Auf ihren Anruf reagierte Eddi kurz angebunden aber positiv. „Komm nach Amsterdam, ich kann dich brauchen, aber ohne deinen abgebrochenen Riesen.“ Sagte er nur. Schon am nächsten Tag war sie unterwegs.
Erleichtert die finanzielle Belastung los zu sein, ließ Vito sie diesmal widerspruchslos fahren.
Die nächsten vier Wochen, in Amsterdam, waren für Ute chaotisch, dennoch glücklich ohne Druck. Weil an der Kasse Überbesetzung vorhanden war, sodass man dort die Vier-Tage- Woche eingeführt hatte, war dieser Job für Ute nicht zu haben. Das wunderte sie, weil sie nicht verstand wieso er gesagt hatte, er könne sie brauchen? Was hatte der Tübinger mit ihr vor? Wollte er ihr nur helfen? Denn er kannte Utes Situation ja.
Ute wurde mit lächerlichen, überflüssigen Arbeiten beauftragt. Der Chef erfand extra für sie eine neue Tätigkeit. Er machte sie zur Aufsicht über das Service-Personal. Außer die Einkäufe und Tätigkeit dieser Leute zu überwachen hatte sie nichts zu tun. Von zehn Stunden stand sie mindestens sieben dumm rum. Seltsame Sache.
Beliebt war sie durch diese Aufgabe bei den Kollegen natürlich auch nicht gerade. Man sah in ihr einen Spitzel und hielt sie (wie sie selbst auch) für überflüssig, sogar störend.
Da sie auch keine Wohnung fand, musste sie im Hause auf der dritten Etage hausen. Dort gab es zwei Zimmer mit spärlicher Möblierung, welche eher Rumpels-Kammern glichen. Ständig hatte sie das Gefühl von niedlichen kleinen Kriechtieren (Wanzen oder Läusen) umgeben zu sein. Nachts hatte sie am ganzen Körper Juckreiz. Sie zwang sich zum Durchhalten!
Nach vier Wochen stellte man plötzlich ein zweites Bett in ihren Schlafraum. Man erklärte ihr, ein neuer Croupier aus England (männlich) müsse darin schlafen. Sofort beschwerte sie sich bei meinem Chef. Sie sagte ihm, dass dies unzumutbar sie und erhielt die unfreundliche Antwort: wenn mir etwas nicht passe, könne sie ja gehen.
Sie ging auf der Stelle, nachdem sie ihm ein paar boshafte Worte gesagt hatte.
Zu Hause angekommen, war sie ziemlich mutlos. Erst der Anblick meines Babys gab ihr ihre Energie zurück. Krampfhaft überlegten Annette (die auch mal wieder im finanziellen Engpass war) und Ute wie sie nun Geld verdienen könnten. Da Annette auch gerade arbeitslos geworden war und in Scheidung stand, lebte sie mit ihren Kindern von Sozial-Hilfe. Diesen Zustand wollte sie ändern.
Auch Ute wollte nicht wieder von Vitos Launen abhängig zu sein. Ihn ständig um Geld anbetteln zu müssen, obwohl er immer noch ihre gemeinsame Geschäftsgelder verwaltete. Sein Gestöhne über die schlechten Zeiten ging ihr gründlich auf die Nerven. Lieber wollte sie selbst sehen, wie sie zurechtkommen konnte.
Durch ein Telefonat mit einer Freundin, welche sie lange Zeit nicht gesprochen hatte, wurde sie auf die Idee gebracht. Agatha lebte seit Jahren vom Verkauf von allerlei alter Sachen und Antiquitäten auf Trödel-Märkten. Voller Begeisterung klärte Ute die erstaunte Annette nun über diese Möglichkeit auf. Gebrauchte Sachen hätten sie bestimmt auch genug zu verkaufen. Gedacht -getan!
Einige Wochen verdienten die Beiden sich mit dem Verkauf von Babysachen, Gardinen, Kleidern, Hausrat, und was ihr Haushalt, sowie der Haushalt und Keller ihrer Eltern alles an abgelegten Sachen hergab, ein nettes Taschengeld. Spaß machte ihnen der Verkauf auf den Trödel-Märkten auch noch. Als ihr Angebot erschöpft war, war auch diese lustige Trödel-Zeit beendet, was beide sehr bedauerten. Aber was nun? Und schon wieder hatten die Beiden eine neue Idee.
Sie hatten gesehen, dass die Fress- und Sauf-Buden auf allen Märkten am besten liefen. Also entschlossen sie sich, Bergische Waffeln und Reibekuchen zu verkaufen. Denn Würstchen-Buden gab es mehr als genug.
Der Gedanke ließ sich aber nicht so leicht in die Tat umsetzen, wie sie gedacht hatten. Die Markt-Veranstalter hatten mit den Wurstverkäufern Festverträge. Überall bekamen sie telefonische Absagen.
Nirgendwo war ein Standplatz für Speisen und Getränke frei. Annette hatte dann den Einfall bei Fußball-Vereinen anzufragen. Von vielen Anfragen bekamen sie tatsächlich von einem Verein eine Zusage: Bayer-Leverkusen. Die Geschäftsleitung des Leverkuseners Fußball-Verein war interessiert das Erfrischungs-Angebot für die Fans zu erweitern.
Auch die Platzmiete war im erträglichen Rahmen, sodass sich die Beiden begeistert ins nächste Abenteuer stürzten.
Für die Investition, wie Platzmiete, Stand, Pfannen, Kocher usw. musste wieder ein Schmuckstück von Ute dem Beleihen zum Opfer fallen. Bei der Gelegenheit sagte sie zu ihrer Freundin: „Eigentlich muss ich dem Ulf mal Dankeschön sagen, ohne seine Vorliebe für Schmuck hätte ich diese vielen kostbaren Stücke gar nicht. Damals fand ich seine Vorliebe für dieses ganze Zeug furchtbar, und die ganzen Brillies hässlich. Gut dass sie die noch habe.“
Dann machten sie sich voller Hoffnung und Elan an die Arbeit! Das Ergebnis war mehr als kläglich!
Als sie nach einigen Wochen Bilanz zogen, mussten sie feststellen, dass dies kein Geschäft sondern ein Hobby war. Die Verkaufs-Zeit in der Halbzeit-Pause war einfach zu kurz um genügen braten und verkaufen zu können. Investition, Standmiete und Arbeit waren im Gegensatz zu dem lächerlichen Umsatz gewaltig gewesen. Frustriert gaben sie unser Hobby auf.
Ein Lichtblick
Nach wenigen Tagen kam der Lichtblick per Telefon, der Tübinger rief sie an. Er benötigte dringend eine vertrauenswürdige Kassiererin im Casino „Milliardär“, ob sie kommen könne. Natürlich war sie sofort bereit, denn nach Vito musste sie sich nicht richten, der hatte mal wieder unseren alten Roulette-Laden aufgemacht. Sie sagte ihm nicht einmal Bescheid, bevor sie abfuhr.
Obwohl Annette war der Meinung: „Fahr ruhig los, wir schaffen das schon mit der Süßen. Du hast genug Geld verloren durch die „Waffel-Pleite“, in Amsterdam hast du eine Chance wieder frisch zu werden. Wenn ich könnte würde ich auch in Amsterdam arbeiten. Aber ich habe vier Kinder, obwohl zwei schon groß sind, könnte ich die trotzdem nicht mit den Zwillingen alleine lassen. Sieh zu, dass du wieder auf die Füße kommst. Die Kleine ist bei uns in guten Händen.“
„Das weiß ich Annette, danke! Und ich muss die Zeit nutzen, solange Vito mich in Ruhe lässt.“ sagte sie erleichtert.
Diesmal war alles anders. Sogar ein kleines Apartment hatte Eddi für sie besorgt, gleich um die Ecke in einer schmalen Gasse, sodass die ganze Atmosphäre angenehmer war. Ute war happy.
Ein paar Wochen später saß Ute in dem schönen Casino an der Kasse, ahnte nichts böses, als die „Klette Vito“ langsam, mit breitem Grinsen, die Treppe hoch kam.
>Werde ich den denn nie los? Nur ein paar Wochen Ruhe, und schon ist diese Nervensäge wieder hinter mir her<! Dachte sie verzweifelt.
Selbst der Tübinger warf ihr nur einen verächtlichen Blick zu, und wendete sich schweigend ab.
Den abgebrühten Italiener konnte es absolut nicht beeindrucken, dass der Tübinger ihn sogar mit offenem Sarkasmus begrüßte: „Dich muss man wohl erschießen um dich loszuwerden, oder gibt es sonst noch Möglichkeiten, Vito?“
„Wieso? Hier ist doch ein öffentliches Casino. Bei den vielen Zockern störe ich doch nicht. Außerdem arbeitet meine Frau hier, da ist es doch ganz klar, dass ich auf die aufpassen muss.“ Erwiderte Vito grinsend.
„Wo ist deine Frau? Hast du die auch mitgebracht?“ fragte Ute ärgerlich, was ihr nur einen bösen Blick von Vito einbrachte. Keiner konnte darüber lachen.
Ein paar Tage stromerte Vito durch die umliegenden Casinos oder stand hinter dem Tübinger und sah ihm zu, wenn der spielte. Ganz offensichtlich langweilte Vito seine Untätigkeit überhaupt nicht, bis eine plötzliche Hektik entstand, die sich niemand erklären konnte.
Ute saß in ihrem Kassenhäuschen und wunderte sich nur, woher sie dieses unruhige Gefühl hatte.
Als