du so biestig bist! Sonst hätte ich dir erzählt, wie ich mal drei schwerbewaffnete Verbrecher über die Autobahn gejagt habe.“

      Ich warf einen Filzer nach ihm. Er duckte sich, und mein Geschoss traf einen Mann, der im selben Moment den Raum betreten haben musste.

      Verdutzt hob er den Stift vom Boden auf und guckte mich an.

      Oh nein, das durfte nicht wahr sein! Vor mir stand mein alter Feind, der Stacheldrahtvermieter, besser bekannt als Abgeordneter Werner Prange.

      „Wir kennen uns!“ Ein abgebrühter Kerl wie er ließ sich natürlich nicht so schnell aus der Fassung bringen. Seine linke Hand wanderte prompt wieder in die berühmte Richtung ...

      Ich bemühte mich um ein souveränes Gesicht. „Ganz recht, ich habe die letzte Sitzung des Stadtrates besucht.“

      In diesem Moment erschien Gundula, die offensichtlich mit Prange zum Interview verabredet war, und entführte ihn mit flötender Stimme. Vermutlich fürchtete sie grundlos, ich würde ihn ihr wegschnappen.

      „Sie sehen blass aus. Ich haben Ihnen einen Kakao gekocht, der ist nahrhaft und verleiht neue Kräfte.“ Die Riechling setzte einen Becher vor mir ab, auf dem eine fette Milchhaut schwamm, bei deren Anblick es mich schlimmer gruselte als vor dem hinter mir herjagenden Amischlitten.

      Abends fuhr ich zu den Krügers. Diesmal ohne Voller. Den hatte Wagner zu einem anderen Termin geschickt. „Wenn man an einer interessanten Geschichte dran ist, hat man zu viele Verpflichtungen, um sie weiter zu verfolgen“, hatte Voller gemault.

      Frau Krüger empfing mich herzlich wie eine alte Bekannte. „Kommen Se rein!“ Sie zupfte mich am Ärmel und zog mich in den Flur. Sie roch streng nach Tosca. Ohne Schürze kam ihr gewaltiger Busen richtig zur Geltung. Bei jeder Bewegung, die sie machte, wabbelten die Brüste in der engen beigefarbenen Bluse, die sie stramm am Rock festgezurrt hatte, aufgeregt hin und her. So fängt man Männer, dachte ich. Herr Krüger liebte ein weiches Polster: im Winter warm, im Sommer schattig!

      Aus diesem Grund war vermutlich das ganze Haus mit Möbeln vollgestopft. Lücken und Luft zum Atmen blieben rar, über allem klebten Frau Krügers Tosca-Schwaden. Tellergroße Blätter einer wuchernden Zimmerpflanze verdunkelten die Fensterfront des Wohnzimmers. Dunkelgrüne Jäger-Tapeten rahmten dicht gedrängte Schränke sowie Vitrinen aus Nussbaum ein. Fehlte nur der röhrende Hirsch an der Wand. Stattdessen hing ein riesiges Landschaftsgemälde in Öl über einem Sekretär. Ein Fluss – vielleicht die Tale? –, der sich an einem Sommermorgen seinen Weg wie eine züngelnde Schlange an einem goldglänzenden Kornfeld entlang bahnte. Von der Decke baumelte ein gigantischer Kronleuchter mit unzähligen Ziertropfen und kitschigen Pailletten. Ein Perser- und ein Berberteppich rangen auf dem Boden um Vorherrschaft und Muster miteinander. Nicht mein Geschmack, diese Einrichtung, aber teuer.

      Frau Krüger verfrachtete mich auf ein grün-gelb gemustertes Biedermeiersofa. Das gelang nicht, ohne dass ich vorher drei Mal über die diversen Beistelltischchen mit Nippes und Zierdeckchen stolperte. Bunte Vasen und Balletttänzerinnen aus Porzellan standen in einer angestrahlten Glasvitrine gegenüber. Sammlerstücke?

      Ich zückte meinen Block und fragte pro forma: „Was macht Ihr Mann beruflich?“

      „Er führt einen kleinen Laden. Zwei Straßen weiter. So ’ne Art Kiosk, wissen Se? Zeitschriften, Süßigkeiten, Getränke. Nischt Großes, läuft ganz gut.“ Sie schob mir eine Tasse Kaffee zu. Weißes Porzellan mit Goldrand. „Trinken Se erst mal! Erich kommt gleich nach Hause.“

      Ich ergriff die Kaffeetasse.

      In diesem Moment sprang mich irgendetwas Riesiges an. Das Etwas fiel von oben auf meine Schulter. Ich spürte einen stechenden Schmerz. Entsetzt kreischte ich los und verschüttete den Kaffee auf die Tischdecke.

      Frau Krüger drohte nur schmunzelnd mit dem Zeigefinger. „Felix ist halt so liebebedürftig!“

      Das Katzenvieh krallte sich an mir fest. Am liebsten hätte ich Felix abgeschüttelt und mit ungebremster Wucht auf den Fußboden geschleudert, aber dann wäre das mühsam aufgebaute Wohlwollen meiner Gastgeberin verspielt gewesen. Also, Gefühle verleugnen und gute Miene machen! Ich versuchte, die Schmerzen zu vergessen und nicht daran zu denken, welche Male die blöde Katze mir aus reiner Launenhaftigkeit zufügte. Wagner müsste mir Schmerzensgeld zahlen. Aber sicher würde Gundula uns wieder Storys auftischen, mit welchen reißenden Bestien sie sich in ihrer glänzenden Karriere um einer guten Geschichte willen herumgeschlagen hatte. Außerdem stand heute Morgen in meinem Horoskop: Denken Sie daran, wie prima der selbsterarbeitete Erfolg schmeckt! Ich würde weder Qualen oder Mühen scheuen, um diesen Erfolg auf meiner Zunge bald zergehen lassen zu können!

      „Komm zu Mama!“, schnurrte Frau Krüger und lockte ihren Liebling mit pappigem Sandkuchen.

      Felix schmiegte sich prompt an ihren molligen Busen.

      Vollers Schleimspur zeigte auch bei Herrn Krüger, der kurz darauf nach Hause kam, eine lange Nachwirkung. Die barsche Telefonstimme hatte er vollkommen abgelegt. Mühelos schlängelte er sich zwischen den Möbeln durch. Drahtig und wendig wie ein Aal schlüpfte er zur Kommode und angelte nach einer Kognakkaraffe, aus der er sich großzügig bediente. Anscheinend ernährte er sich lieber flüssig, weil seine Frau ihm gemeinsam mit Felix alles Feste wegfutterte. Lautlos und ohne ein Möbelstück zu berühren, balancierte er mit einem Glas in der Hand zu uns zurück, wobei seine biegsame Figur sämtliche Ecken und Kanten geschmeidig umging. Ich stellte mir den alten Herrn als Seiltänzer im Zirkus vor.

      Er kam zur Sache, schob eine Porzellanelfe und einen vergoldeten Kerzenleuchter vom Tisch und breitete einen Aktenordner sowie zahlreiche Papiere vor mir aus. Immerhin wünschten die Krügers sich rund 3500 Quadratmeter Grundstücksfläche. „Wir träumen von ein bisschen mehr Platz.“ Stauraum für ihre Vasen und Porzellanfiguren?

      „Sie wollten dort bauen?“

      „Wir haben jahrelang gespart. Und nun möchten wir auf unsere alten Tage hin raus aus diesen beengten Verhältnissen.“

      „Jetzt ist wieder nischt daraus geworden. Kleine Leute haben das Nachsehen. Und die Großen werden sich feudal einrichten“, mischte sich Frau Krüger grollend ins Gespräch.

      „Lass mal, Mutti, es hilft ja nichts!“, tätschelte ihr Mann ihren wabbeligen Arm, was ihm ein Faucherchen des reizenden Felix einbrachte. „Das war’s!“ Er schwenkte die Absage der Verwaltung durch die Luft.

      „Müssen wir Ihnen leider mitteilen ...“ Eine Absage. Zwei Wochen, bevor die Frist verstrichen war!

      Mein Journalistenblut kochte. Wie ein Spürhund nahm ich die Witterung auf. Das roch nach Skandal! „Sie können gegen die Ablehnung klagen. Die Bewerbungszeit ist nicht vorbei.“

      Herr Krüger winkte müde ab. „Unser Gebot war gut. Höher können wir nicht gehen. Anwälte kosten unnötiges Geld. Ich wette, dass die sauberen Herren das sowieso unter sich ausmachen!“

      Mich überraschte seine Selbstsicherheit, mit der er den Verdacht äußerte. „Wissen Sie noch etwas?“

      Herr Krüger schüttelte den Kopf. Er ließ die Papiere durch seine Finger gleiten.

      Frau Krüger streichelte mit traurigem Blick ihren Felix, der mich aus seinen grünen Katzenaugen feindselig fixierte. „Dort am Fluss leben zu können, war mein Traum. Gott, man wird sich ja wohl auch mal was wünschen dürfen, wenn man sein Leben lang jeden Cent umgedreht hat! Wir werden nicht jünger. Von da wären es zu allen Läden oder zu den Ärzten wenige Minuten zu Fuß gewesen. Jetzt müssen wir überallhin mit dem Auto fahren.“

      Nachdem ich hundert Mal versichert hatte, Krügers als Informanten aus allem herauszuhalten, gab er mir seine Unterlagen zum Kopieren mit. Ich konnte auch Frau Krüger nicht davon abbringen, mir ein Stück ihres trockenen Kuchens einzupacken.

      Hier stank etwas kolossal! Und ich würde herausfinden, was es war!