Der siebte Skarabäus. Ursula Arn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ursula Arn
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752922622
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Haare erscheinen heller, durchzogen mit grauen Strähnen, seine sind unverändert blauschwarz. Meine Kraft hat ihre Grenzen gefunden, seine Energie reicht immer noch aus, um eine Rakete zu starten.

      Ein Jahr dauerte es, um unsere Geschichte niederzuschreiben. Zeit, die weder für mich noch für meine Umwelt leicht zu ertragen war. Aber man muss zuerst zurückschauen, um festzustellen, in welche Richtung man vorgehen will.

      Am Ende stellte sich heraus, dass die Heldenreise des Tarots Karte für Karte ihre Weisheit in unserem Lebenslauf gefunden hat. Nur die letzte änderte ich, und dafür bezahle ich jetzt den Preis.

      Alles ist so anders hier. Wunderschön und fremdartig. Die Geräusche der Nacht, wie die Luft riecht. Auch die Grillen sind verstummt, als ob sie lauschen würden.

      Die Altstadt hat sich geleert, die Touristenherden sind von ihren Hirtenhunden auf die nächste Weide getrieben worden. Im Sommer hüten sie Touristen, im Winter Schafe vor nicht veganen Wölfen, die der Hunger aus höheren Regionen vertrieben hat. Die Kunst bleibt dieselbe: Den Überblick behalten und zählen.

      Die Touristen, die nicht wissen, was sie in den alten Steinen sehen sollten, sind erleichtert abgezogen. Nur die wenigsten interessieren sich für die Erläuterungen der jungen Kroaten mit abgeschlossenem Hochschulstudium. Für sie endet die Vergangenheit gestern. Alles andere führt ihnen vor Augen, dass sie sterblich sind.

      Es ist kalt geworden. Morgen werde ich das Hotel Palais suchen. Die einstige Villa aus der glanzvollen Zeit der österreichischen Monarchie dient heute als Herberge für Gutbetuchte.

      Vor mehr als hundert Jahren legte die Familie meiner Großmutter auf ihrer Reise von Triest nach Montenegro hier Zwischenstation ein, um danach mit dem Kaiserhof in Sveti Stefan Urlaub zu verbringen. In halsbrecherischem Tempo von dreißig Stundenkilometern fuhren sie auf Straßen, die keine waren. Nur vor den bedrohlichen Pässen wurden Frau und Kinder in den Zug verfrachtet.

      Diese einstige Villa beweist, sofern man den Besserwissern glauben darf, dass unsere Beziehung auf magerem Boden steht, denn sie bezeugt, dass Aram und ich nicht aus dem gleichen Stall stammen.

      Auf meiner einsamen Bank am Hafen begebe ich mich in Gedanken auf zwei Heldenreisen, deren Bestimmung es war, eines Tages zu einer zu verschmelzen.

      Davon möchte ich euch erzählen.

      Es ist die Reise von Aram und von mir.

      Monique

      Nie werde ich vergessen, wie ich mich fühlte, als ich das erste Mal eine Kartenlegerin aufsuchte.

      „Tja. Es wird eine Scheidung geben. Schon bald“, sinnierte meine neue Bekannte über ihre Karten gebeugt. Ich schaute sie skeptisch an und fragte mich, in was ich da schon wieder reingeschlittelt war.

      „Wann?“, erkundigte ich mich hämisch. Ich glaubte ihr nicht.

      Monique wiegte ihren Kopf leicht hin und her. „Im Herbst. Dann wirst du deinen Mann aus dem Haus stoßen.“

      Das war nicht die Antwort, die ich trotz Vorbehalten erhofft hatte, nur durfte ich nicht mehr länger den Gedanken an eine mögliche Scheidung verdrängen.

      Aber doch nie durch mich veranlasst! Er ist mein Mann. Zusammen blicken wir auf eine Vergangenheit. Ohne ihn war ich ein Niemand. Vor allem finanziell. Alle Zukunftspläne wären nur noch zu Makulatur mutiert.

      „Eine andere Frau spielt mit, aber das endet böse. Die beiden zerfleischen sich“, hörte ich.

      Plötzlich empfand ich sie doch als überaus kompetent.

      Monique starrte auf die Karten. „Du hast zwei tolle Söhne. Sie versuchen, dir das Leben zu erleichtern. Sie respektieren ihren Vater, dulden aber nicht, dass du leidest.“

      Jetzt durchströmte mich eine Wärme, wie ich sie schon lange nicht mehr gespürt hatte. Eine alles versengende Hitze, ja, die kannte ich noch, denn im letzten Jahr wurde ich mehrfach barfuß durch die Hölle und zurückgejagt.

      Diese Qualen hatten ihren Preis. In der Vergangenheit wurde ich im Schlaf durch Dämonen geplagt.

      Nach einer solchen Nacht blieb mir nach dem Aufstehen nur noch die Zeit, mich wieder hinzulegen. Fassungslos über den Schmerz versuchte ich zu hecheln, wie ich es bei der Geburtsvorbereitung gelernt hatte, und dann doch nicht fähig war, diese Technik anzuwenden.

      Außerstande, die Bettdecke hochzuziehen, fror ich erbärmlich und gleichzeitig rann mir der Schweiß über die Stirn. Neben mir wartete unerreichbar das Telefon, dessen Einbau ich genau für solche Notfälle durchgesetzt hatte.

      „Was willst du? Einen zweiten Anschluss? Die Prinzessin wünscht einen zweiten Apparat, damit sie noch mehr schwatzen kann. Hast du eine Ahnung, wieviel der kostet?“, spuckte mein Mann Hugo verächtlich aus.

      Wie stellte er sich vor, dass ich gleichzeitig mit zwei Apparaten auf zwei verschiedenen Stockwerken telefonierte?

      Im Moment wähnte ich mich in einer Szene aus einem Hitchcock-Film, in dem die attraktive Blondine zehn Zentimeter vom Hörer entfernt elendiglich zu Grunde geht, und dabei bis zu ihrem Ende perfekt frisiert und makellos geschminkt bleibt. Um die Tragik der Situation zu betonen, liegt ein roter Absatzschuh neben ihrem linken Fuß. Wir alle verbringen doch unseren Feierabend in High Heels.

      Eines stand fest, ich brauchte Hilfe. Millimeter für Millimeter dehnte ich meinen Arm näher zum Hörer, bis ich ihn packen konnte.

      Endlich hörte ich im Untergeschoss das furchterregende Knurren eines sechs Kilo schweren Wachhundes, der über das Öffnen seiner Haustüre nicht erfreut war, und bald trat mein Arzt ein. Unerschrocken hatte er Attila in den Garten verbannt.

      Gott segne meine Leichtsinnigkeit, die Haustüre nicht abzuschließen, denn wer sich einbunkert, erhält nur erschwert Hilfe.

      „Ihr Körper signalisiert Ihnen: Bis hierher und keinen Schritt weiter. Unternehmen Sie etwas“, mahnte er mich.

      Was redet der da! Mich hat bloß die Hexe getroffen. Doch tief im Innern fand ich seinen Gedanken nicht abwegig.

      „Und was soll ich machen? Sobald ich weiß, wie sich mein Leben entwickelt, komme ich schon wieder ins Lot.“

      „Ich bin für Ihre Schmerzen zuständig, nicht für Ihre Ehe. Wie die sich entwickelt, kann ich nicht prophezeien. Ich bin ja kein Hellseher.“

      „Und wo find ich den?“, fragte ich mit dem Rest an Sarkasmus, den ich in meiner Lage noch aufbringen konnte.

      „Weiß nicht. Aber manchmal inserieren sie in der Rubrik ‚Gemischtes‘ in der Zeitung“, antwortete er. Internett war noch kein Thema.

      Und sowas nennt sich Arzt!

      Nachmittags sorgte eine Nachbarin dafür, dass Atilla zu seinen Rechten kam. Kurz schaute sie bei mir vorbei und fand mich selig lächelnd im Bett. Wie wunderschön das Leben doch war! Die Atemluft war kühl und samtig, mein Körper schwebte leicht über der Matratze. Das herrliche Licht, das Schattenspiele an die Wand warf, die zwitschernden Vögel im Garten, mein eigenes Gekicher, alles entzückte mich.

      Vielleicht lässt mich dieser seltsame Doktor noch mehr von dem Zeugs nehmen, das er mir gegeben hat, hoffte ich.

      Zuerst kichernd, dann prustend, und zum Schluss lauthals grölend erzählte ich ihr vom Rezept meines Arztes, mir die Zukunft prophezeien zu lassen.

      „Sag mal, was hat der dir denn gespritzt?“ Ebenfalls Ärztin war sie einem Berufsbild verpflichtet, dessen Vertreter davon überzeugt sind, jeder Kollege sei bloß ein Depp mit hohem IQ.

      „Weiß nicht. Kann ja einen Hellseher fragen.“ Diesen Satz fand ich besonders gelungen und schaute sie lobheischend an.

      Doch die Frau Doktor antwortete: „Schau mal, Mara. Nach dem Krieg kreuzte in meiner Heimat die australische Marine mit Hellsehern über das Meer, um Minen zu orten. Es gibt Dinge, die kann der gesunde Menschenverstand nicht nachvollziehen. Da ist noch mehr, als wir beschreiben