Nach kurzem Zögern schaut er mit seinen hellblauen Augen empor, drückt sich mit der linken Hand aus der Couch und ergreift mit der rechten Hand die Tüte.
«Wir nehmen es zurück», sagt der junge blonde Mann. Er richtet sich zu vollen zwei Metern Körpergröße auf und geht in Richtung Hauseingang. An der Eingangstür ergreift er einen schwarzen Rucksack, steckt die Plastiktüte in das große Fach, verschließt den Reisverschluss und verlässt das Haus ohne weitere Verabschiedung.
Mit aufgesetzt lockerem Gang geht Flo die Straße entlang und schlurft dabei mit den Sohlen der hellen Sneakers über die grauen Gehwegplatten. Die Hände steckt er tief in die Taschen der abgenutzten Baggyjeans. Kurz darauf zieht er aus der Jacke einen fertig gedrehten Joint und steckt sich diesen an. Mit einem tiefen Zug zieht er den süßlichen Duft in die Lungen und spürt schnell die Wirkung des Amnesia Haze in sich emporsteigen.
An der Bushaltestelle stellt Flo sich ein wenig abseits der ebenfalls wartenden Leute auf. Er zieht ein ums andere Mal an dem Joint, der ihn zunehmend entspannen lässt.
Ein wartendes Pärchen an der Haltestelle wendet sich ihm zu und betrachtet ihn von den Füßen bis zu den blonden Haarspitzen, die ihm über die abrasierten Seiten fallen. Alle anderen Fahrgäste entfernen sich ein paar Schritte. Sie stellen sich bewusst ein wenig weiter von dem jungen Mann auf, dessen blauer Dunst sie alle erreicht hat.
Das Pärchen jedoch lässt noch immer nicht den Blick von ihm abwenden. Während die Frau immer mal wieder in der Umgebung umherschaut, starrt der ältere Kerl ihn durchdringlich an.
«Was guckst denn so blöd? Zieh Leine, Alter!», harscht Flo den älteren Mann an, der sich von der aggressiven Ansprache jedoch nicht einschüchtern lässt.
«Mach du mal lieber deinen Joint aus, mein Lieber», erwidert der Mann. Er geht auf den wesentlich jüngeren Widersacher zu, der ihn verwundert anschaut.
«Sonst was, Oppa?», fragt Flo aufreizend und baut sich provozierend vor dem Mann auf.
«Sonst haben wir beide ein kleines Problem. Hier und jetzt», antwortet der Mann und weicht keinen Schritt zurück.
Flo antwortet mit einem tiefen Zug blauen Dunst, den er dem älteren Mann direkt ins Gesicht pustet.
Beide stehen lauernd gegenüber und starren sich gegenseitig in die Augen. Langsam zieht der ältere Mann eine Karte aus der Jackentasche und hält sie Flo direkt vor dessen Gesicht.
«Die Polizei, dein Freund und Helfer. Und nun machen Sie bitte den Joint aus und geben mir ihre Ausweispapiere», sagt Kuno im ruhigen Tonfall aus seinem vollbärtigen Gesicht. Er beginnt leicht dabei zu lächeln. Dabei fixiert er die entsetzten Augen von Flo. Er sieht, wie sich die eigentlich stark geweiteten Pupillen zusammenziehen und die Schultern in Fluchtrichtung zucken. Doch schon ergreift Kuno routiniert mit der linken Hand den rechten Arm von Flo. Er verdreht den Arm auf dessen Rücken, nachdem er ihn an den langen blonden Haaren packt und zu Boden reißt.
Schneller, als Flo realisieren kann, was gerade mit ihm geschieht, liegt er bereits bäuchlings auf dem Boden. Er bekommt durch die weibliche Partnerin von Kuno die Handfesseln auf dem Rücken angelegt.
«Sie sind vorläufig festgenommen wegen dem Besitz von Betäubungsmitteln. Sie müssen sich nicht zum Sachverhalt äußern und können erstmal einen Anwalt befragen», erklärt Kuno ihm, begleitet von dem metallischen Klicken der Handschellen.
«Hey, Alter. Wegen einem Joint so ein Aufriss? Das kann nicht euer Ernst sein. Das ist Eigenbedarf», erwidert Flo entsetzt. «Das kannst du nicht bringen, Alter.»
Ein langgezogenes Ratschen an seinem Rücken lässt Flo abrupt verstummen. Er legt die Stirn auf die kühle Betonplatte und hofft vergeblich darauf, dass das Unausweichliche nicht geschieht. Leises Knistern verspricht, dass die Wünsche nicht in Erfüllung gehen werden.
«Na, was haben wir denn da, mein Freund», frohlockt Kuno. «Ich denke, da werden wir wohl einen Streifenwagen für dich rufen müssen. Das kannst du gerne den Kollegen vom Rauschgiftdezernat erklären, Alter.»
12
Über dem Polizeistern in Alsterdorf steht die Sonne in ihrem Zenit. Sie strahlt wärmend durch das mit Alurahmen eingefasste Bürofenster genau auf Ottos Monitor. Das reflektierende Licht blendet ihn, so dass er die kleinen Schweinsaugen noch mehr zusammenkneift und sich die tiefen Tränensäcke leicht anlupfen. Otto reibt sich über den Mund und greift einmal tief in die Spekulatiustüte, um eine Handvoll Kekse aus ihr zu bergen. Schon jetzt sehnt er sich dem September entgegen, um endlich wieder die Vorräte von seinen Lieblingskeksen aufstocken zu können.
Knuspernd schmatzend wendet er sich zum Fenster und reißt den behördengrauen Vorhang vor die Sonne, ohne sich hierbei aus dem Bürostuhl zu erheben.
Mit harten Schlägen hackt er mit zwei suchenden Zeigefingern die ersten Erkenntnisse in die Tastatur. Er will dem bereits vorab ausschweifend informierten Staatsanwalt Schmidt, nach dem soeben beendeten Telefonat, eine erste Schriftlage überstellen.
Das Klappern der Tasten übertönt das Surren der Sicherheitsschleuse im Eingangsbereich des Flures vom Rauschgiftdezernat. Dort tritt gerade Tim Dombrowski mit forschem Tempo auf den Gang. Eilig sucht er die Bürotür von Otto auf und stellt sich noch mit Jacke bekleidet in den Türrahmen.
«Typisch! Keine Zeit am Telefon. Mir nichts erzählen können, aber den Mund voller Kekse haben. Das sieht dir ähnlich», ruft er gehässig in den Raum. Otto verschluckt sich vor Schreck an den trockenen Keksen und verteilt dabei einige Krümel auf dem aschfahlen Schreibtisch. Er nimmt einen großen Schluck von dem inzwischen abgekühlten Kaffee und wendet sich erst dann dem lauernden Dombrowski zu, der ihn mitfühlend anschaut.
«Du hörst dich an wie meine Frau», erwidert Otto und zieht die Mundwinkel leicht nach unten. Dabei schiebt sich die Unterlippe ein wenig über die schmale obere Lippe.
«Was liegt an, mein Lieber?», fragt Dombrowski ohne weiter auf den noch immer leicht schmollend anhustenden Otto einzugehen.
«Pass auf! Der Chef hat einen Anruf von einem unbekannten Teilnehmer bekommen, einem Hinweisgeber, der ihn auf dem Ohlsdorfer Friedhof treffen wollte. Da ist er hingefahren und hat dort einen ihm nicht weiter bekannten Südländer getroffen. Der hat ihm ein Pinneberger Kennzeichen genannt hat. Das Kennzeichen soll zu einem Laster gehören, der aktuell größere Mengen Kokain aus Spanien abholen soll. Und als Krönung des Ganzen ist unser guter alter Freund Cemal involviert.» Zufrieden grinsend lehnt sich Otto im Bürostuhl zurück und beginnt freudig zu strahlen.
«Und wann kommt der Laster? Oder wo ist der gerade? Wer ist der Fahrer und wohin wird er fahren? Zu welcher Firma gehört er und wie und wann waren seine letzten Routen?», fragt Dombrowski fordernd, doch Otto reagiert achselzuckend. Das breite zufriedene Grinsen entschwindet ihm dabei aus dem Gesicht.
«Dann rufe ich mal die Franzosen an. Schreibst du mir das Kennzeichen auf?», ergänzt Dombrowski auf die stumme Reaktion von Otto.
«Den Auszug vom Kennzeichen habe ich dir schon per E-Mail weitergeleitet. Aber was willst du von den Franzosen?», fragt Otto und runzelt die Stirn.
«Du weißt nicht, wo der Laster in Spanien ist?»
«Nö.»
«Du weißt nicht, wer der Fahrer ist und wie seine Rufnummer lautet, um ihn orten zu können?»
«Nö.»
«Welches Land liegt zwischen Deutschland und Spanien?»
«Holland.»
Dombrowski verdreht lächelnd die Augen. «Welches Land noch? Fängt mit Frank an und hört mit Reich auf.»
«Ja, Frankreich. Weiß ich doch.»
«Dann weißt du jetzt ja, warum ich die Franzosen anrufe.»
«Nö.»
Dombrowski wendet sich kopfschüttelnd von Otto ab und geht in sein gegenüberliegendes Büro. Dort setzt er sich zunächst hin und wirft ein paar verstreute Akten unsortiert