Mordsschock!. Gaby Hoffmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gaby Hoffmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847656647
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„Guten Tag, Sie müssen die neue Redakteurin vom Rosenhagener Tageblatt sein. Ich bin Christine Riecken, Kulturausschuss.“ Sie erkundigte sich, wie es mir in Rosenhagen gefiel. Wir tauschten eine Weile Belanglosigkeiten aus. Sie erzählte mir von ihrem Informatikstudium und ihrer Tätigkeit als Freizeitpolitikerin im Kulturausschuss. Engagiert schilderte sie mir ihre Arbeit. Trotz ihrer zierlichen Figur wirkte sie energisch, wie jemand, der sich gerne durchsetzte.

      Irgendwann stockte unser Gespräch, wie es manchmal passiert, wenn man sich gegenseitig fremd ist.

      Nur um irgendetwas zu sagen, bemerkte ich: „Der tragische Tod Ihres Parteikollegen hat Sie sicherlich alle erschüttert! So jung, sich mit dem Auto einen Abhang hinunterzustürzen. Brr ...“ Ich schüttelte mich.

      Sofort verdüsterte sich ihr Gesicht. Die Rehaugen schweiften in die Ferne, als hätte sie meine Anwesenheit einen Moment lang vergessen. Der kämpferische, entschlossene Ausdruck, den sie eben trugen, verschwand und wich Verwundbarkeit.

      „Hoffentlich habe ich nichts Falsches gesagt?“, bedauerte ich.

      Sie zuckte zusammen. „Nein, nein.“

      „Werden in der Kiesgrube heimliche Rennen gefahren?“ Mein Gefühl sagte mir, dass diese Frau mehr wusste als die anderen, mit denen ich bisher gesprochen hatte.

      Tatsächlich landete ich anscheinend endlich einen Volltreffer. Christine Riecken klammerte sich wie eine Hilfesuchende erschrocken an einen Ast des Ahorns. Sie schaute plötzlich zerbrechlich aus. „Wie kommen Sie darauf?“

      „Warum düste Ihr Parteikollege sonst nachts in der Kieskuhle umher?“ Als sie nichts erwiderte, beschloss ich, weiter die naive Ahnungslose zu spielen. „Und außerdem soll auch ein anderer dort vor einiger Zeit ums Leben gekommen sein.“

      „Ja, Sebastian.“

      „Sie glauben nicht daran, dass die beiden sich umgebracht haben?“

      Sie schwieg. Mit gesenktem Kopf lehnte sie am Baumstamm.

      Ich vergaß alle Vorsicht. „Christine, was ist geschehen? Sie wissen es doch.“

      Als sie nicht antwortete, insistierte ich weiter: „Haben Sie Kommissar Herder Ihre Vermutungen mitgeteilt?“

      Sie blickte mich düster an. Es war, als wolle sie meine Augen mit ihren festnageln. Komischerweise dachte ich einen Moment lang wieder an die ernsten Augen des toten Peter Heimann, die mich so fasziniert hatten.

      Christine Riecken machte eine ruckartige Bewegung und griff nach meinem Ellenbogen. Kaum berührt, ließ sie ihn wieder sinken. Wie ein Reflex, den sie in derselben Sekunde bereute. „Schreiben Sie etwas über die Unglücksfälle in der Kiesgrube?“ Die Stimme war nah an meinem Ohr, die Lippen bewegten sich kaum. Ihre Frage quälte sich offenbar gewaltsam einen Weg aus ihrer Brust ins Freie.

      Taktisch wartete ich ab, was sie weiter sagen würde.

      „Lassen Sie die Finger davon!“, flüsterte sie. „Sie sind neu und können es nicht wissen. Es ist gefährlich!“

      „Was?“

      Statt einer Antwort murmelte sie: „Vergessen Sie, was ich gesagt habe!“ Sie schritt davon.

      „Halt! Warten Sie!“, wollte ich sie aufhalten.

      Sie hörte nicht und verschwand in Richtung Gartentor. Mit ihr verließ auch eine Hauptakteurin die Party – die Sonne. Aber im Gegensatz zum unscheinbaren Abgang von Christine Riecken feierte sie ihren Abschied als Diva im feuerroten Abendkleid, das den Himmel verfärbte und die Gäste zu vielen „Ohs“ und „Ahs“ hinreißen ließ, als wäre dieses Schauspiel eigens für sie inszeniert worden.

      Ein seltsames Gespräch. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Entweder war die Frau ein bisschen durchgedreht oder ich lag mit meinen Zweifeln an den beiden Selbstmorden richtig. Christine Rieckens Reaktion versetzte mich in eine seltsame melodramatische Stimmung, die so gar nicht zu einer fröhlichen Party passte. Was meinte sie damit, ich solle die Finger von der Story lassen?

      Je nachdenklicher ich wurde, umso mehr schwoll der Lärmpegel um mich herum an. Stündlich enthemmter, bewegten sich die blau-grauen Gruppen auf dem Rasen unter bunt flackernden Lampions in der Dämmerung immer rascher auf und ab, sodass mir vom Zusehen schwindelte. Christine Rieckens Depressivität färbte ab.

      Ich beschloss, ein Glas Bowle zu trinken, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen.

      Am Bowlestand palaverten Ken Winter und Kommissar Herder. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende haute seinem baupolitischen Sprecher gerade männlich derb auf die Schulter, und dieser grölte hinter vorgehaltenem Bierglas über irgendeinen schmutzigen Witz.

      „Ha, ha“, japste Winter, „aber kennst du den? Kommt eine Blondine ... Oh Verzeihung!“ Er hatte mich entdeckt und drehte sich, wie es mir vorkam, ein wenig spöttisch in meine Richtung.

      „Ich bin keine Blondine“, entgegnete ich gelassen. „Aber kennen Sie den mit dem Teufel?“

      „Nein!“ Neugierig scharten sich die Männer um mich.

      „Also, der geht so: Der Teufel kommt auf die Erde und will nicht erkannt werden, deswegen nimmt er seine Hörner ab. Er besucht eine Bar, setzt sich an den Tresen, bestellt eine Caipirinha und fragt den Barkeeper: ‚Weißt du, wer ich bin?‘

      ‚Klar‘, sagt der, ‚du bist der Teufel!‘

      Verärgert zieht der Teufel von dannen. Am nächsten Abend färbt er sich menschenrosa und besucht wieder ohne Hörner die Bar. Er schlürft eine Caipirinha und fragt den Barkeeper: ‚Weißt du, wer ich bin?‘

      ‚Natürlich, du bist der Teufel!‘

      Wütend zieht der Teufel ab. Beim nächsten Barbesuch erscheint er ohne seine Feuerforke, in menschenrosa und ohne Hörner. Als er seine Caipi ausgetrunken hat, stellt er dem Barkeeper erneut die bekannte Frage, und dieser antwortet wie immer: ‚Du bist der Teufel!‘

      Der Teufel ist verzweifelt. Er trennt sich auch den Schwanz ab. So geht er zu einer Prostituierten. Nach dem Sex fragt er sie: ‚Weißt du, wer ich bin?‘

      Sie schüttelt den Kopf: ‚Nein, das weiß ich nicht! Aber ficken kannst du wie der Teufel!‘“

      Während ich den Witz beendete, kullerte mir ein Fußball vor die Füße.

      „Mensch, Caroline, so bringt das keinen Spaß!“, maulte Ernst-August, der hinter dem verschossenen Ball seiner Schwester her rannte.

      „Moment mal!“ Ich zog meine hochhackigen Schuhe aus, holte mit dem rechten Bein Schwung und zielte den Ball in Ernst-Augusts Arme. Erinnerungen an den Teil meiner Jugend, den ich kickend mit den Jungs aus der Nachbarschaft auf unserem Hinterhof verbracht hatte, erwachten.

      „Witze erzählen und Fußball spielen kann sie auch!“, stellte Ken Winter anerkennend fest und drückte mir ein frisches Glas Bowle in die Hand.

      Ich schwebte. Heiße Freude kroch in mir hoch. Nach all den Nörgeleien der letzten Zeit sog ich Komplimente durstig ein. Ich beugte mich vornüber, um den Ball aufzusammeln. Bei dieser ruckartigen Bewegung segelte etwas Flaches, Weißes aus meinem Ausschnitt auf den Rasen.

      Der kleine Ernst-August preschte vor und hob es auf. „Sie ham Ihre Serviette verloren.“ Er hielt Ken Winter die Slipeinlage unter die Nase.

      Alle Redakteure besaßen eine eigene E-Mail-Adresse, die im Impressum der Zeitung abgedruckt wurde, sodass die Leser direkt Anregungen oder Fragen an uns senden konnten. ‚Drei neue Nachrichten‘ leuchtete es in meinem Posteingangskorb.

      Eine Mail von Lila: ‚Geliebte Einsiedlerin, vergiss uns nicht in der Provinz! Heute hat mich deine kleine Schwester besucht. Sie fühlt sich von allen ungerecht behandelt. Von dir übrigens auch, du hast sie wohl oberlehrerhaft abgebügelt.‘

      Ich dachte an meine SMS und gab ihr recht.

      ‚Vic hat Stubenarrest bekommen, weil sie beim Klauen erwischt wurde. Natürlich ist sie durchs Fenster getürmt,