Augen wie Gras und Meer. M.T.W. Mayer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: M.T.W. Mayer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738036176
Скачать книгу
fünfte Peitschenhieb.

      Unsicher drehte Milia sich wieder zu dem Platz. Aret war auf die Knie gesunken, sein Rücken schien nur noch aus Hautfetzen zu bestehen. Milia wurde schlecht bei seinem Anblick. Die Wache blickte erwartungsvoll hinauf zum Schah, der ruhig nickte, sich umdrehte und zurück in den Palast ging. Die anderen folgten ihm, Milia wurde von Atif sanft hinein geleitet. Das Letzte was sie sah, waren mehrere Menschen, die auf Aret zuliefen, um ihm aufzuhelfen. Danach verschwand die Szene hinter den leichten Vorhängen.

      Der große Raum fühlte sich für Milia schrecklich kalt an. Der Schah sagte ein paar kurze Worte zu einer Wache, danach wollte diese Ebo wegführen. Ohne nachzudenken, rief Milia erschrocken: „Wo bringt ihr ihn hin?“ Sie hatte diese Frage wohl etwas zu heftig hervorgebracht, denn alle Anwesenden blickten sie einige Zeit schweigend und stirnrunzelnd an.

      „Zu einem Arzt“, antwortete schließlich der Schah ruhig. „Er ist sehr schwach.“ Dann schickte er mit einer Handbewegung die Wache mit Ebo hinaus. Noch während Milia auf die mittlerweile geschlossene Tür blickte, wandte sich der Schah direkt an sie.

      „Werte Aimilia, Ihr seid sicher erschöpft von Eurer Reise. Rhani wird Euch in Euer Zimmer führen. Dort könnt Ihr Euch waschen und umziehen. Wir werden heute Abend mit meiner Familie speisen.“

      Sanft wurde Milia von Rhani Richtung Tür geführt. Unfähig zu antworten, ließ sie es geschehen.

      Es dauerte einige Zeit, bis in der eilig herbeigetragenen Wanne genug Wasser war, um darin zu baden. Rhani bekam dabei Unterstützung von einigen anderen Sklavinnen. Milia hatte währenddessen auf dem Bett gesessen und ihr offenbar neues Zimmer begutachtet. Es war nicht sonderlich groß, doch war alles darin, was man brauchte: eine schlichte Kommode aus hellem Holz, ein Spiegel, einige Truhen, auf deren Deckeln teilweise bunte Kissen platziert waren, um sie auch als Sitzgelegenheit zu nutzen. Ein kunstvoller Wandschirm aus Holz und rot eingefärbten Stoffbahnen. Und natürlich das Bett auf dem sie saß, drapiert mit Kissen in verschiedenen Größen sowie einer zarten und einer gröberen, dickeren Decke.

      Sie schaffte es nicht wirklich, einen klaren Gedanken zu fassen. Immer wieder sah sie Aret vor sich, an der Steinsäule gestützt mit zerfetztem Rücken. Ohne einen Schmerzenslaut hatte er die Peitschenhiebe über sich ergehen lassen.

      Rhani berührte Milia sanft am Arm. Offenbar war das Bad fertig, auch wenn in der Wanne nicht annähernd genug Wasser war, damit sie darin hätte versinken können. Dennoch stand sie auf und ließ sich ohne Widerstand entkleiden. Ihr Gewand war vom Sand der Wüste grau und steif geworden. Vorsichtig stieg sie in die Wanne. Das Wasser war lediglich lauwarm, doch Milia fehlte die Kraft, um die Sklaven zu Recht zu weisen. Routiniert begannen sie, ihr den Sand vom Körper zu waschen und ihr Haar zu entwirren. Immer wieder gossen sie dabei frisches Wasser aus Eimern über sie. Ihr Badewasser färbte sich braun vor lauter Sand.

      Als Milia aus der Wanne stieg und abgetrocknet wurde, musterte Rhani sie streng und sagte dann ein paar Worte zu einem jungen Mädchen, das danach verschwand. Sie begann dann, die Form von Milias Augenbrauen mit einer Pinzette zu zupfen, während eine andere Sklavin ihr Haar mit wohlriechenden Ölen pflegte. Nach einiger Zeit kam das Mädchen zurück, in ihrer Hand ein Behälter mit einer dampfenden Substanz. Rhani nahm es ihr ab und bedeutete Milia, sich auf das Bett zu legen, nachdem sie die Decken zur Seite geschlagen hatte.

      „Das ist Halawa“, erklärte sie. „Heißer Zucker. Gegen die Haare.“ Damit deutete sie auf Milias Achseln, ihre Beine und ihre Scham.

      Erschrocken fuhr sie zurück.

      Doch Rhani sah sie unbeeindruckt an. „Keine Angst. Ich bin vorsichtig.“

      Der Schah hatte einen Peplos bereit legen lassen, falls Milia in ihr bekannter Kleidung zum Abendessen erscheinen wollte. Die Sklavinnen jedoch wusste nicht, wie man ihn anlegte, weswegen er wenig elegant wirkte. Dennoch genoss Milia das vertraute Gefühl des schweren Stoffes auf ihrer Haut. Als sie allerding ihr Zimmer in Begleitung von Rhani verließ, schlug ihr eine Welle aus Hitze entgegen, sodass ihr das lange Kleid bald am Rücken zu kleben begann.

      Das Abendessen wurde in dem großen Raum eingenommen, in den Milia früher am Tag geführt worden war. Der Schah saß nun jedoch nicht auf dem reich verzierten Thron, sondern am Kopf des großen Tisches. Auf dem Boden lagen lauter Kissen, um gemütlich sitzen zu können. Bei ihm saßen noch andere Personen, von denen Milia nur Atif, seinen Sohn, erkannte. Alle trugen weite Obergewänder und bauschige Hosen. Um die Hüften hatten einige Gürtel geschlungen. Sie trugen aber ihre Schleier nicht mehr derart Streng vor ihrem Gesicht, sodass er öfter zur Seite rutschte. Milia fühlte sich mit ihrem Peplos zwischen ihnen äußerst unwohl. Der Stoff war zu warm, engte sie ein und drückte.

      „Verehrte Aimilia, ich freu mich, Euch an meiner Tafel begrüßen zu dürfen“, schwärmte der Schah, als sie sich setzte. Er hatte viele Lachfalten. „Meine Familie fühlt sich geehrt.“ Danach stellte er sie der Reihe nach vor, und Milia hatte große Mühe, sich seine Worte zu merken.

      Neben Atif nahm auch seine Mutter Fatime am Essen teil, eine schöne und anmute Frau. Sie dürfte bei seiner Geburt kaum älter gewesen sein als Milia es nun war. Daneben gab es noch drei Töchter: Ayla, Siham und Aischa. Während die erstgenannte so alt sein mochte wie Milia selbst, schätze sie Siham etwas jünger als ihre eigene Schwester Dora. Aischa hingegen mochte erst fünf oder sechs Jahre alt sein. Auch wenn eine Ähnlichkeit zwischen den Geschwistern bestand, hatte Milia das Gefühl, dass die Unterschiede doch zu groß waren, als dass sie alle die gleiche Mutter hatten.

      Milia hatte nicht gewusst, wie viel Hunger sie hatte, bis sie das Essen vor sich sah. Obwohl es weniger verschwenderisch war als die Mahle in Atlantis, lief ihr das Wasser im Munde zusammen. Es gab frische Brote, Getreidebrei, einiges getrocknetes Obst und Fleisch, dazu frische Feigen und Datteln. Getrunken wurde im Gegensatz zu ihrer Heimat kein Wein, sondern Wasser oder Kamelmilch. Nach den Tagen in der Wüste war dies für sie Festmahl genug.

      Die Gespräche waren lebendig, auch wenn Milia kaum etwas verstand. Atif und der Schah übersetzten gelegentlich für sie, und auch die älteste Tochter, Ayla, versuchte ihr hin und wieder den Sinn der Worte zu erklären, doch ermüdete Milia unfassbar schnell. Als der Schah das bemerkte, erklärte er das Essen für beendet und schickte alle Anwesenden bis auf Milia und Atif hinaus.

      „Ich hoffe, das Abendessen hat Euch nicht allzu sehr angestrengt“, fragte er besorgt, als sie unter sich waren. Ein Sklave brachte frischen Tee herein, der Milia wieder etwas Kraft schenken sollte. „Ich habe eine Bitte an Euch und ich hoffe, Ihr könnt sie mir so bald wie möglich erfüllen.“

      Unsicher blickte Milia von dem Schah zu seinem Sohn. Sie bezweifelte, dass es um einen Gefallen ging, sondern eher um einen Befehl. Dennoch spielte sie sein Spiel mit. „Um welche Bitte handelt es sich?“

      „Ich bitte Euch, einen Brief an Euren Vater aufzusetzen. Er soll wissen, dass ihr unverletzt seid.“ Milia verstand nicht den Sinn hinter diesem Auftrag, doch der Schah sprach ruhig weiter. „Um zu versichern, dass der Brief von Euch ist, bitte ich Euch zudem, einige persönliche Bemerkungen oder Begebenheiten zu erwähnen, von denen nur Ihr Kenntnis haben könnt. Macht Euch keine Sorgen, niemand außer Eurem Vater wird diesen Brief sehen. Sobald Ihr ihn vollendet habt, wird er versiegelt.“

      Atif holte Papier und Tinte und legte es vor Milia auf den Tisch. Danach gingen sie zu einem kleinen Tisch, der hinter dem Thron verborgen war und schienen dort selbst einen Brief zu verfassen.

      Offensichtlich wollten sie Peris mitteilen, dass sie in ihrer Gewalt war. Und ihr Brief sollte der Beweis dafür sein. Obwohl es Milia missfiel, damit ihren Entführern zu helfen, wollte sie, dass ihr Vater wusste, dass sie wohlauf war. Also begann sie zu schreiben. Sie benannte ihre Entführung als „Reise“ und das Ebo bei ihr war, in der Hoffnung, dass das ihrer Familie Hoffnung geben und sie beruhigen würde. Selbstverständlich teilte sie auch Ebos Erklärung mit, Dora wäre mit der Sklavin Sia geflohen und dass sie täglich dafür betete, dass sie in Sicherheit wäre. Milia wollte gerne noch hinzufügen, dass es ihr gut gehe, aber hier hielt sie inne. Auch wenn alle in dieser seltsamen Stadt freundlich zu ihr gewesen waren, konnte sie sich nicht dazu überwinden, das