Die Schule. Leon Grüne. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Leon Grüne
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754170724
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Rauch einatmen müssen.“ Damit war die Diskussion beendet, und keiner von beiden sprach mehr über das Thema. Kurze Zeit später drückte sie angegiftet ihre, nur zur Hälfte aufgerauchte, Zigarette im Aschenbecher des Autos aus. Während der gesamten Hinfahrt über verkniff sie es sich, eine weitere anzustecken und somit die Diskussion von neuem aufzurollen. Lange würde es ja nicht mehr dauern, dann konnte sie so oft und so viel quarzen, wie sie wollte, ohne sich weitere Kommentare oder sonstige Belehrungen gefallen lassen zu müssen.

      „Was wirst du in den Wochen, die ich weg bin machen?“, fragte David und schloss sein Fenster wieder.

      „Nun ja. Ich werde arbeiten müssen.“

      „Das meine ich nicht.“

      Faye überlegte einen Augenblick, ehe sie ihm antwortete.

      „Ich möchte einiges im Haus verändern“, sagte sie vorsichtig.

      „Okay, und was möchtest du verändern?“, fragte David überrascht.

      „Bobbys altes Zimmer. Es ist jetzt schon drei Jahre her, dass er nicht mehr bei uns ist. Langsam, denke ich, ist es an der Zeit, damit abzuschließen.“

       Ich hab mein Zimmer aufgeräumt, damit Mommy nicht wieder so schimpft. Gefällt es dir, David?

      Da war er wieder. Sein Alptraum, der ihm nicht aus dem Kopf gehen wollte. Wie eine lästige Fliege surrte er durch seinen Kopf, ohne Aussicht darauf, je wieder von dort zu verschwinden.

      „Was genau schwebt dir vor?“, fragte er neugierig.

      „Ich dachte, ich könnte seine Sachen einem Waisenhaus spenden und es neu einrichten. Als Gästezimmer, verstehst du?“, sagte sie, unsicher darüber, wie ihr Sohn diese Idee aufnehmen würde. Für einen kurzen Moment hatte sie vergessen, dass das ohnehin keine Rolle spielen würde.

      „Ja, ich verstehe. Mir gefällt es.“

      Mehr zufällig als gewollt trafen sich ihre Blicke kurzzeitig, und sie lächelten einander an. Einen Moment lang war die Welt ein Stück weit in Ordnung.

      „Das freut mich. Wir könnten es vielleicht neu tapezieren und anstreichen. Was hältst du davon?“, schlug sie vor.

      „Finde ich gut“, versicherte David ihr mit einem Anflug von Vorfreude auf die Zeit nach der Sommerschule. Vielleicht würde doch noch alles gut werden, dachte er sich zufrieden. Doch anders als David freute sich Faye nicht über ihre Pläne. Im Gegenteil. Innerlich hasste sie sich dafür und verteufelte ihr vorschnelles Mundwerk. Sie konnte es sich nicht erlauben, auf den letzten Metern einzuknicken und sich für das zu schämen, was sie tat. Aber schließlich musste sie irgendwie den Schein auf Veränderung und Besserung wahren. Etwas anderes blieb ihr nicht übrig. Sie hatte es begonnen und würde es nun auch zum Ende bringen. In etwa anderthalb Stunden wäre es vorbei. Dann wäre ihr Sohn David nicht länger ihr Problem. Er würde für niemanden mehr ein Problem darstellen können, wenn er erst einmal dort angekommen war. Schnell verwarf sie ihren Gedanken wieder und fokussierte sich wieder auf die Straße.

      „Tu mir den Gefallen und kümmere dich um Zoe, falls sie von zuhause weg muss, weil ihr Vater wieder anfängt, das Haus auseinanderzunehmen“, bat er sie mit aufrichtiger Sorge.

      „Wenn ich nicht da bin, hat sie niemanden, der sich ernsthaft um sie kümmert.“

      Faye nickte ein paar Mal.

      „Mach dir keine Sorgen, ich werde ihr garantiert nicht die Tür vor der Nase zuknallen, wenn sie verzweifelt ist und Hilfe braucht“, versicherte sie ihm. Hundertprozentig sicher war er sich nicht, ob es auch wirklich so kommen würde oder ob sie ihr tatsächlich ihre Hilfe anbieten würde. Doch für den Moment blieb ihm nichts anderes übrig, al ihr zu glauben. Während er sich kurz, aber ehrlich, bedankte, schenkte er sich den letzten Rest Kaffee aus der Kanne ein. In einem Zug trank er die Kappe aus, in der sich nicht mehr als ein Bodensatz befand und schraubte sie wieder auf die Thermoskanne. Ein Tropfen kalter Kaffee lief aus dem Deckel über das silberne Edelstahlgehäuse und landete auf Davids Zeigefinger. Gelassen wischte er ihn an seiner hellgrauen kurzen Sporthose ab und legte die Kanne in das Fach an seiner Tür.

      „Wie lange sind wir noch unterwegs?“

      „Etwa eine Stunde, wenn wir Glück und keinen Stau mehr haben.“

      Er warf einen prüfenden Blick auf seine Armbanduhr. Es war eine schwarze Uhr mit ebenfalls schwarzem Lederarmband und Ziffernblatt. Das Einzige, was nicht schwarz war, war der rote Sekundenzeiger, welcher bereits etwas zitterte. Auf dem Ziffernblatt waren, anstelle der normalen, arabischen Zahlen, alte römische Zahlen zu sehen. Die Uhr war ein Geburtstagsgeschenk seiner ehemaligen Freundin, die sie ihm als hochwertig und teuer angepriesen hatte. Kurz nach ihrer Trennung erfuhr er jedoch von Trae, der auch sie mit dem nötigen Stoff versorgt hatte, dass die Uhr einfach aus einem Ramschladen um die Ecke stammte, und dort grade einmal die stolze Summe von fünf Dollar wert war. Doch es kümmerte ihn kein Stück weit. Selbst, wenn sie die Uhr aus einem Müllcontainer gefischt und lediglich etwas gesäubert hätte, würde er sie tragen, schließlich gefiel sie ihm ja. Geld war für ihn nie ein wichtiger Faktor, wenn es um Geschenke oder andere Gegenstände ging. Ob etwas viel oder wenig kostete war irrelevant für seine Sicht darauf, ob es ihm gefiel oder nicht.

      Die Zeiger zeigten elf Uhr achtundvierzig an. Mittlerweile waren sie seit bereits etwa zwei Stunden unterwegs.

      „Wieso diese Schule, Mom? Ich hätte doch auch auf eine Modernere in der Nähe gehen können. Die Colleges in Sacramento bieten doch auch Kurse über die Sommerferien an. Die Saint Mary bietet eine gute Sommerakademie an, meinte Trae. Er musste selber schon einmal dorthin“, berichtete er ihr.

      „Das mag sein, aber die Lauriea Summer School ist nun mal etwas Besonderes. Dadurch, dass alle Schüler die Zeit über dort wohnen werden, habt ihr auch mehr Freizeit als auf einer normalen Sommerschule. Außerdem war es die Einzige, die deine Anmeldung noch so kurzfristig entgegengenommen hat und so freundlich war, dich trotz des späten Zeitpunktes noch anzunehmen“, erklärte sie ihm, ohne die wirklichen Beweggründe für ausgerechnet diese Wahl zu erläutern. Aber er akzeptierte ihre Antwort kommentarlos. Sein angeschwollenes Auge pochte sanft im Takt seines Pulses. Noch konnte er nicht ahnen, was die Wände der Gebäude inmitten des Waldes für ihn und alle anderen nichtsahnenden Jugendlichen bereithielten.

      3

      Gegen zehn Minuten vor eins, fast exakt eine Stunde später, rollte der schwarze Chevrolet Orlando mit gedrosseltem Tempo in die letzte Straße des Dorfes namens Reggieland, das sich etwa eine halbe Stunde nördlich von Weed befand. Die Häuser, an denen sie vorbeifuhren, unterschieden sich kaum voneinander. Trüb und grau standen sie säuberlich, in gegenüberliegenden Reihen, parallel zueinander. Man konnte meinen, man befände sich in einem der ersten Farbfilme, in denen selbst die grellsten Farben nicht mehr als ein Farbstich zu sein schienen. Die Bewohner hingegen waren alles andere als grau und trüb. Viele Familien saßen auf den Terrassen beisammen und frühstückten gemeinsam. Kinder tollten durch die Gärten, jagten ihren Bällen nach oder malten Bilder mit Kreide auf die Pflastersteine ihrer Auffahrt. Es war eben genau so, wie man sich nun mal ein Dorf an einem idyllischen und warmen Sonntag zu Beginn der Sommerferien vorstellen würde. Das Auto, in welchem sich Faye und David befanden, kam vor einem Schild am Ende der Straße zum Stehen. Ein weites goldenes Rapsfeld erstreckte sich vor ihnen, als wäre es aus einem Bilderbuch entsprungen. Das Schild zu ihrer Rechten war weiß angestrichen worden. Die herunterlaufenden Farbtropfen waren getrocknet und erhoben sich von dem Holz wie die Akne auf dem Gesicht eines Teenagers.

      „Lauriea Summer School“, stand darauf in schwarzen Buchstaben geschrieben. Jedoch war von einer Schule, geschweige denn von irgendeinem Gebäude, welches kein normales Wohnhaus war, weit und breit nichts zu sehen. Hinter dem Schild befand sich ein steiniger und erdiger Weg, welcher gradewegs in den Wald führte, der etwa zweihundert Meter entfernt vom freudigen Dorfleben begann.

      „Da wären wir“, verkündete Faye und begutachtete zuerst das Schild und dann den Wald.

      „Bist du dir sicher?“,