Allerdings sagte mir derselbe Verstand auch, dass die Welt eine Scheibe sein muss, da ich sonst in Südafrika mit den Füssen nach oben auf dem Boden stünde.
Ein Hellseher? Bis zu diesem Tag waren für mich Kartenlegerinnen suspekte Zigeunerinnen, die auf Jahrmärkten ihre Kunden um ihr Geld prellen. Die ziehen dich in ein dunkel-violettes Zelt, das einzig durch tropfende Kerzen in Kandelabern beleuchtet wird, sitzen auf bordeauxroten Samtkissen und berieseln dich mit besorgter Miene: „Ich seeehe …, ich seeehe einen wunderbaren Mann. Pscht! Ich höre eine Glocke schlagen. Sie schlägt ein-, zwei-, dreimal. Ja. Genau. Um drei Uhr begegnet ihr euch. Oje, wird schwierig. Eure Verbindung ist karmisch.“
Selber schuld, wer dahin geht.
Nur war ich so verzweifelt, dass selbst der Gedanke, von halbseidenen Trickbetrügern über den Tisch gezogen zu werden, mich nicht davon abhalten konnte, am nächsten Morgen die Inserate durchzusehen.
Ich litt unter der Folge meiner ersten Drogenerfahrung mit anschließendem Entzug. Dass ich auf den Anrufbeantworter sprechen musste, fand ich unerhört, und übel gelaunt ließ ich meine Pläne wieder fallen.
Doch sie antwortete tatsächlich.
Mit schlechtem Gewissen vereinbarte ich einen Termin bei einer Monique und mein Herzschlag verdoppelte sich, als ich vernahm, wie viel er mich kosten wird. Wenn das mein Mann erfährt! Er quetscht doch jeden Rappen aus, bis er schreit.
Schockiert über mein baldiges Sakrileg wartete ich auf diesen Tag. Endlich hatte der Schrecken ein Ende, denn bestimmt würde sie mir liebevoll den Arm tätscheln und flüstern: „Mach dir keine Sorgen. Er kommt bald zurück.“
Wie die meisten Kunden erwartete ich eine positive Antwort. Wer bezahlt schon gerne für schlechte Ergebnisse?
In meinen Gedanken sah ich eine schwarzhaarige Frau in wallendem Rock und riesigen Creolen. Das brachte mich zum Kichern, als ich endlich an ihrer Haustür klingelte. Die Stärke meines Kicherns galt schon immer als Stressbarometer, und leider misst er auch in unangebrachten Situationen. Eine Angewohnheit, der ich nicht entrinnen kann.
Eine Frau, die meinen Vorstellungen einer Hellseherin nicht unähnlicher sein konnte, öffnete in schwarzen Leggins und oranger Bluse die Tür. „Komm herein, Mara.“
Nun doch etwas enttäuscht registrierte ich, dass im Haus der erwartete Hauch von Esoterik fehlte. Kein Geruch nach Weihrauch hing in der Luft, kein Zimmerbrunnen plätscherte in der Ecke, keine Nerv tötenden Klänge füllten die Stille.
Unsicher setzte ich mich im Wohnzimmer an den Esstisch und Monique, blond, mischte energisch ihre zerflederten Karten. Fest entschlossen, kein Wort preiszugeben, um ihr die Antworten nicht in den Mund zu legen, saß ich etwas zu gerade auf der Stuhlkante und wartete.
Wie es sich herausstellte, brauchte ich nicht erst zu soufflieren, denn Monique wusste bereits alles. Ungläubig starrte ich sie an und fragte mich, wie es ihr möglich war, nach wenigen Minuten des Zusammenseins derart hinter meine Fassade zu blicken.
„Deine Schwiegereltern lassen dich fallen. Sie fordern ihre Geschenke zurück, selbst wenn es sich nur um einen Aschenbecher handelt.“
Ich schwieg, aber insgeheim stimmte ich ihr zu.
„Du wirst das Haus verlassen und dir eine neue Bleibe suchen.“
Ich schwieg weiter, obwohl es mir schwerfiel, denn das war nun wirklich das Letzte, das ich tun würde.
„Und hier, hier vor dir“, energisch klopfte sie mit dem Zeigefinger auf eine Karte, „steht schon dein nächster Partner. Er ist mindestens zehn Jahre jünger als du und ihr kennt euch bereits. Er wartet nur noch, bis du frei bist. So ein dunkelhaariger, rattenscharfer Typ.“
Jetzt vergaß ich definitiv zu schweigen. Genau genommen wurde ich laut. „Nie im Leben! Ein Jüngerer! Ich bitte dich! Ich will mich doch nicht für meine Falten genieren. Das Alter ist etwas Natürliches.“
„Eben. Darum brauchst du dich auch nicht zu schämen.“
„Nein! Niemals.“
„Da kommst du aber nicht drum herum. Euch verbindet ein rotes Band und so, wie ich diesen Mann sehe, wird er es eines Tages aufwickeln.“
Der Gedanke, meine Seele vor einem neuen Partner zu entblößen, versetzte mich in Panik. Ein anderer sollte mich berühren, dazu noch einer, der - wie Monique es ausdrückte - rattenscharf sein soll! Meine Ehe steckte lediglich in einer Krise. Nicht angenehm, kam aber in den besten Familien vor, nicht wahr? Ich wollte doch nur von ihr wissen, wie lange ich noch zu leiden hatte.
„Ich kenne keinen schwarzhaarigen, rattenscharfen Mann“, rief ich entschieden. Jetzt schwebte ich nicht mehr eingeschüchtert auf der Stuhlkante.
Monique beherrschte ihr Metier. Gerade erst hatte ich beschlossen, nichts zu sagen und jetzt öffnete ich die Schleusen.
„Wenn es hier steht, ist es so. Es ist nicht euer erstes gemeinsames Leben, und er sucht dich immer wieder, bis eure Aufgabe erledigt ist. Dem kannst du nicht entgehen. Ihm schon gar nicht. Dieser Mann weiß, was er will, und wohin er will.“
Zu Monique getrieben hatte mich die Frage, wann mein Ehemann endlich einsehen würde, dass er sein wahres Glück längst gefunden hatte. Und jetzt? Jetzt beunruhigte mich dieser Jüngling.
„Du hast noch einen langen Weg vor dir. Sobald du alle Hindernisse weggeräumt hast, wirst du zum ersten Mal frei leben.“
Verwirrt und durch Schuldgefühle geplagt, weil ich ihr glauben wollte, rannte ich die Treppe hinunter.
Sie hat gesagt, dass alles ein gutes Ende nehmen wird. Und das kann nur bedeuten: Hugo findet den Weg zurück. Zurück zu mir.
Fasziniert von den Karten schlich ich tags darauf in das Esoterikgeschäft, an dem ich bisher mit abschätzigem Blick vorbeigeschritten war, schnappte mir ein Spiel und eilte in der Hoffnung, dass mich niemand erkannt hatte, wieder davon.
Zu Hause quälte ich mich durch die Plastikhülle und breitete die befreiten Karten auf dem Bett aus, nur um sie dann wie ein lästiges Insekt von der Decke zu wischen.
Das hier war ein anderes Kartendeck, als Monique benutzt hatte, und mir trotzdem nicht unbekannt. Aber ich verstand nicht, woher ich es kannte, und weshalb die Karten mich so erschreckten.
Qualvolle Monate vergingen, in denen mir nur noch die Hoffnung Kraft gab.
Hoffnung ist eine mächtige Droge. Trotzdem schrumpfte mit der Zeit mein Vorrat an Demut und ich hatte genug von Hugos haarsträubenden Lügen, mit denen er mir bewies, für wie beschränkt er mich hielt.
Ich setzte ihn vor die Tür. Erst danach dachte ich wieder an Monique. Es war Herbst!
Nach längerer Suche befreite ich die Tarot Karten aus ihrer Verbannung. Unsicher legte ich sie, wie ich es bei Monique beobachtet hatte, und las darin wie in einem offenen Buch. Schockiert darüber suchte ich die Telefonnummer von Monique heraus. Ich hatte viele Fragen.
Ist der Schüler reif, erscheint der Meister.
Wir machten einen Termin aus und in der Folge brachte sie mir ihr Wissen bei.
Mein Umfeld reagierte erschrocken über mein neues Interesse, sah sich in der Meinung über mich bestätigt und versuchte, mich wieder auf den rechten Pfad zu lenken.
Unbeeindruckt davon las ich von der ältesten Geschichte, die in allen Sprachen und Kulturen wieder und wieder erzählt wird.
Von der Heldenreise, die in Märchen und Mythen eingewoben ist, und sich niemand ausgedacht hat.
Vielmehr entspringt sie dem Unterbewusstsein.
Teil 1 der Heldenreise
Die Erziehung des Helden und Entwicklung zur
Eigenständigkeit