Die Maske aus schwarzem Samt. Claudia Thoß. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Claudia Thoß
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754170861
Скачать книгу
flehte Christoph, »Ihr bringt ihn um!«

      Das brachte Erik zum Einlenken. Er ließ von Raoul ab, als sei ihm gerade bewusst geworden, was er da tat.

      »Dieser Narr!«

      Ein Blick in Christophs Augen ließ Erik seine Worte bedauern. Er trat auf ihn zu, den Kopf gesenkt. Wenn er doch nur seine Maske abnehmen und Christoph seine Reue zeigen könnte. Ihm fehlten die Worte, die er zu seiner Verteidigung hätte vorbringen mögen.

      »Es tut mir leid«, flüsterte Christoph. »Ich weiß nicht, was in ihn gefahren ist; weshalb er Euch angegriffen hat ...«

      Erik sah zu ihm auf. »Weshalb entschuldigst du dich? Nichts davon ist deine Schuld.« Gern hätte er Christophs Arm ergriffen, doch er hielt sich zurück. Stattdessen sah er zu Raoul und meinte: »Er wird überleben.«

      Christoph nickte. »Überlasst ihn nur mir. Was ist mit Euch?«

      »Mir geht es gut.« Das war eine Lüge. Er hatte keinen Ort, an dem er die Nacht verbringen konnte. Nicht einmal die Kapelle war mehr sicher, nachdem man ihn am Morgen daraus verjagt hatte, und er kannte die Stadt zu wenig, um zu wissen, wo er sich vor den Menschen und der Kälte verstecken konnte.

      »Kommt mit mir«, schlug Christoph unerwartet vor.

      Bevor Erik Gelegenheit bekam zu antworten, wurden sie von einem Husten und Stöhnen unterbrochen. Es schien, als erlangte der Vicomte das Bewusstsein wieder. Augenblicklich ging Erik in Verteidigungsstellung. Zu seiner Erleichterung war Raoul jedoch zu geschwächt um aufzustehen.

      Christoph eilte ihm zu Hilfe, doch hatte er Schwierigkeiten ihm aufzuhelfen.

      »Gott, was tue ich hier eigentlich?«, murmelte Erik mehr zu sich selbst, bevor er Christoph ablöste. »Überlass das mir. Bring du mir meine Geige, die ich hinter dem Grabstein abgelegt habe.« Er zeigte auf Daaés Grab. Glücklicherweise war Raoul benommen genug, keinen Widerstand zu leisten, als Erik ihn am Arm packte und nach oben zog. Mit einem grimmigen Blick auf die Pistole schleifte er den Vicomte fort.

      Christoph war sicher, dass Raoul auf dem Weg zurück zum Gasthaus so gut wie nichts mitbekam. Während Erik den Vicomte schulterte, schloss Christoph im Schein der Laterne die Tür auf und ließ beide hinein.

      »Bringt ihn nach oben«, flüsterte er Erik zu, »Legt ihn auf sein Bett. Ich kümmere mich um ihn. Ihr könnt in meinem Zimmer schlafen.«

      Erik nickte und tat, wie Christoph ihm geheißen.

      Anschließend übergab Christoph ihm den Schlüssel zu seinem Zimmer. Für den Bruchteil einer Sekunde schienen Eriks Augen golden zu funkeln.

      »Dann gute Nacht.«

      »Gute Nacht.«

      Christoph atmete schwer aus. Diese Nacht hatte eine ebenso unerwartete wie beunruhigende Wendung angenommen. Das würde mit Sicherheit nicht gut ausgehen.

       ***

      Raouls Schläfen pochten, als er erwachte. Beim Versuch, sich aufzusetzen durchzuckten ihn stechende Kopfschmerzen. Scharf sog er die Luft ein, wobei ein weiterer Schmerz seinen Hals verengte. Husten machte es noch schlimmer.

      Er blinzelte ein paar mal, bis der Schmerz abklang. Dann schaute er sich um. Seine Erinnerung, wie er in das Gasthaus zurückgelangt war, war verschwommen. Nachdem der Maskierte versucht hatte ihn zu strangulieren, erinnerte er sich an nichts. Als er an sich hinab sah, fiel ihm auf, dass er noch immer die Kleidung vom Vorabend trug, bis auf seine Schuhe. Jemand musste sie ihm ausgezogen und ordentlich neben das Bett gestellt haben. Und dieser Jemand befand sich noch immer im Zimmer, wie er einen Moment später feststellte.

      Christoph schlief auf der Couch, seinen Mantel wie eine Decke über sich geworfen. Sein Atem ging flach, sein Gesicht sah blass, aber ruhig aus. Dann war er es also, der ihn ins Gasthaus zurückgebracht hatte. Doch was war aus dem Mann in der schwarzen Maske geworden?

      In der Nacht zuvor war Raoul Christoph auf den Friedhof gefolgt, zum Teil aus Neugier, zum Teil aus Sorge. Nie zuvor hatte er eine derart überirdische Stimme vernommen - verlockend, doch gebieterisch, fordernd, doch ebenso verheißungsvoll. Er sank auf die Knie, verzaubert von den Tönen, die ihm aus himmlischen Gefilden zu kommen schienen. Er kannte diese Musik und fühlte sich von dem Geigenspiel berauscht. Sobald die Musik erstarb, kam er jedoch zu Sinnen und erkannte, dass er - und mehr noch Christoph - Opfer eines Tricks geworden waren. Anders als Raoul schien Christoph sich keiner Gefahr bewusst zu sein. Ohne Zögern zückte Raoul seine Pistole und rief Christophs Namen in der Hoffnung, der Maskierte würde fliehen. Allerdings hatte er kein Glück. Unerwartet stellte der andere sich vor Christoph, sodass Raoul keine Wahl blieb, als den ersten Schuss abzufeuern. Er hatte sich stets für einen guten Schützen gehalten, doch die Dunkelheit war nicht sein Freund. Ehe er eine erneute Chance bekam, hatte der andere ihn angegriffen.

      Raoul seufzte. Noch immer fragte er sich, wie Christoph den Mann in der Maske dazu gebracht hatte, ihn zu verschonen. Oder sollte er ihn am Ende überwältigt haben? Das war in Anbetracht von Christophs Verfassung eher unwahrscheinlich. Was auch geschehen sein mochte: Er hatte ihm das Leben gerettet.

      »Du bist wach«, murmelte Christoph blinzelnd. Er streckte sich und stand von der Couch auf. »Wie fühlst du dich?«

      »Wie ein Trinker mit rauem Hals, doch davon ab kann ich nicht klagen.«

      Christoph schmunzelte.

      »Verrätst du mir, was letzte Nacht passiert ist?«

      »Nun ja, du hast auf einen Schatten gezielt und wärst dabei fast umgekommen.«

      »Ein Schatten!«, rief Raoul aus. »Das war kein Schatten. Ich versichere dir, der Mann war sehr real.«

      Christoph sah ihn düster an. Er warf sich seinen Mantel um die Schultern und trat zu Raoul an das Bett heran. »In der Tat. Was um alles in der Welt hast du dir dabei gedacht, die Pistole auf ihn zu richten? Weshalb warst du überhaupt da?«

      Verblüfft von Christophs plötzlichem Ausbruch schreckte Raoul zurück. »Ich habe mir Sorgen gemacht. Als ich dich mitten in der Nacht das Haus verlassen sah, bin ich dir nach. Und nun sehe ich, dass ich das richtige tat. Dieser Mann, wer immer er ist, ist gefährlich!«

      »Was weißt du schon!«, stieß Christoph hervor.

      Das hatte Raoul nicht beabsichtigt. In letzter Zeit schien er gut darin zu sein, Christoph zu verärgern.

      »Dieser Mann hat versucht mich zu töten -«

      »Nachdem du eine Waffe auf ihn abgefeuert hast!«

      »Er war ebenfalls bewaffnet, oder sehe ich das falsch? Was wollte er überhaupt von dir?«

      »Das geht dich nichts an.«

      Raoul hielt inne und sah Christoph bekümmert an. »Du hast recht, es geht mich nichts an. Aber lass mich dich eines fragen: Weshalb, denkst du, versteckt er sein Gesicht? Selbst vor dir? Offenbar vertraust du ihm. Doch was hat er getan, das dieses Vertrauen verdient?«

      »Das kann ich dir nicht sagen.« Christoph senkte seinen Blick. »Seine Stimme - du hast sie doch gehört, nicht wahr? Ihn singen zu hören war wie eine Offenbarung. Und ich brauche ihn, um der Mensch zu werden, der ich sein möchte.«

      Ehe Raoul etwas erwidern konnte, ging Christoph zur Tür und öffnete sie. »Ich sehe dich später.« Damit ließ er ihn allein.

      Als Raoul zurück in die Kissen sank, fühlte er sich wie von einem Zug überrollt. Vielleicht war es besser, wenn er Perros auf der Stelle verließ. Doch er schwor sich, nicht eher abzureisen, bis er seinen Freund in Sicherheit wusste.

      Das Frühstück ließ er ausfallen und machte einen Spaziergang entlang der Küste. Die salzige Luft erfrischte ihm die Sinne, als gelangte er zu neuem Bewusstsein. Am Strand beobachtete er ein paar Möwen, die am Himmel kreisten. Er schloss die Augen, wandte seinen Kopf der Sonne zu und genoss die Wärme auf seinem Gesicht. Als er die Augen wieder öffnete und sich umsah, entdeckte er in einiger Entfernung Christoph. Offenbar hatte er dieselbe