Bulle bleibt Bulle - Ein Hamburg-Krimi. Ben Westphal. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ben Westphal
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754161807
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schreit Gerd, doch er kann sich nicht bewegen. Zu schwer ist das Gewicht an seinem Bein.

      «Gerhard. Unser Flieger startet gleich. Gerhard. Gerhaaard. Wach auf…»

      «Uuuahh!», entfährt es Gerd noch einmal und er schaut verschreckt um sich. Unten auf seinem Bein hockt ein kleines, blondes Mädchen mit elegant geflochtenem Zopf. Sie umklammert Gerds Hosenbein mit beiden Armen. Direkt neben ihm sitzt Dörte, die versucht beruhigend auf ihn einzuwirken. «Du hast geträumt, Gerhard. Unser Flieger geht gleich. Guck mal, du hast schon eine erste Freundin gefunden. Ist die nicht niedlich. Sie und ihre Eltern sitzen im Flieger direkt vor uns und übernachten sogar im selben Hotel. Ist das nicht ein Zufall. Jetzt sag doch auch mal was dazu.»

      Gerd reibt sich die Augen und blickt sich um. Auf seinem Fuß sitzt noch immer das kleine Mädchen, das offenbar darauf wartet Hoppe-Hoppe-Reiter zu spielen, während auf der gegenüberliegenden Bank ein junges Pärchen sitzt. Eine elegant gekleidete junge Frau, die ein älteres Abbild ihrer Tochter zu sein scheint und ein Mann mit Zopf. Ein Schreck durchfährt Gerd, denn er erkennt den Besitzer vom Zopf umgehend wieder. Froh darüber, dass der sich aktuell mit voller Aufmerksamkeit der aufdringlichen Idee seiner Tochter widmet und versucht sie mit Worten davon abzubringen, ordnet Gerd schnell seine Gedanken.

      Er ist sich sicher, dass es sich bei dem Mann um Steven Winter handelt. Gerd ist völlig irritiert, weil eigentlich müsste der doch derzeit in Untersuchungshaft sitzen. Noch vor kurzem wurde er von Gerds ehemaligen Kollegen wegen Handel mit Betäubungsmitteln eingesperrt. Warum sitzt der hier am Flughafen und vor allem warum darf er nach Spanien fliegen?

      Gerd versucht ein freundliches Gesicht aufzusetzen und begrüßt Steven und seine Freundin aufmerksam. Er stellt sich ihnen als Gerd vor und freut sich jetzt wenigstens auf die Tage in Barcelona. Denn das könnte doch spannender werden, als zunächst angenommen.

      16

      Im zweiten Stockwerk des Präsidiums sitzt Tim Dombrowski am Computer und stellt alle benötigten Daten für Claire in einer Email zusammen. Er versucht angehaltene Fahrer zu dem LKW zu ermitteln, Passbilder zu organisieren und Fotos, von dem zu erwartenden Lastkraftwagen, aus dem Internet zu ziehen.

      Während er an der Tastatur alles aufschreibt und zusammenkopiert, hört er, dass sich auf dem Gang etwas in Bewegung setzt. Es bricht eine routinierte Hektik aus. Schränke werden geöffnet, Schutzwesten übergestülpt und zwei Kollegen binden sich gerade ihre Dienstwaffen an die Gürtel.

      Sie bleiben unmittelbar vor der Tür von Dombrowski stehen und warten auf weitere Anweisungen. Einer von ihnen ist etwas kleiner und dicklicher mit einem Fusselbart am Kinn und immerzu freudig am Grinsen. Der Andere ist lang gewachsen, durch den widerspenstigen Bartwuchs hat er eigentlich immer Bartstoppeln im Gesicht und trägt eine Brille mit dunklem Rahmen. Beide haben kurze Haare und stehen immer als erste auf dem Flur, wenn es heißt, dass irgendwo jemand festgenommen werden oder eine Wohnung gestürmt und durchsucht werden soll.

      «Ernie, Bert, was liegt an?», fragt Dombrowski die beiden neugierig, doch beide zucken im Einklang mit den Schultern.

      «Scotty hat ihre Zielperson gerade von Kuno und Blondie festnehmen lassen, nachdem er ein Haus in Rahlstedt verlassen hatte. Immerhin wurde ein Kilogrammblock Kokain in seinem Rucksack aufgefunden. Jetzt werden wir erst einmal schauen, was wir noch zu Hause so Schönes bei ihm finden», antwortet Ernie und grinst dabei noch freudiger als zuvor. Seine Augen beginnen dabei zu leuchten.

      Aufgeregte Schritte laufen den Flur hinab auf Ernie und Bert zu. Dombrowski kann zwar nicht sehen, wer es ist, aber an der Frequenz kann er bereits erkennen, dass es sich nur um Scotty handeln kann.

      «So, Leute. Ich glaube, ich hab’ alles. Oder doch nicht. Warte. Tasche, Ausweis, Waffe. Okay. Die Durchsuchung ist auf Gefahr im Verzuge von Staatsanwalt Schmidt angeordnet worden. Dann mal los.» Scotty will auf ihren sportlich schlanken Beinen bereits wieder kehrtmachen, um mit wehenden, dunkelblonden Haaren den Flur hinab zu den Fahrstühlen zu laufen, als Ernie und Bert sich mit fragenden Blicken zu räuspern beginnen.

      «Ist noch was? Ach ja, die Ramme. Die müssen wir mitnehmen», beantwortet sich Scotty die Frage mit einem Anflug von Hektik in Stimme und Blick selbst.

      «Erzählst du uns noch was eigentlich Sache ist?», fragt Bert nun doch und hilft dabei der irritiert dreinblickenden Scotty auf die Sprünge.

      «Ach so. Klar. Natürlich. Ich hatte einen anonymen Hinweis auf Florian Köhler. Er sollte mit Drogen jeglicher Art handeln. Ich habe Kuno und Blondie gebeten ihn kurzfristig zu observieren. Er hatte ein Haus in Rahlstedt betreten und sein Rucksack sah im Anschluss voller aus. Wir haben ihn dann noch ein Stück weit begleitet, doch dann lieferte er einen guten Anlass für eine Überprüfung», berichtet Scotty mit überschlagender Stimme.

      «Lass mich raten, er ist über Rot gefahren», fragt Ernie aufgeregt dazwischen.

      «Nee, der fährt nur Bus.»

      «Dann hat er gekifft», ruft Bert, bevor Ernie ausreichend Luft für eine weitere Antwort holen kann.

      «Richtig! Und zwar direkt neben Kuno und Blondie. In seinem Rucksack hatte er einen Block Kokain. Der sieht allerdings aus, als wenn er schon einmal ausgewickelt war.»

      «Nicht sein Tag würd’ ich mal sagen», frohlockt Bert mit leichtem Lachen in der Stimme.

      «Wir werden jetzt auf jeden Fall erst einmal zu ihm nach Hause fahren und schauen, ob er dort noch Bargeld, Notizen und vielleicht ein bisschen Reststoff liegen hat. Er soll ja auch mit anderem Stoff handeln», führt Scotty fort.

      «Und dann fahren wir aber auch noch zu dem Haus in Rahlstedt, oder?», fragt Ernie nachdrücklich und beginnt mit dem Kopf zu nicken.

      «Nicht so schnell. Eins nach dem Anderen. Erstmal zu Köhler. Kuno und Blondie warten schon vor Ort. Dann schauen wir weiter. Ich muss schauen, wer dort in dem Haus wohnt. Nicht alles auf einmal, bitte», erwidert Scotty und holt sich mit einem Blick zu Dombrowski eine kurze Bestätigung für ihre getroffene Entscheidung, der ihr freudig zunickt.

      «Schaut erstmal, was die Wohnung von Köhler bringt. Dann sieht euer Drehbuch vielleicht schon wieder ganz anders aus», ergänzt er, um Scotty noch einmal zu bekräftigen.

      «Können wir dich anrufen, wenn noch was ist? Irgendwelche Abfragen oder so?», fragt Scotty vorsichtig.

      «Klar. Ich bin ja da», antwortet Dombrowski. «Viel Erfolg!»

      Und schon hört Dombrowski nur noch die schnellen zackigen Schritte von Scotty den Gang hinunterhuschen, während ihr Ernie und Bert in normaler Geschwindigkeit folgen.

      «Das kann ja wieder mal ein Tag werden», ruft Otto aus seinem Büro, worauf Dombrowski zustimmend nickt und bei der fertig geschriebenen Mail an Claire auf senden drückt.

      17

      Mitten auf der Veddel steht verlassen an einem großen Parkplatz die Veddeler Fischgaststätte. Der Name ist Programm und eigentlich kennt ein jeder Hamburger den Schuppen nur unter dem Namen Fischbratküche. Sie ist eine Institution im Hamburger Hafengebiet. Wer dort noch nie gegessen hat, der hat Hamburg auch nicht richtig gesehen. Natürlich kommt man nicht hierher, weil man unbedingt freundlich bedient werden möchte, eine gut gelüftete Räumlichkeit erwartet oder gar gesundes Essen auf den Teller bekommen mag. Hier geht man hin, wenn man Lust auf knusprigen Backfisch mit fettigem Kartoffelsalat hat. Mit ein wenig Glück regnet es auch nicht und man muss sich zum Essen nicht in dem Laden aufhalten.

      Auch heute scheint die Sonne. Die Lasterfahrer, Geschäftsleute, Handwerker und Touristen tummeln sich mit ihren Fischtellern an den Tischen vor der Fischbratbude. Sie sehen, wie eine weiße Geländelimousine mit hoher Geschwindigkeit bei aufheulendem Motor an ihnen vorbeirauscht und in Richtung Veddel fährt.

      Die Köpfe der Gäste folgen kurz dem weißen Geschoss, wobei sie allesamt verstummen, um kurz hinterherzuschauen. Doch die Ruhe ist nicht von langer Dauer. Schon wird sich weiter ausgetauscht über die Geschäfte und Geschehnisse des Alltags.

      In der Geländelimousine sitzt