Die Schule. Leon Grüne. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Leon Grüne
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754170724
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Stehen. Es musste ein lachhafter Anblick sein, wie er dort, mit Rollkoffer und Rucksack, vor dem Wald stand. Mit Sicherheit würde es ein perfektes Foto für die Kategorie: „Finde den Fehler“ in einem Rätselheft abgeben. Jedoch war nicht bloß sein Outfit, an einem Ort wie diesem, fehl am Platz. Er selbst gehörte ebenfalls nicht dorthin.

      „Das war also reine Beschwichtigung? Sie halten mich nicht für zurückgeblieben oder chronisch dumm?“

      „Es ist wie mit einem Baby, David. Wenn sie anfangen zu plärren, gibst du ihnen die Flasche und sie sind wieder ruhig. Leute wie Mr. Clarke, Rechtsanwälte, Professoren, Wissenschaftler, Ärzte. Sie alle sind auf einer höheren Bildungsstufe als wir beide und wollen auch so behandelt werden. Schließlich sind wir ja die Dummen, die sich immer wieder an sie wenden, wenn wir etwas nicht wissen und uns helfen lassen müssen. Dass sie sich ebenfalls an Elektriker, Tischler und Bauarbeiter wenden, weil sie etwas nicht können, ist ihnen wiederum egal. Schließlich sind sie ja trotzdem die Dummen, die keine Akademiker mit hohen Abschlüssen und vortrefflicher Bildung sind. Verehrung und überschwängliches Lob sind ihre Flasche. Verstehst du, was ich meine?“

      „Natürlich verstehe ich.“

      Mr. Brenner setzte ein bescheidenes Lächeln auf.

      „Dummheit ist nicht wenig wissen, auch nicht wenig wissen wollen, Dummheit ist, glauben genug zu wissen.“

      „Und wer Konfuzius zitiert, ist noch lange nicht weise“, sagte David schmunzelnd.

      „Da hast du wohl Recht“, stimmte Mr. Brenner ihm lachend zu.

      „Entschuldigen Sie, dass ich frage, Sir. Aber ich habe die Schule nirgendwo gesehen.“

      „Nun ja, das liegt daran, dass sie im Wald liegt und von den hohen Bäumen versteckt wird“, erklärte er und zeigte in den Wald hinein.

       Die Schule war im Wald, und ein Mann ging neben dir her.

      David erstarrte. Die Erinnerung traf ihn, wie der breit gestreute Schuss einer Schrotflinte. Der Kaffee, den er während der Fahrt getrunken hatte, schien sich seinen Weg nach draußen bahnen zu wollen und stieg ihm den Hals hoch.

      „Ist alles in Ordnung?“, fragte Mr. Brenner verunsichert und sah ihn besorgt an. David griff an den rechten Flaschenhalter seines Rucksacks und holte eine Flasche stilles Wasser daraus hervor. Schnell öffnete er sie und nahm einen kleinen vorsichtigen Schluck daraus. Sein Magen entkrampfte sich ein wenig und nahm den bereits hochgestiegenen Kaffee widerwillig zurück.

      „Ja, alles in Ordnung“, sagte er und versuchte sich nichts anmerken zu lassen, was ihm jedoch bei seiner bleichen Gesichtsfarbe nicht sonderlich gut gelang.

      „Bist du sicher?“, fragte Mr. Brenner ein weiteres Mal. David nahm einen zweiten Schluck aus seiner Flasche und nickte bejahend.

      „Wenn du meinst. Dann nehme ich aber deinen Koffer. Nicht, dass du mir gleich zusammenklappst.“

      Er streckte die Hand aus, um Davids Koffer entgegenzunehmen. Ohne zu zögern, drückte er ihm den Griff des Trolleys in die Hand. Er atmete tief durch und wischte sich mit der Hand die Schweißperlen von der Stirn.

      „Keine Sorge“, beruhigte Brenner David, „Im Wald scheint dir die Sonne nicht so stark auf den Kopf. Dort gibt es genügend Schatten.“

      „Mr. Brenner?“

      „Ja, David?“

      „Aus welchem Grund hat man die Schule im Wald gebaut?“, fragte er. Wie angewurzelt verharrte er auf der Stelle und machte keine Anstalten, einen Fuß vor den anderen zu setzen.

      „Die Frage ist verständlich. Komm mit. Wir sollten uns auf den Weg machen, bevor wir weichgekocht sind. Wir haben genügend Zeit, währenddessen alle deine Fragen zu klären.“

      Er lächelte David ein weiteres Mal an und machte einige Schritte nach vorne.

      „Ach ja. Eine Sache ist da noch. Die erste und wichtigste Regel, die du dir merken musst. Gehe niemals ohne jemanden in den Wald, der sich nicht darin auskennt“, mahnte er ihn.

      Mit diesen Worten überschritt Mr. Brenner die Waldgrenze und wurde von den Schatten der riesigen Bäume um ihn herum verschluckt.

      5

      Nachdem er den ersten Schock halbwegs verdaut hatte, folgte er Mr. Brenner hinein in den dunklen, aber durchaus naturschönen, Wald. Mammutbäume, die gut achtzig Meter gen Himmel ragten, nahmen dem Waldboden einen großen Teil des Sonnenlichtes und hielten es in ihren Blättern fest.

      Ein Ast knackte unter Davids Füßen. Brenner steuerte auf eine kleine Steigung zu, die sich einige Meter hinter dem Waldübergang befand.

      „Pass auf. Der Boden ist sehr trocken und auch staubig. Man kann leicht wegrutschen und sich einen spitzen Ast in die Hand rammen, wenn man sich versucht abzufangen“, warnte er David.

      „Ist das denn schon mal passiert?“, fragte David neugierig.

      „Öfter, als du wahrscheinlich denkst.“

      „Wie oft? Fünf Mal?“, riet er.

      „Weit daneben.“

      „Zehn?“

      „Ab 23 hab ich aufgehört zu zählen. Wie viele genau es schon geschafft haben, weiß ich nicht“, erzählte er und begann die Steigung hinaufzugehen.

      „23 von wie vielen?“, fragte David überrascht.

      „Wie bitte?“

      David hatte die Steigung nun auch erreicht.

      „Wie viele Schüler haben Sie schon hier langgebracht?“

      „Das wäre doch schon eine schöne Rechenaufgabe zum Einstieg oder?“, fragte Mr. Brenner amüsiert.

      „Wie viele Schüler hat Mr. Brenner in seinen zehn Jahren als Lehrer schon durch den Wald geführt, wenn jedes Jahr 50 Schüler an die Sommerschule kommen?“

      „Sie haben schon 500 Jugendliche in die Schule gebracht?“, fragte David erstaunt.

      „Mehr oder weniger. Wie gesagt, das sind grobe Schätzungen. Viele der Kinder, die angemeldet werden, erscheinen oftmals nicht“, entgegnete er und blieb in einer Rechtskurve stehen, um auf David zu warten. Obwohl er weniger Gepäck zu tragen hatte, war er deutlich langsamer unterwegs als der gut 20 Jahre ältere Brenner, der den Anstieg mit fast verspielter Leichtigkeit genommen hatte.

      „Warum nicht?“

      Mittlerweile hatte er seinen Lehrer – jedenfalls für die nächsten Wochen – erreicht.

      „Das hat verschiedene Gründe. Die Einen finden den Weg nicht her, die Anderen kommen einfach nicht, weil sie es sich anders überlegt haben. Nichts sonderlich Spektakuläres oder Außergewöhnliches.“

      Mr. Brenner sah in den Wald hinein. Von ihrer Position aus konnte David sehen, dass der Wald rechts von ihm stark abflachte und beinahe in ein seichtes Tal hinüberging.

      „Ich denke, es ist am sinnvollsten, wenn ich dir den Grund für die Lage der Schule hier erzähle.“

      „Wie Sie wollen, Sir.“

      „Dann setz dich. Wir müssen ohnehin gleich noch lange genug laufen“, sagte Brenner und deutete auf einen kleinen Vorsprung, der sich direkt vor ihnen befand. David setzte sich an die Kante und ließ seine Füße frei in der Luft baumeln. Gemächlich stellte Mr. Brenner den blauen Koffer ab und setzte sich neben David an den Rand des Vorsprungs.

      „Es begann im 13. Jahrhundert, als der Wald und dieses Tal noch nicht in der Form existierten, wie sie es heute tun. Damals war das alles hier nicht mehr als Gras- und Buschland. Der Wald begann erst viele Kilometer weiter nördlich von dem Platz entfernt, wo wir jetzt grade sitzen, und unten im Tal gab es einen Fluss mit einem großen See“, erzählte er und