Mara lebt ein braves Leben, formatiert durch ihren narzisstischen Ehemann. Hugo, ihr Mann mit den zwei Gesichtern, ist ein Blender und überzeugt das Umfeld, in ihm einen vorbildlichen Ehemann zu sehen. Immer öfter suchte er Gründe, um seine Launen an Mara auszulassen. Psychische Schläge hinterlassen keine sichtbaren Spuren. Um das Dasein mit Zuckerbrot und Peitsche zu ertragen, holt sich Mara die Fantasiegestalt ihrer Kindheit an ihre Seite. Als diese erträumte Figur dann in Fleisch und Blut in ihr Leben tritt, droht das eh schon instabile Fundament ihres Daseins endgültig zu zerbrechen – und sie gleich mit.
Mara muss sich entscheiden: Lässt sie sich von ihrem Ehemann weiter schikanieren oder von Aram, dem faszinierenden Albaner, verführen?
Mara findet einen Weg aus der Zwickmühle. Doch er ist so ganz anders, als sie ihn sich vorgestellt hat ...
In Dubrovnik erinnert sie sich: Alles begann mit einer Karte.
Einer Tarotkarte.
Widmung
Für Edith,
die an mich geglaubt hat.
Für Anja,
die die Dinge in die richtige Perspektive gebracht hat.
Prolog
Verlassen, aber einsam nicht.
Erschüttert, aber zerbrochen nicht.
Annette von Droste-Hülshoff:
Aus dem Gedicht: Lebt wohl
Verlassen, aber einsam nicht,
erschüttert, aber zerbrochen nicht sitz ich hier,
denn ich besitze Andenken an eine erfüllende Liebe, an Umarmungen, die Frieden brachten und mir offenbarten, dass es Leidenschaft ohne Leiden gibt.
So viele Gesten und Sätze haften in meinem Gedächtnis und wenn einmal meine Zeit gekommen ist, werde ich mit einem Lächeln und in der Gewissheit sterben, ihm erneut zu begegnen.
Denn so wird es immer und immer wieder sein.
Doch für dieses Leben ist unsere Frist verstrichen, das Rad des Schicksals hat sich gedreht und damit ich diese Liebe der Vergangenheit übergeben kann, schreibe ich darüber. Erst, wenn etwas erzählt wurde, wird es zur Geschichte. Erst, wenn man ihren Namen kennt, versteht man sie.
Nur, wie beginnt man eine Erzählung, in der so viel Schmerz und noch mehr Freude vorhanden sind? Eine Geschichte über das Unvermögen zu verzeihen, und das Erstaunen über die Schönheit einer Liebe, von der mir prophezeit wurde, sie sei chancenlos, bis ich aufhörte, darüber zu sprechen.
Heute ist die Zeit gekommen, mit Schreiben anzufangen, und mit Nachdenken aufzuhören. Ich werde versuchen, Ihnen zu erklären, und vielleicht auch mir, weshalb sich unsere Wege kreuzen mussten.
Meine Geschichte beginne ich mit den Worten, mit denen Aram seine Parabeln eröffnete, und deren Unterhaltungswert unermesslich war: „Hör zu! Du musst wissen, es ist mir zu Ohren gekommen und nur Gott alleine kennt die wahre Geschichte …“
Dubrovnik, 1. Oktober
Dubrovnik, die Perle an der Adria. Ein Weltkulturerbe von einzigartiger Schönheit. Eine Stadt, die bis ins 3. Jahrhundert vor Christi zurückführt und deren mittelalterliche Bauten einen unvergessenen Charme ausüben. Sie vermitteln das Gefühl, in einem Märchen zu verweilen. Das Besondere ihrer Atmosphäre lässt sich nicht in Worte fassen. Man muss Dubrovnik besuchen, um es zu begreifen.
***
Die Maschine der Croatia Airlines landet pünktlich um 17 Uhr. Na also, denke ich. Es gibt sie doch, die pünktlichen Kroaten. Meine Erfahrung lehrte mich etwas anderes. Die Landung ist abrupt, die Pneus spucken Feuer. Zum Glück erinnere ich mich erst nach der Vollbremsung, dass der Pilot dazu gezwungen wird, denn außerhalb der Piste folgt nur noch das Meer.
In der Halle wälze ich mich mit heiteren Touristen zum Ausgang. Seit andere Destinationen von selbstermächtigten Irren in die Luft gesprengt werden, hat sich die Anzahl der Gäste in Kroatien vervierfacht. Doch ich bin nicht hier, um Ferien zu genießen. Ich suche Aram.
„Möge Gott dich beschützen, Mara“, waren seine letzten Worte, bevor er in einer dunklen Wolke verschwand und mich erstarrt auf dem Sofa zurückließ.
Ein Jahr ist seither vergangen. Ein Jahr ohne ein Zeichen von ihm. Beim Abschied versicherte er mir: „Meine Mail-Adresse bleibt dieselbe. Ich melde mich nicht, aber ich sehe jeden Tag nach, wann du kommst. Du kannst bleiben, solange du willst. Einen Tag, einen Monat, ein Jahr.“
Nur, die Nachricht über meine Ankunft wurde nie beantwortet. Seine kroatische Handynummer ist mir unbekannt. Scheint, als hätten wir keine Zukunft. Nur eine Vergangenheit.
Auch am Flughafen wartet kein lachender Aram auf mich. Die Halle noch länger abzusuchen hat wenig Sinn, denn er hätte mich in der Menschenmenge erspäht. Er sieht, hört und findet mich überall.
Unsicher trete ich mit der ferienfreudigen Masse in die glühende Sonne Kroatiens. Zum ersten Mal hoffe ich auf seine Unpünktlichkeit. Er wird jede Minute im gemächlichen Tempo vorfahren, mich anlächeln und mit seinen Armen erdrücken, rede ich mir ein und wedle die Taxis genervt weg. Eine Stunde später nehme ich die rosarote Brille ab und öffne kleinlaut eine dieser Taxitüren.
„Kommt er nicht?“, fragt ein deutschsprechender Fahrer. Natürlich spricht er Deutsch. Alle beherrschen Fremdsprachen, nur ich nicht. Ein Fehlschlag, und schon schleppe ich wieder ein Bündel Unsicherheit mit mir herum.
„Sieht so aus.“
„Trottel“, antwortet er überzeugt.
Niemand, der in Dubrovnik eintrifft, kann sich diesem Anblick entziehen. Mein Aufenthalt wird sich vielleicht nicht wie geplant entwickeln, aber wenigstens vor der Kulisse einzigartiger Schönheit.
Nur einen Katzensprung vom Flughafen entfernt hält das Taxi vor einem Gebäude, das genauso trostlos wirkt, wie ich mich fühle. Anscheinend habe ich mir für meinen Urlaub den letzten Zeugen einer sozialistischen Ära ausgesucht. Alle anderen wurden dem Krieg geopfert.
„Bleiben Sie hier, bis sicher ist, dass ich ein Zimmer bekomme?“, frage ich den Fahrer. Es fällt mir schwer, den einzigen Verbündeten ziehen zu lassen.
Ein nüchtern eingerichteter Raum bietet mir Gastfreundschaft. Nicht gerade eine Wohlfühloase. Im Ambiente von grauen Betten, grauen Schränken, grauen Wänden richte ich mich ein. Aber der Ausblick ist wunderschön.
Das Hotel ist mir bereits bekannt und da ich keinen Plan B vorbereitet hatte, nannte ich dem Taxifahrer den einzigen Namen, den ich kannte. Die Anlage hat sich nicht verschönert, seit ich mit meinem Exmann und den Jungs eine Woche hier verharrte. Nur am Strand, denn Aktivitäten kosten, was ganz im Sinne der Jungs war. Oder kennen Sie Kinder, die Kirchen besichtigen, ohne dabei von unerträglichen Bauchschmerzen befallen zu werden?
Das Panorama über das Meer mit Blick auf die Altstadt entschädigt mich fürs Erste. Dieses Bühnenbild zieht mich magisch an, und unsicher gebe ich dem Sog nach. Ich habe durchaus Qualitäten, aber Orientierungssinn gehört definitiv nicht zu meinen Kernkompetenzen.
Noch nie stand ich mitten im Herzen einer solchen Kulisse. Dubrovnik ist entschieden die schönste Stadt, die ich je gesehen habe. Eine Weile wandere ich umher, ängstlich darauf bedacht, wo komm ich her, wo will ich hin.
Die gleiche Frage trieb mich auch zu Hause umher. Leider fand ich die Antwort nicht rechtzeitig, denn sonst würde ich nicht einsam auf dieser Bank ausruhen.
Ob er auch schon hier saß?