Die Maske aus schwarzem Samt. Claudia Thoß. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Claudia Thoß
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754170861
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Oper begegnet?« Sie blickte rasch umher, um sicherzugehen, dass sie ungestört reden konnten. Außer ihnen gab es noch eine Gruppe junger Männer, die weit genug weg saßen und sich angeregt unterhielten.

      »Sieht ganz so aus«, erwiderte Christoph mit einem Schulterheben. Er beugte sich ein Stück zu ihr vor. »Versprich mir, dass du keinem Menschen davon erzählst. Nicht einmal Raoul.«

      Ein verstohlenes Lächeln umspielte Daphnes Lippen. »Kein Wort von mir, das verspreche ich. Davon abgesehen hat Raoul nicht genug Phantasie, um an das Phantom zu glauben. Eher hielte er dich für verrückt.«

      Christoph lächelte ebenfalls. »Vielleicht bin ich das.«

      Sie tranken ihren Kaffee und Daphne bestellte sich ein Stück Cremetorte.

      »Wie ist er denn so? Außer seiner geheimnisvollen Erscheinung.«

      »Nun ja«, begann Christoph und setzte seine Tasse ab, »Er hat eine merkwürdige Art, Bekanntschaften zu schließen. Aber als Musiker ist er phantastisch. Fast als wäre er nicht von dieser Welt.«

      »Dein Engel der Musik«, stieß Daphne atemlos hervor.

      »In gewissem Sinn. Wobei Dämon es sicher besser trifft.«

      »Chris! Du hast selbst gesagt, sein Gesang hat dich tief bewegt.«

      »Das ist wahr. Dennoch hat er etwas zutiefst Angsteinflößendes an sich. Es ist besser, sich von ihm fernzuhalten.« Dabei hatte er nicht vor, seinen eigenen Rat zu befolgen. Auch dieses Detail beschloss er für sich zu behalten. »Aber lass uns von etwas anderem reden. Ich gestehe, Raouls Einladung zum Dinner kam völlig unverhofft. Ich hatte nicht einmal Zeit, mich angemessen zu kleiden.«

      »Er hat dich direkt aus der Oper entführt, nicht wahr?« Sie kicherte amüsiert und teilte mit der Kuchengabel ein mundgerechtes Stück von der Cremetorte ab. »Aber ein bisschen verstehe ich ihn. Er wird bald seinen Militärdienst wiederaufnehmen, deshalb möchte er so viel Zeit wie möglich mit dir verbringen.«

      An Raouls Verpflichtung beim Militär hatte Christoph nicht gedacht. Als ihm klar wurde, dass er ihn vermutlich über einen langen Zeitraum hinweg nicht wiedersehen würde, verfiel er in Schweigen.

      »Sei nicht traurig, Chris. Er hat versprochen, jeden Tag zu schreiben.«

      »Es ist ja nicht, als sendeten wir Truppen nach Tunesien aus«, sagte Christoph mit wenig überzeugendem Lächeln.

      »Dorthin wird er nicht entsendet«, beharrte Daphne. Sie legte die Gabel beiseite und trank einen Schluck Kaffee. »Was hältst du davon, wenn ihr euch noch einmal trefft, bevor er seinen Dienst antritt? Wir könnten am Sonntag alle zusammen zu Mittag essen?«

      »Ich fürchte, dem muss ich absagen«, versuchte es Christoph mit einer Entschuldigung, »Übers Wochenende verreise ich für ein paar Tage und werde vor Montag nicht zurück sein.«

      Daphne neigte ihren Kopf, wobei ihre Korkenzieherlocken hin und her wippten.

      »Du verreist?«

      »Ich besuche das Grab meiner Eltern. Und da beide in Perros begraben liegen, wird die Reise eine Weile dauern.«

      Mit zögernder Stimme setzte Daphne hinzu: »Du reist allein?«

      »Mach dir keine Sorgen, Mademoiselle, ich komme zurecht.«

      Das schien sie etwas aufzuheitern und sie nickte ihm zu. »Gut. Ich erwarte dich gesund zurück. Jetzt ist es Zeit für etwas Schokolade. Was meinst du?«

      Christoph erwiderte ihr Lächeln. »Sehr gern.«

      Die Dämmerung senkte sich über die Dächer der Stadt, als Christoph eine Kutsche anhielt, die Daphne nach Hause brachte. Es grämte ihn, sie angelogen zu haben. Doch nach dem Tod Buquets und Madame Girys eindringlichem Rat, sich von allem fernzuhalten, was mit dem Operngeist zu tun hatte, war er nicht imstande gewesen, ihr von seinen Absichten zu erzählen. Seine selbstsüchtigen Gründe, das Essen mit Raoul abzusagen, hätten sie sicher betrübt.

       ***

      Die Proben für Idomeneo ließen Christoph kaum Zeit für andere Dinge. Drei Mal in der Woche gab es eine Abendvorstellung, in der er die Rolle des Idamente sang. Andernfalls standen kaum Falsetto freundliche Opern auf dem Programm.

      »Keine Sorgen, mein Junge«, beschwichtigte ihn Madame Giry, »Falsetto mag dieser Tage nicht besonders populär sein, aber mit dir ändert sich das sicher bald.«

      »Das ist sehr freundlich von Euch.« Christoph lächelte. Nach ihrem Gespräch in Loge fünf versuchte er das Thema Operngeist zu meiden und war dankbar, dass Madame Giry es ebenso hielt.

      Auf ihrem Weg ins Foyer de la Danse fragte sie ihn beiläufig: »Wer ist im Moment eigentlich dein Lehrer?«

      Die Frage klang unschuldig gestellt, doch Christoph wusste, dass mehr dahinter steckte. Als Countertenor einen Lehrer zu finden, war schwierig.

      »Noch habe ich keinen, aber ich arbeite daran.« Ehe sie weiter nachhaken konnte, setzte er hinzu: »Dieses Wochenende treffe ich jemanden und wir werden sehen, wie die Dinge sich entwickeln.«

      Zu seiner Erleichterung trat die kleine Meg hinzu, die sich für ihr Stören entschuldigte.

      »Schon gut, ich wollte sowieso gerade gehen«, versicherte Christoph.

      Wie erwartet, hatte Erik den Brief in der Garderobe an sich genommen. Zudem fand Christoph eine neue Rose vor, ohne Karte oder Gruß. Seine Hände wurden kalt bei dem Gedanken, Erik wiederzusehen. Zitternd vor Aufregung dachte er an das Wochenende.

       ***

      Es war später Nachmittag, als Christoph Perros Guirec erreichte. Die Stadt der Feen und Geister barg für ihn viele Kindheitserinnerungen. Als seine Eltern noch am Leben waren, hatten sie in einem kleinen Landhaus nahe der Küste gewohnt. Jeden Sommer kam Raoul sie besuchen, während er bei seiner Tante in Lannion residierte. Sie gingen schwimmen und erkundeten den Ort, lauschten den alten Geschichten, die die Leute sich erzählen. Der alte Daaé kannte die schönsten bretonischen Sagen, die er am Lagerfeuer den staunenden Kindern erzählte. Später griff er zu seiner Violine und spielte die wunderlichsten Melodien. Christoph begleitete seinen Vater mit Gesang, und errötete jedes Mal, wenn Raoul ihm Komplimente machte. Seine Stimme hatte schon damals diesen weichen Klang besessen, der an Elfen und Feen denken ließ.

      Die Erinnerungen versetzten Christoph in eine melancholische Stimmung. Er stieg aus der Kutsche und betrat das Ar Peniti, in dem die Wirtin ihn bereits erwartete.

      »Guten Abend, Monsieur Daaé. Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Reise. Ein Gentleman hat bereits nach Ihnen gefragt. Ich habe ihm ausgerichtet, dass Sie nicht vor sieben ankommen werden. So lange wollte er nicht warten und ist deshalb wieder gegangen.« Sie händigte ihm den Schlüssel für sein Zimmer aus.

      »Hat er seinen Namen genannt?«

      »Leider nein. Ich fürchte, ich habe vergessen, ihn zu fragen.«

      »Wie sah er aus?«

      Die Wirtin überlegte kurz. »Ich würde sagen, wie jeder andere Herr. Er war so groß wie Sie, aber sehr dünn, säuberlich gekleidet und mit den besten Manieren. Sein Gesicht allerdings war aschfahl. Fast so, als sei es aus Wachs. Seine Nase wirkte irgendwie transparent.«

      Die Beschreibung traf ungefähr auf Erik zu, doch da Christoph dessen Gesicht nicht kannte, konnte er nicht sicher sein. Dann wiederum gab es niemanden außer Erik, der Grund hatte, ihn im Ar Peniti aufzusuchen.

      »Vielen Dank, Madame. Falls er wiederkommen sollte, richten Sie ihm bitte aus, mich um neun Uhr in der Kapelle zu treffen.«

      »Sie möchten heute Nacht noch ausgehen?«

      »Wenn es Ihnen nichts ausmacht.«

      Die Wirtin beeilte sich ihm zu versichern, sie habe keine Einwände. Nachdem sie ihn auf sein Zimmer geführt hatte, überreichte sie ihm einen weiteren Schlüssel für den Haupteingang. Somit konnte Christoph kommen und gehen