Die Schule. Leon Grüne. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Leon Grüne
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754170724
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in Fetzen und offenbarte einen Teil seiner Gesichtsmuskeln. Kleine Löcher klafften in seinen Wangen und in seinen Armen. Ein Teil seiner Oberlippe verschwand, als hätte sie jemand mit einem Radiergummi einfach ausradiert. Er schien völlig in sich zu zerfallen. Er beugte sich ganz nah über Davids Gesicht und schrie ihn ein weiteres Mal an, wobei er seinen Mund – Maul würde es besser treffen – so weit aufriss, dass sein Kiefer längst hätte ausklinken müssen. Er spürte, wie etwas auf sein Gesicht hinuntertropfte. Speichel, vermutete er. Doch als das Ding, in Gestalt seines Bruders, zumindest das was von ihm übrig war, etwas von ihm zurückwich, sah er, dass es kein Speichel oder etwas in der Art war. Es waren Tränen. Tränen, die aus seinen Augen kullerten und von seiner Wange herunterfielen. Grade, als David es endlich über sich bringen konnte, etwas zu sagen, begann Bobby anstelle seiner Schultern nun seinen Hals zu drücken. Seine kleinen Hände waren wie die Krallen eines Greifvogels, der eine Maus in den Fängen hatte.

      „Hab keine Angst. Wenn du so wirst wie ich, wirst du mich wieder lieben können. Dann wird alles wieder gut“, versuchte er den nach Luft ringenden David zu beruhigen und drückte seine Daumen noch weiter in seine Kehle.

      „Entspann dich einfach. Gleich hast du es geschafft, dann sind wir wieder zusammen, David“, sagte er liebevoll und weinte noch bitterer.

      13

      Schweißgebadet wachte er auf. Sein Rücken hatte sein Bettlaken vollkommen durchnässt und klebte nun an seinem Rücken. Erleichtert stellte er fest, dass er, soweit er das sagen konnte, alleine war. Das Einzige, was gleich geblieben war, war der Vollmond, der dem Zimmer ein wenig Licht spendete. Ein paar Atemzüge später konnte er sich dazu aufraffen, das verschwitzte Bett zu verlassen. Jedoch kam er nicht drum herum, sich ein weiteres Mal ängstlich im Zimmer umzusehen, um erneut festzustellen, dass niemand außer ihm dort war. Unsicher betrat er den dunklen Flur. Ebenso wie in seinem Traum ging er ins Bad, entleerte seine Blase und putzte seine Zähne. Wenige Minuten später, als er an dem alten Zimmer seines Bruders vorbeiging, konnte er nicht widerstehen, einen Blick hineinzuwerfen. Er bekam eine Gänsehaut, als er nach der Türklinke griff und sie herunterdrückte. Da stand er also. Nachts um ein Uhr im Schlafzimmer seines verschwundenen Bruders und sah sich das Chaos an, das dort drinnen herrschte. Actionfiguren, die auf dem Boden verstreut waren, Kuscheltiere, die neben und nicht auf dem Bett lagen. „Der Zauberer von Oz“, lag aufgeschlagen auf dem Bett. Eine Version mit vielen großen Bildern und wenig Text. Es hatte vorher David gehört. Sein Vater hatte es ihm geschenkt. Deswegen wunderte es David auch recht wenig, dass es ausgerechnet dieses Buch war, das dort auf dem Bett lag, obwohl Bobby eigentlich schon viel zu alt dafür war. Beruhigt, aber dennoch traurig, schloss er die Tür wieder und überließ es für immer der Einsamkeit. Als er wieder auf den Flur hinaustrat, hörte er erneut das Klingeln seines Handys. Zögerlich und mit einem gewissen Unbehagen, ging er zurück in sein Zimmer und schaltete das Licht an. Der Moment, der Menschen, die Angst haben, am meisten Angst einjagte. Der Moment, in dem man damit rechnete, sein persönliches Schreckgespenst in der nächsten Sekunde vor sich stehen zu haben. Doch dort war niemand. Weder Bobby noch sonst irgendeine angsteinflößende Gestalt, die ihn mit hungrigem Blick anstarrte. Er war alleine. Alleine mit seiner Angst. Vorsichtig bewegte er sich zu seinem Nachttisch, auf dem sein Handy lag und pausenlos klingelte. „Trae“ stand in weißer Schrift auf dem Display. Einen Moment lang haderte er mit sich, doch dann nahm er den Anruf entgegen.

      „Yo, sorry, dass es so lange gedauert hat, Bruder. Vinnie ist vollkommen durchgedreht, und wir mussten ihn in den Griff bekommen, bevor der Pfarrer uns wieder das Kreuz Christi einprügelt“, meldete sich Trae etwas aufgewühlt.

      David fiel ein Stein vom Herzen. Er tat einen langen Atemzug, als würde er an einer Zigarre ziehen und fühlte sich sofort leichter. Seine verkrampften Muskeln und Gesichtszüge entspannten sich langsam, und seine angespannte Haltung löste sich schlagartig.

      „Alles klar bei dir?“, fragte Trae verwirrt über Davids Reaktion.

      „Ja. Ja, alles in Ordnung. Nur ein Alptraum. Nichts weiter“, antwortete er und atmete ein weiteres Mal tief durch.

      „Mann, was ist denn passiert? Du klingst echt fertig.“

      „Das bin ich auch. Ich erzähl es dir morgen. Ich glaube, wenn ich jetzt noch einmal daran denken muss, dann bekomme ich einen Herzinfarkt.“

      „Klar, kein Problem, Kumpel.“

      „Danke. Das hier nimmt mich ganz schön mit, weißt du. Ich komm einfach nicht mehr klar damit“, erzählte David ihm im Vertrauen.

      „Ist heftig für dich Bruder, glaub ich dir. Vielleicht wäre es doch besser wenn…“

      „Tut mir leid, aber ich kann im Moment keinen klaren Gedanken mehr fassen. Lass uns das morgen besprechen, in Ordnung?“

      „Natürlich. Ist vielleicht auch besser so, mir geht’s grad nicht anders.“

      Das bezweifle ich sehr, dachte David und belächelte innerlich Traes angebliche Verfassung. Seit sie sich kannten, hatte er ihn nicht einmal in einer psychisch labilen Verfassung erlebt. Ihn konnte praktisch nichts aus der Ruhe bringen, geschweige denn wirklich Angst einjagen. Seine Träume waren das Einzige, das er fürchtete, und selbst diese Furcht hatte er zum Großteil überwinden können. Sein Gemüt war quasi wie von einer Kettenrüstung umgeben, welche hinter einem Brustpanzer getragen wurde. Kaum zu durchdringen oder zu zerbrechen. Doch durch jede noch so gute Rüstung konnte früher oder später ein todbringender Pfeil hindurchdringen. Aber das erschien David ziemlich unwahrscheinlich, dass das passiert sein konnte. Jedenfalls blendete er diese Möglichkeit, in Anbetracht seines eigenen Zustandes, weitestgehend aus.

      „Was ist los?“

      „Nichts wichtiges, brauchst dir keine Sorgen machen“, lenkte er vom Thema ab.

      „Okay, falls du reden willst, sag Bescheid.“

      „Mach ich.“

      Trae hatte sich seinen Hocker aus Holz neben das Bett gestellt, saß nun vor seiner Tür und betrachtete die Bilder, die dort hingen.

      „Worüber hatten wir vorhin nochmal geredet, bevor du weggegangen bist?“, fragte David, der durch seinen Alptraum schon wieder alles vergessen hatte.

      „Im wahrsten Sinne des Wortes über Gott und die Welt“, erwiderte Trae lachend und hustete einige Male. Mit elf hatte er angefangen zu rauchen, was ihm bis jetzt nichts außer schlechter Kondition und einen gewaltigen Raucherhusten gebracht hatte. Besonders lange würde er es, dank seinem hohen Zigaretten- und Drogenkonsums, vermutlich auch nicht mehr machen, dachte David. Das hatte er ihm auch schon des Öfteren gepredigt in der Hoffnung, dass Trae seine Lebensweise vielleicht noch einmal neu überdenken würde. Aber Trae dachte nun mal nicht so wie er. Für ihn zählte nicht, wie lange er leben würde, sondern wie er leben würde. Frei und uneingeschränkt. In allem, was er tat. Das war das, was ihm wichtig war. Ob ihm das mit 30 das Leben kosten würde, spielte keine Rolle.

      „Ach genau. Wir sind alle Sünder und kommen in die Hölle“, erinnerte sich David und legte sein Handy wieder mit Lautsprecher auf den Nachttisch.

      „So siehts aus“, bestätigte Trae ihn schmunzelnd.

      „Worüber diskutieren wir denn nun, Herr Pontifex?“, stichelte David ihn an, während er das Laken seines Bettes abzog.

      „Mach dich nur lustig über mich. Wenn wir beide uns in der Hölle wiedersehen, verlange ich eine Entschuldigung.“

      „Wenn wir beide in der Hölle landen, wird keiner von uns beiden Gelegenheit haben, sich bei irgendwem zu entschuldigen. Dann werden wir bis ans Ende aller Tage gefoltert und erleiden Qualen, schon vergessen?“, scherzte er und suchte in seinem Schrank nach einem neuen Bettlaken.

      „Blödsinn. Warum sollte der Teufel diejenigen foltern und quälen, die nach seiner Ideologie leben? Wieso sollte er uns bestrafen, wenn wir doch genau das tun, was ihn ausmacht?“

      „Du solltest dein Drogengeschäft aufgeben und Philosoph werden bei dem ganzen Kram, über