«Ist das deine Frau oder Harry?», fragt Gerd neugierig, als er auf das Display schaut.
«Das is’ Harry. Meine Frau ist CHEF 1», antwortet Otto grinsend.
«Dörte, mach mal die Tür zu. Wir müssen telefonieren», ruft Gerd salopp durch die Tür zu ihr hinaus.
«Unser Flieger geht gleich, Gerhard», erwidert Dörte, während ihre Gesichtshaut bereits wieder einen rötlichen Schimmer annimmt und sie nervös und zornig auf ihre schmale Armbanduhr blickt.
«Die zwei Minuten wird der Flieger noch auf uns warten können», antwortet Gerd mit spitzbübischem Gesichtsausdruck, aber auch bestimmendem Unterton in der Stimme.
Wortlos fliegt die Tür mit einem lauten Knall ins Schloss, kurz bevor Dörte mit stechenden Schritten zu den Gepäckwagen marschiert, vor denen sie stehen bleibt, und beginnt in ihrer Handtasche nach einem Geldstück zu kramen, um einen Gepäckwagen auszulösen.
«Das kann dauern. Willst du nicht langsam mal abnehmen? Nicht, dass er noch auflegt», beginnt Gerd hektisch zu drängen. Ohne eine Antwort abzuwarten, drückt Gerd auf den grünen Hörer auf dem Display und lehnt sich wieder in seinem Sitz zurück.
«Moin Otto. Harry hier. Hast du den alten Mann am Flughafen abgegeben?», begrüßt die vertraute Stimme durch die versteckten Lautsprecher des Radios.
«Der alte Mann hört zu, du Sack», erwidert Gerd, bevor Otto auch nur Luft zum Antworten holen kann.
«Gerd, mein Lieber. Drängt es dich etwa gar nicht?»
«Hör bloß auf. Ich weiß gar nicht was ich da soll. Aber da muss ich jetzt durch. Oder brauchst du mal wieder die Hilfe eines Pensionärs? Alleine kriegt ihr es ansonsten ja nicht gebacken», antwortet Gerd grinsend, während er sich langsam nach vorne lehnt und mit offenem Mund und breitem Lächeln auf eine Antwort wartet.
«Passenderweise habe ich heute einen Hinweis erhalten. Cemal Sarikaya erwartet einen Laster mit Kokain aus Spanien, versteckt in Katzenstreupackungen. Otto, ich schicke dir gleich das Kennzeichen. Kümmer dich bitte darum, sobald du wieder im Büro bist. Den lassen wir uns nicht durch die Lappen gehen», berichtet Harry Goldutt.
«Und wo ist der Laster jetzt?», fragt Otto, der Gerd mit seiner Frage zuvorkommt, dem offenbar dieselben Worte auf den Lippen brennen. Neugierig lehnt sich Gerd dem Radio noch mehr entgegen, als würde Harry Goldutt hinter dem Display sitzen, während sich Otto einmal nervös über die Lippen leckt und sich im Anschluss mit der Hand über den Mund wischt.
«Irgendwas musst du ja auch noch machen. Also, schönen Urlaub Gerd! Otto muss jetzt an die Arbeit», erwidert Harry und beendet im Anschluss das Gespräch ohne eine weitere Verabschiedung. Auf dem Display erscheint wieder ein Hamburger Radiosender und aus den Lautsprechern tönt die hektische Stimme eines Zuhörers, der gerade versucht, schnelle Antworten auf Fragen des Moderators zu geben.
Gerd hört nicht auf das, was dort gesprochen wird, blickt auf und schaut zu Otto, der seinen Blick erwidert. «Ist jetzt nicht sein Ernst, oder?»
«Ich denke schon. Ich wünsch dir eine gute Reise. Dörte ist auch erfolgreich, wie ich sehe», sagt Otto und nickt über die Schulter von Gerd hinweg, wo Dörte mit strengem Blick durch die Beifahrerscheibe in das Fahrzeuginnere blickt. «Gute Reise, Gerd. Lass was von dir hören.»
«Haltet mich auf dem Laufenden. Und wehe ich höre nicht als Erster davon, wenn ihr den Laster kriegt», antwortet Gerd und fixiert Ottos Augen, bis dieser gnädig zu nicken beginnt.
Gerd wendet sich zögernd von Otto ab und schreckt zurück vor Dörtes Gesicht, das unmittelbar vor seiner Scheibe steht und ihn stechend anblickt.
Erst als Gerd den Türöffner betätigt, weicht sie zurück, und ihre Gesichtszüge entspannen sich zügig zu einer frohlockenden Vorfreude.
Gerd steigt mit leidvollem Stöhnen aus dem tiefen Sitz aus und geht zum Kofferraum, aus dem er die Koffer auf den bereitstehenden Gepäckwagen hebt.
Kaum schließt er die Heckklappe, startet Otto bereits den Motor und fährt mit zweifachem Hupen davon.
Traurig blickt Gerd dem eleganten Dienstwagen nach. Nur zu gerne wäre er sitzengeblieben und hätte die Jagd nach dem ominösen Laster begonnen.
«Kommst du, Gerhard?», schrillt Dörtes Stimme aus der großen Drehtür, in die sie in diesem Moment bereits den Gepäckwagen hineinschiebt und hinter einer mit Werbebanner beschlagenen Glastür verschwindet.
6
Die tosende Brandung schlägt lang auslaufend auf die Bucht von Canet-en-Roussillon. Von Süden her weht ein scharfer Wind, der den Geruch von Salzwasser und die Rufe der Seevögel an den Strand heranträgt. Dort liegen Touristen und Einheimische im hellen Sand und genießen den erfrischenden Wind, der die ansteigenden Temperaturen an der französischen Mittelmeerküste erträglich macht. Sie beobachten vereinzelte Surfer dabei, wie sie versuchen sich auf ihren Brettern zu halten und die wilden Wellenberge zu bezwingen.
In einem kleinen unscheinbaren Bistro am Ende der Strandpromenade, etwas abseits der Touristenpfade, sitzt Capitaine Lebrédonchel in einem geflochtenen Gartenstuhl. Er schaut auf die glänzende See und die sichelförmig an den Strand gebaute Uferpromenade. Gelegentlich wirft er einen Blick in die Karte des Bistros, in der die Meeresfrüchte als besondere Spezialitäten angepriesen werden.
Lebrédonchel trägt seine langen lockigen Haare mittig gescheitelt und lässt sie locker über die Ohren fallen. Nur, wenn der Wind die Haare zu sehr ergreift, streift er sie seitlich hinter die Ohren, so dass sie ein wenig Halt haben. Die sonnengebräunte Haut sowie die Lachfalten um die Augen herum verleihen ihm eine gesunde und ruhige Ausstrahlung. Unter dem Mund trägt er einen dünnen, leicht struppigen Bart, der kurz vor der Kinnspitze abschließt und wie ein Ausrufezeichen aussieht.
Das lockere weiße Hemd, das er über seiner blauen Leinenhose leicht geöffnet trägt, flattert im Wind und lässt die dunklen Brusthaare aus dem Revers hervorscheinen.
«Bonjour, Capitaine. Was darf ich Ihnen heute servieren?», fragt ein adrett gekleideter Kellner, der von rechts an den Tisch herantritt.
«Bonjour Francois. Bring mir bitte eine Bouillabaisse und einen Sauvignon Blanc», antwortet Lebrédonchel mit einem freundlichen Lächeln. Er reicht die Speisekarte an den Kellner, der sie sich unter den Arm klemmt, nachdem er dem Capitaine bestätigend zugenickt hat.
«Warum habe ich mir dieses Leben so lange Zeit aufgespart?», fragt sich Lebrédonchel in Gedanken. Er wendet den Blick wieder zum Meer, während er sich im Stuhl zurücklehnt.
Nach vielen zermürbenden Jahren bei der Police nationale in Paris ließ er sich vor wenigen Wochen zur Gendamerie nach Perpignon versetzen, um es ein wenig ruhiger anzugehen. Zurück in seinen Geburtsort im Südwesten Frankreichs unmittelbar vor der spanischen Grenze, den er damals eigentlich nie verlassen wollte. Doch dann ergriff ihn die Sucht nach Verbrechensbekämpfung und führte ihn in die französische Hauptstadt. In seiner Heimat läuft die Arbeit viel gemächlicher als in der pulsierenden Metropole. Niemand wird ihn hier in der wohlverdienten Mittagspause stören.
7
Mit einem lauten Rucken wird Dombrowski aus der Lethargie seiner ungeordneten Gedankenwelt gerissen.
«Die Zeit ist um», brüllt der Schließer in den kleinen Raum hinein. Er bleibt ohne erkennbare Gefühlsregung in der Tür stehen.
«Ist die Zeit etwa schon um? Das kann doch gar nicht sein», kreischt Charleen auf, während ihr umgehend Tränen in die Augen schießen, wie schon so oft in dieser für Dombrowski so ewig langen Stunde.
Dombrowski springt auf, während er dankend zur Uhr blickt, wo beide Zeiger direkt übereinanderstehen und sich der Sekundenzeiger zunehmend von ihnen entfernt.
«Ja, dann wollen wir mal, Frau Schulze. Tschüss, Herr Simsek. Bis die Tage.» Nachdrücklich blickt Dombrowski Charleen an,