Die erste Legende von Ashamur. Eileen Schlüter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eileen Schlüter
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753191638
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bestanden habe“, verkündete Aris stolz. „Wie du siehst, kann sich auch der Sohn eines Büffelzüchters Privilegien verdienen und deswegen lasse ich nicht zu, dass zwei dahergelaufene Schnösel so einfach in mein wohlverdientes Einzelzimmer einziehen!“

      „Willst du etwa gegen die Entscheidung der Tempelvorsteher angehen?“, fragte Navar mit großen Augen.

      Aris seufzte. Selbstverständlich würde er das niemals wagen. Angespannt kniff er die Lippen zusammen. Aber wie wurde er diese beiden Eindringlinge, die soeben das große Vordertor des Tempels erreicht hatten, bloß schnell wieder los?

      Es war nun fast dunkel. Er beobachtete angestrengt, wie die zwei Gestalten und ihre Pferde das Tor passierten. Im Innenhof nahm ihnen jemand die Pferde ab. Bis auf diese gepflegten, gut genährten Rassepferde, wirkten die beiden auf den ersten Blick nicht sehr besonders, stellte Aris fest. So winzig, wie der eine war, musste es sich bei ihm offensichtlich noch um ein Kind handeln. Den anderen schätzte Aris höchstens eineinhalb Jahre jünger als er selbst war. Ob sie wohl Magieträger waren, so wie er und Navar? Na gut, Navars magische Fähigkeiten waren nicht der Rede wert und an einer Hand abzuzählen. Aris´ Magie dagegen war, wenn man den Worten des Großmeisters Glauben schenkte, außergewöhnlich und äußerst viel versprechend. Denn während Navar die selten nutzlose Fähigkeit besaß, mit einer magischen Berührung Pflanzen zum Welken zu bringen, gelang es Aris mit der gleichen Berührung, Gliedmaßen anderer Menschen für kurze Zeit zu lähmen.

      Unter den derzeitigen Tempellehrlingen gab es nicht ausnehmend viele Magieträger. Die meisten von ihnen zeigten lediglich heilerische Fähigkeiten. Navar besaß die Fähigkeit sich vor Angriffen zu schützen, indem er blitzschnell eine unsichtbare Schutzwand vor seinem Körper aufbauen konnte, die allerdings nur für wenige Sekunden bestehen blieb. Auch Aris besaß diese Fähigkeit, hatte sie jedoch schon so weit optimiert, dass er mehr als nur einem Wurfgeschoss standhalten konnte. Auch hatte er erkannt, dass er durch die Spiritualität, die er durch die tägliche Meditation erlangte, immer wieder stärkere magische Kräfte entwickelte. Schon als Kind hatte Aris orakelhafte Vision gehabt. Er sah Bruchstücke von Ereignissen, die kurz darauf geschahen. Zuerst hatte er sich diese zu Nutze gemacht, indem er sich bei Versteckspielen auf die Person konzentriert hatte, die es zu suchen galt und sogleich erschien vor seinem inneren Auge splitterartig der Ort, an dem sie sich versteckt hatte. Eine derartige Fähigkeit war natürlich in jeder Lebenslage von erheblichem Vorteil.

      Aris und Navar standen von ihren Meditationsstätten auf und stiegen den Hügel hinab. Sie begaben sich zum hinteren Eingang des Tempels.

      „Der Ältere ist ein Magieträger“, sagte Navar.

      „Woher weißt du das?“, erkundigte sich Aris nun interessiert.

      „Das habe ich zufällig Großmeister Nakoro zu Meister Asak sagen gehört, als sie zusammen durch den Korridor gingen. Er will Heiler werden.“

       Heiler?

      Enttäuschung machte sich auf Aris´ Gesicht bemerkbar.

      „Als gäbe es nicht schon genug Heiler im Reich der vier Himmel!“, brummte er. Navar zuckte nur mit den Achseln.

      Bei den Allmächtigen. Ein Kind und ein Heiler, dachte Aris. Schlimmer hätte es ihn nicht treffen können!

      Doch Aris wollte sich seinen Unmut keinesfalls äußerlich anmerken lassen. Schon gar nicht vor dem Großmeister. In den vergangenen Jahren im Tempel hatte er gelernt, wie er seine innere Mitte fand und schlechte Energien verbannte und so konzentrierte er sich darauf, ruhig Blut zu bewahren und den Dingen seinen Lauf zu lassen.

      ***

      Mit pochendem Herzen trat Kel vor Großmeister Nakoro. Dass Jard nur ein paar Zentimeter neben ihr stand, bereitete ihr aber kaum das Gefühl von Sicherheit. Wenn dieser weise alte Mann auch nur den kleinsten Verdacht schöpfte, was sie in Wahrheit war, war es nicht gut um sie bestellt. Prompt offenbarte sich ihr mahnend ein kirschrot angestrichenes Haus vor ihrem inneren Auge. Hastig schüttelte sie diesen entsetzlichen Gedanken ab.

      Großmeister Nakoro war ein kleiner, leicht untersetzter Mann, mit grauem Haar, das er zu einem strengen Knoten auf seinem Kopf gebunden trug. Seine freundlichen mandelförmigen Augen glänzten beinahe schwarz. Er hatte einen schmalen Kinnbart, der bis zur Mitte seines Brustbeins reichte und trug eine knöchellange Robe aus schwarzem Brokat, die mit prachtvollen bunten Mustern verziert war und in der Taille mit einer goldenen Schärpe gebunden war.

      Er legte seine Faust in die Handfläche vor seiner Brust und empfing die beiden mit einer würdevollen Verneigung. „Willkommen im Tempel des Westens, dem größten im ganzen Reich der vier Himmel!“, sagte er mit einem fremd klingenden Akzent. Vermutlich hatte er in jungen Jahren noch eine der älteren Sprachen erlernt, die seit Jahrhunderten immer mehr in Vergessenheit gerieten und nur noch von sehr wenigen Familien besonders im Ostreich gesprochen wurden.

      Kel und Jard erwiderten die Begrüßung auf die gleiche Weise. Kel atmete innerlich auf. Der Großmeister schien sie für einen ganz normalen Jungen zu halten.

      Ein paar Schritte hinter dem Großmeister stand ein langer, dürrer Bursche von etwa siebzehn Jahren, mit raspelkurz geschorenen rötlichen Haaren. Sein Gesicht war mit Pickeln und roten Pusteln übersäht und seine wimpernlosen, hellblauen Äuglein waren rosa umrandet, außerdem hatte er ungewöhnlich große Nasenlöcher, insgesamt erinnerte sein Anblick verblüffend an ein Ferkel.

      Er trug die typische Kleidung eines Heilers – weißes, knielanges Gewand mit Stoffknotenleiste über dunkeln Hosen – allerdings mit einer roten Gürtelschärpe, was ihn als ranghohen Schüler auswies.

      „Koho Kel, Koho Jarden, darf ich euch Taik vorstellen, er ist der ranghöchste Lehrling der Heilkunst und wird euch euer Quartier zeigen und euch über alles, was ihr wissen müsst, informieren“, sagte Nakoro und trat einen Schritt zur Seite, sodass der Junge vortreten konnte. Taik verneigte sich ehrfürchtig vor dem Großmeister, bevor dieser lautlos den Gang entlang verschwand. Dann wandte Taik sich Kel und Jard zu. Zur Begrüßung deutete er eine wenig manierliche Verneigung an, seine Arme und Hände hatten kaum Spannung während der vollführten Geste.

      Ohne ein weiteres Wort ging er den Korridor hinab. Kel und Jard wechselten fragende Blicke und folgten ihm eilig mit ihrem Gepäck.

      Nachdem sie um eine Ecke gebogen waren, blieb Taik stehen und musterte Jard von Kopf bis Fuß.

      „Ich bin jetzt dein Sempo und da du nur ein unbedeutender Koho bist, verlange ich, dass du mich auch so ansprichst, verstanden!“, zischte er.

      Jard schien perplex über den schroffen Ton des Schülers, dennoch verneigte er sich demütig. „Ja, Sempo Taik!“

      „Also, es läuft hier so. Ich entscheide, ob und wann du gut genug bist, für den Unterricht bei den Lehrmeistern. Ob ich dich allerdings für die Teilnahme an Großmeister Nakoros Unterricht vorschlage, steht in den Sternen!“ Er grinste herablassend. Dann setzte er den Weg durch den mit Fackeln beleuchteten Gang fort. Kel begegnete Jards entgeisterten Blick mit einem Augenrollen.

      Armer Jard, dachte Kel. Mit diesem Wichtigtuer an der Backe, würde er es ganz sicher nicht leicht haben.

      Vor einer dunklen Holztür machte Taik halt. „Hier werdet ihr schlafen und lernen!“

      Er klopfte kurz an die Tür und öffnete sie sofort, ohne ein Zeichen von drinnen abzuwarten.

      ***

      Nicht nur, dass ohne sein Wissen bereits zwei schmale zusätzliche Betten in seinem Zimmer aufgestellt worden waren, während er auf dem Hügel meditiert hatte, ließ Aris´ Laune auf einen Tiefpunkt sinken. Jetzt standen diese beiden Schnösel mit ihrer mondänen Stadtkleidung mitten in seinem Quartier und glotzten auf seinen nackten Oberkörper. Nicht, dass er sich für seinen wohlgeformten Schulter- und Brustbereich hätte schämen müssen. Und auch seinen flachen Bauch und die muskulösen Arme musste er nicht verstecken. Zum Glück hatte er die Hosen im gleichen Moment hochgezogen, als es geklopft hatte und Taik – dieser Wichtigtuer – mit den beiden