Der siebte Skarabäus. Ursula Arn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ursula Arn
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752922622
Скачать книгу
Narr, Karte 0 der Heldenreise

       Das Unterbewusstsein der Menschen unterscheidet sich in keinem Volk der Erde. Alle kennen die gleichen Märcheninhalte, verstehen dieselben Symbole und besitzen den identischen Archetypen.

       Jede Heldenreise beginnt als Narr, um unsere Eigenheiten und Stärken zu entdecken.

       Der Narr wird noch nicht durch festgefahrene Meinungen blockiert. Alle Wege stehen ihm offen. Unbekümmert trampelt er los, nur sein kleiner Hund schützt ihn vor dem Abgrund.

       Diese Karte erscheint, wenn wir uns festfahren. Sie fordert dazu auf, das Kind in uns zu wecken, gibt die Kraft, die den Stillstand verhindert und ermuntert uns, den Sprung ins Dunkle zu wagen.

       Großes vollbringen immer wieder diejenigen, bei denen wir es uns nicht vorstellen können. Die Lösung kommt nie von dort, wo wir sie erwarten, sondern immer vom Narren.

      ***

       Aram

      Hör zu. Du musst wissen, es ist mir zu Ohren gekommen, und nur Gott alleine kennt die wahre Geschichte …

      In einer fernen Zeit in einem fernen Land, so wird erzählt, wurde in einem Dorf, das immun gegen den Lauf der Zeit war, ein Knabe geboren. Sein erster Schrei war bemerkenswert. Hoffnungsvoll nannten sie ihn Aram, nach seinem Großvater, und begrüßten ihn mit einer Gewehrsalve, denn nur in einer starken Sippe lebten sie sicher.

      Er war der Erstgeborene einer Frau, die noch nicht ganz dem Mädchenalter entwachsen war, und des ältesten Sohnes eines Familienoberhauptes. Somit wurde er zum Kronprinzen eines Stammes ausersehen, der beinahe so viele Mitglieder zählte wie die Schweiz Einwohner.

      Nicht nur aufgrund seines Geburtsrechts galt er als Anführer, er bewies sich auch als Alfa-Tier der Alfa-Tierchen.

      Ausgestattet mit Kriegergenen bis unter die Schädeldecke, kräftig, wild und ohne Furcht, war er so glücklich, wie es nur Kinder sein können, für die weder das Gestern noch das Morgen existiert, sondern nur das Heute.

      Ihr Dasein war hart und geprägt von Hunger. Lange vor dem Abendessen saßen die Kinder auf dem Boden vor der offenen Kochstelle, und aus spielenden Geschwistern wurden Feinde, die bereit waren, ihre karge Mahlzeit zu verteidigen.

      Die Erziehung der Nachkommen übernahm, wie es üblich war, der Großvater. Er brachte ihnen die wichtigsten Regeln ihres Volkes bei wie das Gesetz der Gastfreundschaft und die Notwendigkeit, Beleidigungen zu rächen.

      Mit Aram hatte er eine rahmenfüllende Aufgabe übernommen. Er war nicht schwererziehbar, aber schwer zu erziehen.

      „Junge, lerne deine Kraft zu zügeln. Wenn du deine Freunde behalten möchtest, dann lass sie auch mal gewinnen. Du weißt, dass du der Stärkere bist. Wozu brauchst du noch Beweise?“

      „Junge, lerne endlich eine gesunde Furcht. Ein Stier, der mit den Hufen scharrt, will nicht mit dir spielen. Und jetzt verschwinde, hilf deiner Großmutter.“

      Aram fürchtete und respektierte seinen Großvater gleichermaßen. Ein Blitz aus dessen Augen oder ein vorgestreckter Zeigefinger reichte aus, um aus dem Straßenkater ein folgsames Kätzchen zu machen.

      Aber das hier war jetzt wirklich eine ungerechte Strafe! Großmutter beaufsichtigte doch die Babys. Niemand hier nahm ihn erst. Die ließen ihn nicht einmal abends mit seinen Onkeln die Bettlacken nach Schlangen kontrollieren. Maulend suchte er seine Großmutter, die sicher wieder entzückt irgendwo irgendwelche schreiende Babys wiegte.

      Den Haushalt der Familie, verteilt auf ihre drei Häuser, die mittlerweile so überbevölkert waren, dass sich die Wände nach außen bogen, erledigten die Schwiegertöchter. Eine Woche arbeiteten sie in der Küche, eine auf dem Hof und eine im Haus. Danach waren sie für eine weitere freigestellt, die sie gelangweilt dazu benutzten, Streit anzuzetteln.

      Wie sollten sie sich auch sonst beschäftigen? Ins nächste Dorf spazieren, das genauso erbärmlich aussah wie ihres? Ihre Mutter besuchen, die mit 50 Jahren bereits verbraucht war und ihre Leiden an der Tochter ausließ? Lieber schwitzten sie im Küchenhaus, bemängelten das Feuer und stießen hier etwas um, beschmutzten dort etwas.

      „Was machst du da! Hat man dir nicht beigebracht, die Kartoffeln sparsam zu schälen? Wie auch! Wo du herkommst, gibt es ja keine Kartoffeln.“

      „Dumme Kuh! Meine Familie ist reicher als deine. Ich wurde mit zehn Jahren verlobt. Du warst schon alt, als dich endlich ein Mann aufnahm.“

      „Bist du eifersüchtig? Vielleicht hast du ja seine prächtigen Waden gesehen? Hörst du, wie er mich Nacht für Nacht aufsucht?“

      „Was nutzen dir schöne Beine, wenn er sonst nichts taugt. Ich habe drei Söhne, du nur eine Tochter.“

      Wie ein Erdbeben fühlte sich der Streit an und endete erst, wenn ein Onkel dazwischen ging.

      Aram streifte trotz brennender Sonne barfuß durch das halbverfallene Dorf - Schuhe konnten sie sich nicht leisten - und übte seine späteren Aufgaben als Befehlshaber der Streitmacht des Stammes, indem er die Kinder des Dorfes herumhetzte. Begeistert hing er seinen überbordenden Phantasien nach, in denen er sich als der größte Krieger aller Zeiten wähnte und bewaffnete sich mit allem, was er als brauchbar erachtete. Er baute ein gut getarntes Waffenlager, ernannte Vasallen und trainierte seine Kampfstärke. Jeder, der sich nicht rechtzeitig drücken konnte, wurde verpflichtet.

      Leider zeigte Großvater keine Begeisterung über seine heroischen Pläne. „Ein Krieger willst du werden? Drei Kriege habe ich erlebt. Mein Vater musste kämpfen, mein Großvater musste kämpfen, so wie alle unsere Vorfahren kämpfen mussten. Ich bete, dass du nie erleben musst, wie es sich anfühlt, wenn andere Völker unser Land als das Schönere empfinden. Spiel Fußball!“

      Fußball wäre nicht schlecht, eine weitere Kampfart. Aber dazu war der Diebstahl einer Melone zwingend, was dann auch wieder bestraft wurde. Und barfuß gegen eine Melone kicken? Das war seiner nicht würdig. Und überhaupt. Seine Füße wurden noch gebraucht, wenn er in die Schlacht marschierte.

      Arams Kriegergene waren stärker als seine Gehorsamkeit. Den Großvater stufte er höchstens als ernstzunehmenden Gegner ein, weshalb er ein Frühwarnsystem einführte. Wenn das dann mal Lücken aufwies, und ein brüllender Gjysh (Großvater) brach durch, fand Aram kein Versteck, das ihm sicher genug erschien und wechselte von einem Unterschlupf zum nächsten, bis er vergaß, wovor er auf der Flucht war.

      Regelmäßig wurde die Familie mit Babys versorgt. In kurzer Zeit hatte er sieben Brüder, womit sein Vater als reich angesehen wurde. Er hatte gute Arbeit geleistet.

      Ein Bub starb, weil Gott es so wollte. Die Trauer war unermesslich, doch niemand stellte dieses Schicksal in Frage.

      „Gott hat ihn gebraucht, was willst du da machen?“

      Überraschend bekamen die Brüder mit einem Abstand von 11 Jahren zum jüngsten Sohn noch eine Schwester. Branca mutierte zur meistgeküssten Prinzessin. Wo immer sie erschien, erstrahlten gleich mehrere Brüder, die sie entzückt hochhoben. Was immer sie anstellte, die Brüder applaudierten begeistert. Sie fühlte sich wie der Mittelpunkt der Erde und wuchs im Glauben auf, für Männer das Wasser in der Wüste zu sein.

      Mittlerweile mussten die Großeltern eine beachtliche Schar Kinder im Auge behalten, denn auch die Onkel waren fleißig gewesen. Doch nach einem harten Arbeitsleben die schmerzenden Gelenke der wärmenden Sonne zuwenden und dem Nachwuchs beim Spielen zuzusehen, empfanden sie als Belohnung. Zusammen entdeckten sie die Welt und brachten ihnen ihre Sicht des Lebens bei.

      Arams Kindheit war erfüllt von Wärme und Zuneigung. Die Fähigkeit zu lieben wird von den Eltern kopiert und ist im Alter von sechs Jahren abgeschlossen.

      Aram lernte sie. Trotz Hunger und Armut.

      Das Leben am Rand des Abgrunds liebte er, Verbote reizten ihn bestenfalls, und Gefahren übersah er, beschützt durch die Karte „der Narr“.

      Ein