Die Schule. Leon Grüne. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Leon Grüne
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754170724
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du?“

      Mit dem Bild in der Hand setzte er sich wieder auf sein schmales Bett. Zum Glück war er selbst sehr schmächtig und passte deswegen noch problemlos hinein.

      „Wem sagst du das. So geht es uns doch allen im Moment. Wenn man dann auch noch so high ist wie du, dann wundert es mich wenig, dass man einfach mal die Nerven oder das Gedächtnis verliert.“

      „Mann, das liegt nicht an dem Stoff. Ich werde einfach nur alt, das ist alles“, erklärte er David scherzend.

      „Mit deinen achtzehn Jahren sollte ich dich eigentlich längst ins Altersheim gesteckt haben“, führte David schmunzelnd weiter aus.

      „Ist doch geil. Dann krieg ich das Zeug sogar legal und gehe gleich zum nächstbesten Cop, den ich finde und rauche genüsslich vor ihm meinen Joint.“

      Die Vorstellung gefiel ihm so gut, dass er das Bild, welches er vor sich auf das Laken gelegt hatte, für einen Augenblick vergaß.

      „Wie wärs mit Hank Thompson?“, fragte David und hob den Basketball vom Boden auf. Schallendes Gelächter ertönte aus den Lautsprechern des Handys.

      „Billy, du bist genial“, lobte Trae ihn, „Hank Thompson. Die lebendige Mettwurst, die mich beinahe hätte auffliegen lassen. Gut, dass du ihn für seine schmutzigen Geschäfte angezeigt hast.“

      „Er hatte es nicht anders verdient.“

      „Da sagst du was Wahres, Bruder.“

      Den Blick auf das Bild gerichtet, suchte er mit seinen Finger die halb aufgerauchte Packung Chesterfield, die auf seinem Nachttisch lag.

      „In wie vielen Fällen haben sie ihn nochmal drangekriegt?“

      „Dreizehn in Kinderpornographie, zwei in Kindesmissbrauch und vier wegen sexueller Belästigung“, zählte David auf und warf ein weiteres Mal auf den Korb an seinem Schrank. Zu seiner Enttäuschung musste Trae feststellen, dass sich in der Packung nur noch zwei Zigaretten befanden. Gekonnt schnippte er sich eine in den Mundwinkel und zündete sie mit einem Feuerzeug aus seiner Hosentasche an. Die Letzte ließ er unberührt in der Schachtel zurück. Er entschied sich, sie für eine Situation aufzuheben, in der er sich nur zu gerne an ihr festklammern würde, um Stress abzubauen. Die Schachtel legte er sorgfältig wieder auf den kleinen Tisch, der neben seinem Bett stand. Als er sie dort abgelegt hatte, griff er nach seinem Aschenbecher und stellte ihn neben sich ab. Entspannt nahm er den ersten Zug von seiner qualmenden Zigarette.

      „Manche Menschen sind einfach nur krank. Wenn es einen Teufel gibt, dann sind das seine besten Freunde“, erzählte David sich selbst.

      „Natürlich gibt es ihn, aber seine Freunde sind wir alle. Wenn wir sterben, landen wir alle in der Hölle, Bruder, so ist das nun mal.“ Ein wenig Asche fiel in den flachen schwarzen Aschenbecher. „Wieso?“, fragte David interessiert. Trae mochte zwar nicht der Klügste oder Hochbegabteste sein, aber manche Sachen, die ihm durch Kopf gingen, hatten viel Wahres und zum Teil auch Weises an sich.

      „Komm schon. Nenn mir einen Grund, warum einer von uns beiden in den Himmel kommen sollte“, forderte er ihn auf.

      „Vergebung“, antwortete David wie aus der Pistole geschossen. Er hatte sich lange Zeit mit diesem Thema nach den Ereignissen von vor drei Jahren beschäftigt. Sündenvergebung sei der Schlüssel zu Gottes Reich, den nur er uns geben kann, hatte ihm der Pastor der örtlichen Kirche gesagt, welchen er nach der Trennung seiner Eltern aufgesucht hatte. Sonderlich gläubig oder spirituell veranlagt war er nie wirklich gewesen, doch die Gespräche mit ihm hatten David immer einen inneren Frieden und eine Ruhe verschafft, die er bisweilen kaum erreichen konnte. An etwas wie ein Leben nach dem Tod konnte er glauben, doch der Gedanke eines reellen, gutmütigen Gottes schien ihm etwas weit hergeholt. Dafür gab es einfach keine ihm schlüssigen Erklärungen. Dafür gab es zu viel Leid und Ungerechtigkeit auf der Welt. Wenn es einen Gott geben würde, wollte er ihn nicht. Ein Gott, der seine selbst geschaffene Welt zugrunde gehen lassen würde und den Menschen, die auf ihr lebten, so ein schmerzerfülltes Leben gab, hatte für ihn nichts Gutmütiges oder Barmherziges an sich.

      „Wie viele Menschen leben auf der Welt? Sieben Milliarden? Acht Milliarden? Gehen wir mal von knapp acht aus. Davon bezeichnen sich über sechzig Prozent als religiös. Das bedeutet vierzig Prozent der Weltbevölkerung beten nicht um Vergebung und sündigen schamlos. Kannst du mir folgen?“

      „Klar, sprich weiter“, bat ihn David. Die Neugier hatte ihn gepackt. Er wusste genau, dass Trae wusste wovon er redete. Das wusste er immer. Er überlegte sich immer genau, was er sagte und wenn er es sagte, war er fest davon überzeugt. Man konnte es meist kaum glauben, wenn man mitbekam, was er für einen Stuss redete, wenn er high oder betrunken war, doch wenn er nüchtern war, was relativ selten vorkam, konnte er zum gelehrten Philosophen aufdrehen.

      „Das heißt über drei Milliarden Menschen haben einen Freifahrtschein ins Fegefeuer. Es gibt ungefähr zwei Milliarden Christen. Wenn wir das auf uns Christen übertragen, sind das knapp achthundert Millionen Ungläubige.“ Er schnippte etwas Asche von seiner glühenden Zigarette.

      „Von den übrigen Gläubigen lassen sich fünfzehn bis zwanzig Prozent scheiden. Wieder mehr als zweihundert Millionen Sünder, die gegen die Gebote verstoßen.“

      „Moment Mal“, unterbrach David ihn und jonglierte den Ball in seinen Händen.

      „Was ist mit den restlichen sechs Milliarden?“

      „Die sind nicht das Problem unseres Gottes, David. Buddhisten, Muslime, Juden. Sie haben andere Heilige, denen sie vertrauen und ihre Sünden beichten. Stell es dir wie eine Schulklasse mit zehn Kindern vor. Jedes der Kinder hat andere Eltern, und jeder hat ein anderes Verhältnis zu ihnen und sieht sie auf eine andere Art. Manche lieben sie, manche hassen sie und manche werden von ihnen verstoßen und verletzt.“

      Bläulicher Rauch stieg zur Zimmerdecke empor. Wie so oft, wenn er anfing genauer über etwas nachzudenken und zu philosophieren, hatte er seine Redegewohnheiten abgelegt. In seinen Sätzen verfingen sich keine überflüssigen Ausdrücke oder Bezeichnungen für David. Je mehr ihn etwas beschäftigte, desto ernster und sachlicher redete er darüber.

      „Okay gut, aber das sind bloß etwas mehr als eine Milliarde, die in die Hölle kommen. Deine Rechnung geht nicht ganz auf, um nicht zu sagen sie ist weit von dem entfernt, was du beweisen willst“, bemängelte er.

      „Warte doch mal ab.“

      Es grenzte fast an ein Wunder, dass die Zigarette in seiner Hand das Einzige war, das Rauch abgab und sein ratternder Denkapparat nicht auch noch einen Teil dazu beitrug.

      „Was ist denn mit den ganzen anderen Sünden? Jeder Mensch lügt in etwa 25 Mal an einem einzelnen Tag. Das sind 25 kleine Sünden, die jeder Einzelne von uns täglich begeht.“

      David musste an die Situation vorhin denken, als er seine Mutter wegen des Glases angelogen hatte. Aber schließlich heiligt der Zweck die Mittel, und der Zweck war es, Zoe vor seiner aufgebrachten Mutter zu beschützen. Manchmal muss man eben eine kleine Sünde begehen, um eine Katastrophe verhindern zu können.

      „Meinst du nicht, dass solche kleinen Vergehen kaum eine Rolle spielen werden?“ Nachdenklich nahm er den Ball von der einen in die andere Hand.

      „Okay, gehen wir mal davon aus, dass kleine Notlügen vergeben werden können und keine Rolle spielen. Was bleibt dann immer noch?“, fragte Trae David und gestikulierte wild mit der Zigarette in seiner Hand umher. Etwas Asche rieselte auf seine Bettdecke.

      „Sag du es mir“, bat er ihn und betrachtete sich im Spiegel seiner Schranktür.

      „Erst einmal sind da die 10 Gebote. Auch, wenn wir von einem augenscheinlich korrekten und sündenfreien Christen ausgehen. Du kennst doch bestimmt Charles Bloom oder?“

      „Der alte Mann, der ehrenamtlich in unserer Schulbibliothek aushilft?“

      „Ja, genau der. Nie geschieden gewesen, nie seine Eltern verschmäht, nie jemanden ermordet, nie jemanden bestohlen, war stets jeden Sonntag in der Kirche. Trotzdem wird er, wie wir auch,