„Entschuldige bitte, Mutti, sie wollte dir nicht weh tun. Schon gut, du musst mir nichts erklären, das war mir Antwort genug!“ sagte Ute während ihr die dicken Tränen übers Gesicht liefen.
Schnell erhob sich Utes Mutter, und stürzte wortlos hinaus.
Hoffnung auf Weihnachtskind
Entschlossen wusch Ute sich das Gesicht, zog sich an, und ging zum Schwesternzimmer. Sie bat Schwester Barbara die Klinik verlassen zu dürfen, bat um einen Urlaubsschein. Auf ihre Frage was sie vorhabe, erwiderte Ute: „Sie möchte zur Kinderklinik meine Tochter besuchen.“
Die Schwester umarmte sie spontan und sagte mit bewegter Stimme: „Gott sei Dank. Sich habe es gewusst. Ich hätte niemals glauben können, dass Sie ihr Kind abgeben. Ja, gehen Sie nur, Gott sei mit Ihnen!“
Auch Ramona war überrascht, als sie sie anrief. Aber als sie erfuhr was sie vorhatte, sagte sie: „Ich komme sofort.“
Es wunderte Ute nicht, dass auch Rene im Auto saß, als Ramona vorfuhr. Schweigend fuhren sie zu der entfernten städtischen Klinik, in der sich die Kinderklinik befand. Die Neugeborenen- Station der Klinik hatte eine Isolier-Abteilung in der nur die Frühgeburten lagen. Einige in Brutkästen, andere in Wärmebettchen, je nach Bedarf.
Vermutlich hatte Schwester Barbara ihre Kollegin telefonisch verständigt, denn die Besucher wurden gleich am Eingang dieses separaten Raums empfangen und darüber informiert, dass der Zutritt nur Ute gestattet sei. Ihre beiden Kinder konnten lediglich durch ein großes Fenster sehen, wie die Schwester Ute zeigte, wo ihr Baby lag.
„Julia“ stand auf dem kleinen Namensschild des Brutkastens, in dem ein mageres kleines Geschöpf halbnackt lag. Es war das Kind mit der dunkelsten Hautfarbe in dieser Abteilung, hatte einen fast schwarzen Cäsarkranz und lag ganz ruhig mit geschlossenen Augen in dem beleuchteten Kasten. An beiden Seiten dieses monströsen Gerätes waren runde Öffnungen, die mit Gummilaschen abgedichtet waren, durch die man hineingreifen konnte.
Ute stand wie erstarrt vor dem Gerät, schaute auf das winzige Geschöpf und schämte sich innerlich, dass sie so wenig Rücksicht auf das Geschöpf in ihrem Bauch genommen hatte. Ihr wurde klar, dass es ihre alleinige Schuld war, dass dieses Wesen so untergewichtig und klein war. Dicke Tränen der Reue rollten über Utes Wangen und sie nahm sich vor, ein Leben lang gut auf dieses Kind aufzupassen, und zu versuchen, ihre Versäumnisse wieder gut zu machen.
Es sah so zart und verletzlich aus, dass sie sich nicht traute ihre Hände in diese Öffnungen zu stecken, um es zu berühren.
Die Schwester kam näher, ermutigte sie: „Sie können sie ruhig anfassen, schauen Sie, sie mag es wenn sie gestreichelt wird.“ sagte die Schwester lächelnd, schob eine Hand in die Öffnung und streichelte dem Baby über den Bauch. Ein kleines Lächeln glitt über das Gesichtchen des Säuglings.
Die Schwester nickte mir zu und zog sich zurück.
Ganz vorsichtig schob Ute ihre Hand durch die Öffnung und streichelte, mit einem Finger, sanft über das kleine magere Händchen. Sofort griff die kleine Hand zu und umklammerte Utes Finger. Sie griff fest zu, öffnete die dunkelbraunen Augen, und drehte den Kopf in Utes Richtung, als suche sie es ihre Mutter.
Ute war zwar klar, dass die Kleine noch nicht klar sehen konnte, aber sie glaubte, dass sie es gefühlt hatte, dass es die Hand ihrer Mutter war, die sie festhalten wollte.
Wie lange sie weinend da gestanden hatte, mit fest umklammertem Finger, war ihr nicht bewusst, aber erst als die Kleine ihren Finger los ließ, kam ihr zum Bewusstsein, dass ihre beiden Großen auf sie warteten.
Nachdem die Schwester Ute erklärt hatte, dass sie öfters zum Windeln wechseln kommen solle, wenn sie wieder zu Hause sei, fragte Ute noch nach dem Gewicht der Kleinen. Ute erfuhr, dass sie viereinhalb Pfund wog, mit einundreißig Zentimeter Kopfumfang und achtundvierzig Zentimeter Körpergröße, also noch mindestens bis zum Entlassungsgewicht, von fünf Pfund, in der Klinik bleiben müsse.
Das kannte Ute ja schon von Ramona, die war genauso leicht gewesen, aber kein Frühchen. Das war ein gewaltiger Unterschied, denn dieses winzige Wesen, war vier Wochen zu früh, während Ramona sich noch zwei Tage nach dem Termin Zeit gelassen hatte.
Total aufgewühlt, aber auch erleichtert, verließ Ute die Station.
Da Ute auf der gleichen Straße, gegenüber dem städtischen Klinikum wohnte, wollte sie sich frische Kleidung für den Heimweg mitnehmen, deshalb gingen die Drei zusammen in Utes Wohnung.
Im Schlafzimmer bat Ute ihren Sohn: „Rene, hol doch mal bitte den Zollstock aus dem Werkzeugkasten und miss mal eben die freie Wand aus.“
Auf seine erstaunte Frage, wozu sie die Maße bräuchte, erklärte Ute: „Ich muss wissen ob da ein Babybettchen und eine Wickelkommode hinpassen.“
Ihr sonst so kühler Sohn, der sich Gefühlsregungen lieber verkniff, fiel seiner Mutter um den Hals und sagte weinend: „Gott sei Dank, Mutsch. Ich konnte auch nicht glauben, dass du unsere Schwester verschenken würdest.“
Wie sensibel ihr vierzehnjähriger Sohn war überraschte Ute dann doch, aber genauso erstaunt war sie über die gleichgültige Haltung ihrer zwanzigjährigen Tochter. Welch ein charakterlicher Unterschied.
Es war der abrupte Abbruch dieser monatelangen Mutter-Kind-Bindung, die keine Mutter einfach abschneiden kann. Denn diese Bindung ist nicht mit der Geburt plötzlich zu Ende, das musste Ute erkennen.
Dann das Gespräch mit ihrer Mutter hatte das Übrige dazu getan, dass Ute den Adoptions-Auftrag zurückzog. Sie nahm ihre Tochter an, und gab ihr den Namen, Romina -Francesca.
Nun war sie auf Vitos finanzielle Hilfe angewiesen, denn sie hatte keinerlei Baby-Ausstattung und auch nicht die nötigen finanziellen Mittel. Also musste sie sich zwangsläufig wieder mit Vito vertragen, obwohl er derzeit mal wieder bei seiner Frau wohnte.
Zwar war ihr nicht klar woher er von ihrer Entscheidung wusste, aber diese Entscheidung veränderte seine Einstellung. Er ließ Ramon anfragen, ob er sie besuchen dürfe. Das kam für ihre veränderte Lage gerade passend.
Nachdem er sich bei der Stations-Schwester entschuldigt hatte, ließ Schwester Barbara ihn zu ihr vor.
Vito war liebevoll und sanft, ganz stolzer Vater. Er brachte ihr Blumen und Pralinen mit, fragte wie sie seine Tochter nennen wolle, und freute sich wie ein Kind als sie ihre Entscheidung verkündete: „Romina Viktoria!“ Denn ihre Macke, dass die Namen ihrer Kinder mit R beginnen mussten hatte sie auf die Art, den zweiten Namen mit Vitos verbunden.
Dann machte er sich Gedanken über die Anschaffung, die er für seine Tochter natürlich bezahlen werde. Er versprach Ute, mit ihr einkaufen zu gehen, sobald sie aus dem Krankenhaus entlassen, und zu Hause sei.
Tatsächlich hielt dieser Mann einmal sein Versprechen, und ging mit ihr Babysachen einkaufen. Sogar Bettchen, Kinderwagen und Wickelkommode schleppte er heran, innerhalb weniger Tage war die Babyausstattung komplett. Nichts fehlte. Er war so glücklich, dass er alles kaufte, von A bis Z, was ein Säugling braucht.
Er ging sogar mit mir so viel Lebensmittel einkaufen, dass sie für Wochen Vorrat hatte.
Als sie an dem Tag vor Heilig Abend die Kleine aus der Kinderklinik holten, versprach Vito zum Abschied, dass er die Weihnachtstage bei ihnen verbringen werde.
Ute sah ihn an keinem der Tage, erst Wochen später, als sie um Geld fragen musste. Und seine Reaktion war genauso brutal ablehnend wie vorher. Der gleiche Kampf ging wieder weiter. So hatte sie sich das nicht gedacht, denn seine Versprechungen hielt er mal schon wieder nicht ein.
Weil Ute wegen dem Kleinkind nicht arbeiten konnte, war die nächste Zeit wieder von