Wenn „Madam“ denn mal zu Hause war, protestierte sie. Denn sie war ständig „auf der Rolle“. Die Nächte schlug sie sich immer um die Ohren, und wenn sie nach Hause kam, schlief sie. Sie schloss sich in ihrem Zimmer ein, damit Ute sie nicht weckte. Alles Reden half nicht. Das sah Ute sich nur ein paar Wochen an, dann war ihre Geduld zu Ende.
Eines Tages kassierte Ute den Zimmerschlüssel ein, sodass Ramona sich nicht mehr einschließen konnte, und marschierte am Vormittag in das Zimmer.
„Was soll das, Mutti? Geh raus, lass mich schlafen!“ verlangte Ramona unwirsch.
Gelassen zog Ute die Rollos hoch, sodass Tageslicht in das Zimmer fiel, und befahl energisch: „Nein, du stehst jetzt auf und machst deinen Saustall hier sauber. Deine Schlamperei mach ich nicht länger mit. Und danach machst du dich auf den Weg zum Tageblatt, und suchst dir eine eigene Wohnung. Hier ist Schluss! Los, beweg dich!“
Anfangs maulte Ramona, sie habe nicht genug Geld, worauf Ute ihr empfahl sich Arbeit zu suchen. Dass sie dazu keine Lust hatte, war schon deshalb nicht zu übersehen, weil sie ein Angebot von Vitos Freund ablehnte, in dessen Eiscafe zu kellnern. Aber der Nebenverdienst interessierte sie nicht. Zu so einer Arbeit habe sie keine Lust, war ihre klare Antwort, sie sei keine Kellnerin, sie habe einen Beruf erlernt. Irgendwie erinnerte Ute die Einstellung ihrer Tochter an deren Vater. Impertinent ohne eine Mark in der Tasche.
„Hochmut kommt vor dem Fall!“ erwiderte Ute nur. „Dann sieh zu wie du mit der wenigen Kohle auskommst.“
Dennoch half Ute ihr bei der Wohnungs-Suche, sowie anschließend bei der Einrichtung des Apartments und ebenso bei den Anträgen für eine höhere Arbeitslosen-Unterstützung.
Letztlich war Ramona dann doch glücklich eine eigene kleine Wohnung zu haben, und diesen Vorteil genoss sie auf jegliche Art und Weise.
Auch Ute konnte feststellen, dass es besser für sie war, alleine zu leben, denn so belastete sie niemand mehr. Der Nachteil, dass sie Vito ständig um Geld anbetteln musste, obwohl das Casino, das er alleine betrieb, ihr zur Hälfte gehörte, blieb ihr allerdings erhalten. Es gab nur eine Person, die ihr mit Rat und Tat zur Seite stand, ihre Freundin Annette. Ihre Familie hatte sie abgeschrieben.
Ihre eigene Mutter hatte Ute schon ihre Tür verschlossen, als sie erfuhr, dass sie das Kind, „von diesem Verbrecher“ bekommen würde. Utes Schwester und ihr Mann hatten sich, gleich zu Anfang, wegen Vito zurückgezogen, Utes Sohn und Tochter gingen ihre Wege ohne sie, beziehungsweise gegen sie. Die ehemals beste Freundin war mit ihrem neuen Partner nach Spanien gegangen, und mit Jugendfreundin Beate war der Kontakt schon lange eingefroren.
Blieb nur Annette. Sie hielt treu zu Ute, lieh ihr immer das Ohr, und gab ihr das Gefühl, nicht ganz verlassen zu sein. Aber vor allen Dingen hatte Annette vollstes Verständnis für Ute, nämlich dafür, dass sie das Kind nicht behalten, sondern gleich nach der Geburt zur Adoption freigeben wollte. Ihre verständnisvolle Zustimmung erleichterte Utes Gewissen.
Ablenkung vor Schwangerschaftsende
Weil Ute sich von ihrer frustrierenden Situation ablenken wollte, überlegte sie sich, ihre Wohnung zu renovieren, denn nach Ramonas Auszug wollte sie in Renes ehemaligem Zimmer ihr Schlafzimmer machen.
Natürlich lehnte Vito ihre Frage nach Geld für die Renovierung rundweg ab. Er schimpfte, er habe genug geschäftliche Probleme, wisse nach der Casino-Schließung nicht wie es weitergehen solle, deshalb könne sie sich die Beteiligung sowie weitere Unterhalts-Zahlungen abschminken. Sie wagte nicht zu widersprechen. Denn sie war froh, dass er ihr das nur telefonische erklärte, weil er sonst sicher wieder zuschlagen würde.
Aber aufgeben war für Ute keine Option, sie wollte sich von den trüben Gedanken ablenken und sich wenigstens ihre Wohnung gemütlich und frisch machen.
Also fuhr sie ins nächste Pfandhaus und belieh ein paar Stücke ihres Weißgold-Schmuckes, der eh nur im Schrank lag.
Sie war kaum zurück als ihr Sohn plötzlich vor der Tür stand und verlegen fragte, ob er reinkommen dürfe.
Ihr Erstaunen, dass Rene es nicht lange ohne sie zu sehen, ausgehalten hatte, ließ sie sich nicht anmerken, sondern knurrte ärgerlich: „Welch eine dumme Frage, natürlich darfst du reinkommen. Du bist doch mein Sohn, und das wirst du auch immer bleiben!“
Sie waren beide erleichtert, ohne sich das anmerken zu lassen.
Mit Rene besprach sie dann ihr Renovierungs-Vorhaben, was er sehr gut fand. Also nahm sie ihn mit die Tapeten und Teppichböden zu kaufen, und tat so, als ließe sie sich von ihm beraten. Allerdings durchschaute ihr Sohn sie, und meinte: „Mutsch, halt mich doch bitte nicht für so naiv, dass sie nicht weiß, dass du das eh alleine entscheidest. Aber ich gebe zu, dass du einen guten Geschmack hast.“
Da sie bereits im siebten Monat war, benötigte Ute natürlich nicht nur Hilfe beim Tapezieren, sondern auch beim ein- und ausräumen. Eine Freundin empfahl ihr ihren Bekannten, der zu der Zeit arbeitslos war. Sie sagte, er sei sehr geschickt und habe auch schon viel Erfahrung mit tapezieren, außerdem sei er sehr hilfsbereit und fleißig. Und beim Umräumen würde sie gerne mithelfen.
So hatte Ute die nächsten drei Wochen alle Hände voll zu tun und war abends so müde, dass sie keine Energie mehr hatte, über meine Misere nachzudenken. Von Vito hörte und sah sie nichts, was ihr recht angenehm war, da sie noch kein Geld benötigte, rief sie ihn auch nicht an.
Als alles fertig war, war aus Renes Kinderzimmer ein geräumiges Schlafzimmer geworden. Der ehemalige Schlafraum wurde zum zweiten Wohnzimmer, weil der große Durchbruch zwischen den beiden Räumen vorher immer nur durch einen schweren Vorhang zu verschließen gewesen war. Den Vorhang entfernte sie einfach. Ihre große 4 Zimmer-Wohnung war perfekt eingerichtet und gehörte nun ihr allein.
Leider fühlte sie sich auch sehr allein, denn die seltenen Besuche ihrer beiden Kinder konnten ihre Einsamkeit immer nur kurz verscheuchen.
Da Annette eine nächtliche Arbeit in dem neuen Kartencasino hatte, hatte sie seltener Zeit für Ute, jedoch konnte Ute ihre Freundin jederzeit auf der Arbeit besuchen, was natürlich nicht das Gleiche war. Aber das hielt Ute wenigstens so lange nachts wach, bis sie müde genug war, um sofort einzuschlafen und nicht wieder grübelnd im Bett zu liegen.
Jedoch blieb Utes Leben war leer und einsam, und sie verfluchte den Tag an dem sie sich mit diesem Brutalo eingelassen hatte. Langsam aber sicher glaubte sie die ganzen üblen Gerüchte, dass er ein Mafioso sei, oder zumindest nach deren Vorbild handelte. Die Erkenntnis machte Ute noch ängstlicher und erzeugte noch tieferen Hass in ihr.
Dann erfuhr sie, dass Vito ihren alten Laden wieder aufgemacht hatte, und weil das Geschäft Konkurrenzlos war, dort sehr guten Zulauf verzeichnen konnte. Also war er verpflichtet ihr wieder Unterhalt zu zahlen, denn immerhin gehörte ihr dieser Laden noch zur Hälfte. Weil ihre Finanzen bis auf ein paar Mark zusammen geschmolzen waren, rief sie ihn an und verlangte ihren Teil.
Nach ein paar Tagen, in denen sie nichts von ihm gehört oder gesehen hatte, wurden ihre Anrufe nicht mehr angenommen. Also rief sie so oft im Casino an, bis sein Bruder ans Telefon kam, der ihr sagte: „Lass bitte das ständige Anrufen sein, du weißt doch genau, dass es das Spiel stört, und dass es Vito nur wütend macht!“
Natürlich konnte sie nicht aufgeben, denn ihre Mittel waren am Ende und von irgendetwas musste sie ja schließlich leben.
Am nächsten Mittag klingelte es Sturm und Minuten später flog Vito fast durch die geschlossene Wohnungstür, schlug ihr, noch in der Diele, ins Gesicht und schrie sie an: „Du dämliche Fotze, sei froh dass du einen dicken Bauch hast, sonst würde ich dich am Boden fest treten, aber wage es nicht noch einmal das Spiel zu stören. Mein Bruder wird dir in Zukunft die nötigste Kohle bringen, solange du das Kind in dir hast.“
Dabei warf er ihr ein paar Hunderter vor die Füße, drehte sich auf dem Absatz rum und ging.
Tränen des Schams und Zornes flossen