«Was die wollten?», fragt der noch, aber Cemal hat bereits den Laden verlassen und geht auf seine weiße Geländelimousine zu, vor der er auf den älteren Mann wartet.
«Beeil dich. Wir haben zu tun», fordert Cemal den älteren Südländer auf sich schneller zu bewegen. Dieser öffnet zwischenzeitlich per Fernbedienung die Türen und besteigt kurz darauf ebenfalls das Fahrzeug.
Der Motor wird unter lautem Aufbrummen angelassen und das Auto setzt sich kurz darauf mit hoher Beschleunigung in Bewegung.
14
Die angenehmen Lufttemperaturen lassen die Passanten in Canet-en-Roussillon an der französischen Mittelmeerküste in sommerlicher Garderobe über die Promenade laufen. Das Geschäft mit den Touristen läuft bereits wieder an und auch Capitaine Lebrédonchel sitzt noch immer gemütlich in dem geflochtenen Gartenstuhl. Er schaut sich in Ruhe die Menschen an, wie sie glücklich und zufrieden die ersten Urlaubstage am Strand genießen oder hungrig nach einem geeigneten Strandrestaurant Ausschau halten, sich aufmachen zum Surfen oder Baden. In der Vorsaison ist die Gendarmerie traditionell noch wenig gefordert. Es ist nicht so viel Trubel, wenige Touristen sind vor Ort und die Leute achten mehr auf ihre Sachen. So lässt Capitaine Lebrédonchel die ausgedehnte Mittagspause bei einem Café au lait ausklingen und trinkt dazu noch ein stilles Wasser aus den französischen Alpen.
Die eine oder andere Passantin lässt ihren Blick länger als notwendig am charismatischen Franzosen hängen. Mit seinen dunklen, welligen Haaren und den markanten, aber auch charmanten Gesichtszügen kommt er dem Sinnbild einer französischen Urlaubsfantasie sehr nahe. Lebrédonchel fühlt sich geschmeichelt von den Blicken, doch reagiert er nicht weiter auf die Avancen. Er schaut auf das blaue Meer und dessen Schaumkronen, trinkt dabei genüsslich den duftenden Café au lait, während ihm der Wind durch die Haare streicht.
Bei dem letzten Schluck beginnt plötzlich sein Telefon zu piepen. Es spielt eine schwungvolle Melodie und reißt Lebrédonchel aus den Gedanken über das Leben.
Er greift nach dem Telefon, das er auf dem Tisch vor sich abgelegt hatte und schaut auf das Display. In der Anzeige erscheint eine ihm wohlbekannte Rufnummer aus alten Zeiten. Ein Lächeln schlägt die Falten an den Augen ineinander. Er streicht den grünen Hörer nach außen und begrüßt Claire mit einem freudig langgezogenen «Bonjour.»
«Hallo Jaques, wie geht es dir? Ich hoffe du bist glücklich geworden in Perpignan?», fragt Claire mit einem fürsorglichen Klang in ihrer Stimme.
«Es ist anders, Claire, es ist anders. C’est la vie. Aber es ist auch schön hier. Alles ist ruhiger und gelassener. Die Leute sind nicht so hektisch. Sie genießen das Leben. Und ich habe Zeit, sehr viel Zeit», beginnt Capitaine Lebrédonchel zu erzählen, wird dann aber von Claire unterbrochen.
«Ich bräuchte einen Teil deiner Zeit, Jaques. Wir haben einen Laster mit deutschem Kennzeichen. Das schicke ich dir gleich per Email, sobald ich die Daten habe. Der Laster muss angehalten und kontrolliert werden. Er soll große Mengen Kokain transportieren.»
«Und wann soll dieser Transport kommen?», fragt Jaques Lebrédonchel sogleich, während er sich im Stuhl vorlehnt und einen Stift mit Schreibblock aus seiner Tasche entnimmt.
«Das wissen wir noch nicht. Du musst deiner Grenzpatrouille das Kennzeichen übermitteln. Es kann einen guten Fang geben», antwortet Claire mit Nachdruck in der Stimme.
«Alors. Ich werde alles veranlassen. Wir haben freie Hand? Oder müssen wir auf etwas Rücksicht geben?», hakt Lebrédonchel noch einmal nach.
«Ihr könnt frei agieren. Ich weiß, dass der Hinweis bei dir in den besten Händen sein wird. Gib mir Rückmeldung, sobald ihr ihn habt. Einverstanden?», bittet Claire.
«Du hörst von mir», verspricht Lebrédonchel voller Charme in der Stimme.
«Das hast du schon einmal gesagt», erwidert Claire «Au revoir, mon capitaine.»
Bevor Lebrédonchel etwas erwidern kann, ist das Gespräch bereits beendet. Mit einem Lächeln blickt er auf das Telefon und steckt es im Anschluss in die Tasche. Er legt einen Zwanzigeuroschein unter die Tasse, steckt seine Sachen ein und verlässt umgehend das Bistro, um zurück nach Perpignan zu fahren. «Endlich passiert mal was!», freut er sich und öffnet strahlend per Fernbedienung seinen Dienstwagen.
15
Im Hamburger Polizeipräsidium sitzt Gerd endlich wieder am geliebten, grauen Schreibtisch und schaut auf den Monitor. Er schreibt an einem Abschlussbericht für den letzten Fall und sucht mit beiden Zeigefingern nach den richtigen Tasten. Nach ein paar Wörtern, spätestens aber am Ende eines jeden Satzes, kontrolliert er, ob er auch die richtigen Tasten gedrückt hat. Zufrieden liest er den geschriebenen Text, speichert ihn zum Schluss ab und betätigt den Drucker. Ein Surren aus dem alten Tintenstrahldrucker ertönt. Was für ein Luxus im Vergleich zur alten Adler-Schreibmaschine, auf der er vor vielen Jahren noch die Berichte schreiben musste. Da durfte man sich keinen Schreibfehler erlauben. Dann hieß es „Noch einmal von vorne, Herr Polizeiwachtmeister Sehling“. Die Zeiten haben sich geändert und nichts würde er gegen diesen Platz eintauschen wollen. Er schaut aus dem Fenster über den Antreteplatz, der zumeist als Parkplatz genutzt wird, in Richtung des Stadtparks. Was Dörte wohl dazu sagt, dass er jetzt hier sitzt und Berichte schreibt.
«Du kommst sofort wieder zum Flughafen!», ertönt Dörtes strenge Stimme plötzlich in Gerds Ohr. Er schreckt auf und schaut sich in seinem Büro um. Der Telefonhörer liegt auf dem Telefon, das Handydisplay ist dunkel und auch im Raum steht niemand, schon gar nicht Dörte. Gerd reibt sich einmal das Gesicht und schaut durch seine kleinen Augen wieder in den Monitor, wo er mit der Maus das nächste Dokument öffnet.
«Herr Dehling, was machen sie hier? Suchen sie sich ein Hobby oder fliegen sie doch mal in den Urlaub!», spricht auf einmal die eiskalte Stimme von Kriminaldirektorin Baake zu Gerd, die ihm sofort alle Nackenhaare aufstellt und ihn schreckhaft zur Bürotür schauen lässt. Doch dort steht niemand, auch nicht Frau Baake. Langsam beginnt Gerd an seinen Sinnen zu zweifeln. Er schüttelt kurz den Kopf und greift nach einem Becher Kaffee von dem er einen guten Schluck trinkt.
«Herrlich!», entfährt es ihm und in Gerd steigt eine breite Zufriedenheit auf.
Ein Rumpeln, hektische Stimmen auf dem Flur, das Rascheln von Schutzwesten, die übergezogen werden, dröhnt auf einmal in Gerds Büro. «Wir müssen uns beeilen, der Junge ist gerade festgenommen worden mit einem Kilogramm Kokain im Rucksack. Die Durchsuchung ist vom Staatsanwalt Schmidt auf Gefahr im Verzuge angeordnet worden. Wer hat Zeit? Wer kann mitkommen?», ruft Otto lauthals über den Gang.
«Ich kann mit!», brüllt Gerd zum Flur hinaus und will gleich aufspringen, doch irgendetwas hindert ihn dabei.
«Gerhard, wirst Du wohl zum Flughafen kommen. Du fährst da jetzt nicht mit», schimpft Dörte auf Gerd ein.
«Herr Dehling, Sie verlassen umgehend das Büro. Was machen Sie hier überhaupt?», fragt Frau Baake mit striktem Tonfall.
«Leute, nehmt mich auch mit. Ich will mitkommen», brüllt Gerd verzweifelt.
«Vergesst die Ramme nicht und Beeilung, vielleicht liegt dort noch mehr in der Wohnung», hört Gerd Dombrowskis Stimme sagen.
«Gerd wäre jetzt bestimmt auch gerne dabei gewesen», unkt Harry Goldutt, der auf dem Flur vor der Tür steht und dabei Gerd feixend in die Augen schaut.
«Leute, verkohlt mich nicht. Ich bin natürlich dabei», ruft Gerd und versucht aufzustehen, doch seine Beine scheinen schwer wie Blei zu sein.
«Du kommst sofort zum Flughafen, Gerhard. Unser Flieger geht gleich», hört er wieder Dörtes Stimme rufen, die von seinen Füßen zu ihm aufsteigt.
«Hier arbeiten Sie auf jeden Fall nicht mehr, Herr Dehling», gesellt sich Frau Baakes Stimme aus der gleichen Richtung hinzu.
Gerd blickt an der Tischkante vorbei zu seinen Beinen und schaut direkt