Die Dämonen. Fjodor Dostojewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fjodor Dostojewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754173145
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in einzelne Völkerschaften mit einem freien föderativen Bundesverhältnis, über die Abschaffung der Armee und der Flotte, über die Wiederherstellung Polens am Dnjepr, über die bäuerliche Reform und die Proklamationen, über die Abschaffung des Erbrechts, des Familienlebens, der privaten Kindererziehung und der Geistlichkeit, über die Frauenrechte, über Krajewskis Haus, das niemand Herrn Krajewski verzeihen konnte, usw. usw. Es war klar, daß sich in dieser Gesellschaft von neuen Männern viele Schurken befanden; aber unzweifelhaft waren darunter auch viele ehrenhafte, sogar sehr anziehende Persönlichkeiten, wenn sie auch einige verwunderliche Färbungen aufwiesen. Die ehrenhaften waren weit unverständlicher als die unehrenhaften und groben; aber es war nicht zu erkennen, wer den andern in seiner Gewalt hatte. Als Warwara Petrowna von ihrer Absicht, ein Journal herauszugeben, Mitteilung machte, strömte ihr noch mehr Volk zu; aber sofort wurde ihr auch die ebenso dreiste wie überraschende Beschuldigung ins Gesicht geschleudert, sie sei eine Kapitalistin und beute die Arbeitenden aus. Der hochbejahrte General Iwan Iwanowitsch Drosdow, ein früherer Freund und Kamerad des verstorbenen Generals Stawrogin, ein (notabene in seiner Art) sehr achtungswerter Mann, den wir alle hier kannten, ein äußerst starrköpfiger, reizbarer Mensch, der gewaltig viel zu essen pflegte und den Atheismus gewaltig verabscheute, der geriet auf einer Abendgesellschaft bei Warwara Petrowna mit einem berühmten Jünglinge in Streit. Dieser sagte ihm gleich zu Anfang des Wortwechsels: »Wenn Sie so reden, sind Sie ein General«, womit er sagen wollte, daß er ein stärkeres Schimpfwort als »General« überhaupt nicht finden könne. Iwan Iwanowitsch brauste heftig auf: »Ja, mein Herr, ich bin General, und zwar Generalleutnant und habe meinem Kaiser gedient; aber Sie, mein Herr, sind ein grüner Junge und ein Gottesleugner!« Es folgte eine häßliche Skandalszene. Am andern Tage wurde der Fall in der Presse erörtert, und man begann Unterschriften zu einem Kollektivprotest gegen Warwara Petrownas »ungehöriges Verhalten« zu sammeln, weil sie dem General nicht hatte sogleich die Tür weisen wollen. In einem illustrierten Journale erschien eine boshafte Karikatur, in welcher auf ein und demselben Bildchen Warwara Petrowna, der General und Stepan Trofimowitsch als drei reaktionäre Freunde dargestellt waren; dem Bildchen waren auch einige Verse beigefügt, die ein Volksdichter expreß für den vorliegenden Fall verfaßt hatte. Ich bemerke noch von mir aus, daß tatsächlich viele Personen im Generalsrang die lächerliche Gewohnheit haben zu sagen: »Ich habe meinem Kaiser gedient«, gerade wie wenn sie nicht denselben Kaiser hätten wie wir einfachen Staatsbürger, sondern einen besonderen für sich.

      Länger in Petersburg zu bleiben war natürlich nicht möglich, um so weniger da auch Stepan Trofimowitsch ein entschiedenes Fiasko machte. Er hatte sich nicht enthalten können, über die Rechte der Kunst zu sprechen, und da lachte man ihn noch mehr aus als schon vorher. Bei seiner letzten Vorlesung gedachte er durch politische Beredsamkeit zu wirken; er bildete sich ein, es werde ihm gelingen, die Herzen zu rühren, und rechnete darauf, daß man ihn wegen der »Verfolgungen«, denen er ausgesetzt gewesen sei, respektieren werde. Er gab die Wertlosigkeit und Lächerlichkeit des Wortes »Vaterland« widerspruchslos zu; auch mit der Anschauung, daß die Religion schädlich sei, erklärte er sich einverstanden; aber er sprach sich laut und mit Festigkeit dahin aus, daß Puschkin mehr wert sei als ein Paar Stiefel, sogar erheblich viel mehr. Er wurde erbarmungslos ausgepfiffen, so daß er gleich auf dem Fleck, ohne von der Rednerbühne hinabzusteigen, in aller Öffentlichkeit in Tränen ausbrach. Warwara Petrowna brachte ihn mehr tot als lebendig nach Hause. »On m'a traité comme un vieux bonnet de coton!« stammelte er halb bewußtlos. Sie pflegte ihn die ganze Nacht über, gab ihm Kirschlorbeertropfen und wiederholte ihm bis zum Tagesgrauen: »Sie sind auf der Welt noch nützlich; Sie werden noch zeigen, was Sie leisten können; Sie werden an einem andern Orte gebührend gewürdigt werden.«

      Gleich am andern Tage erschienen bei Warwara Petrowna früh morgens fünf Literaten, von denen ihr drei ganz unbekannt waren; sie hatte sie nie gesehen. Sie erklärten ihr mit ernster Miene, sie hätten die Angelegenheit mit ihrem Journal erwogen und darüber Beschluß gefaßt. Warwara Petrowna hatte absolut nie und niemandem den Auftrag gegeben, in betreff ihres Journals etwas zu erwägen und einen Beschluß zu fassen. Der Beschluß bestand darin, sie solle, sobald sie das Journal werde gegründet haben, ihnen dasselbe sofort mitsamt dem erforderlichen Kapitale übergeben, und zwar mit den Rechten einer freien Handelsgesellschaft; sie selbst solle nach Skworeschniki zurückreisen und nicht vergessen, Stepan Trofimowitsch mitzunehmen, »der schon recht alt geworden sei«. Aus Zartgefühl erklärten sie sich bereit, ihr das Eigentumsrecht zuzuerkennen und ihr jährlich ein Sechstel des Gewinnes zuzusenden. Das rührendste war dabei, daß von diesen fünf Leuten aller Wahrscheinlichkeit nach vier keinerlei eigennützige Absicht hatten, sondern sich nur im Namen der »gemeinsamen Sache« so viel Mühe machten.

      »Wir waren, als wir abfuhren, wie betäubt,« erzählte Stepan Trofimowitsch; »ich konnte keinen klaren Gedanken fassen, und ich erinnere mich, daß ich beim Klappern der Waggonräder immer nur ein paar sinnlose Verse vor mich hinmurmelte, bis dicht vor Moskau. Erst in Moskau kam ich wieder ordentlich zur Besinnung, als ob ich dort tatsächlich in eine andere Atmosphäre gelangt wäre.« »O meine Freunde!« rief er manchmal in edler Erregung aus, »Sie können es sich gar nicht vorstellen, welche Betrübnis und welcher Ingrimm die ganze Seele erfüllen, wenn unverständige Menschen eine große Idee, die man schon lange heilig geachtet hat, aufgreifen und zu ebensolchen Dummköpfen, wie sie selbst es sind, auf die Straße schleppen und man sie dann auf einmal auf dem Trödelmarkte wiederfindet, kaum wiederzuerkennen, mit Schmutz besudelt, in abgeschmackter Art in einem Winkel zur Schau gestellt, wo es an aller Proportion und Harmonie fehlt, ein Spielzeug für dumme Kinder! Nein, da war es doch zu unserer Zeit anders, und wir haben andere Ziele verfolgt. Ja, ja, ganz andere Ziele! Ich erkenne die Welt gar nicht wieder ... Aber unsere Zeit wird wiederkommen und wird alles, was jetzt schwankt und taumelt, auf den festen Weg führen. Was soll denn auch sonst aus der Welt werden? ...«

       VII.

      Gleich nach der Rückkehr aus Petersburg schickte Warwara Petrowna ihren Freund »zu seiner Erholung« ins Ausland; auch war es erforderlich, daß sie sich für einige Zeit voneinander trennten, das fühlte sie. Stepan Trofimowitsch fuhr ganz entzückt ab: »Dort werde ich ein neues Leben beginnen!« rief er aus. »Dort werde ich mich endlich wieder der Wissenschaft widmen!« Aber gleich in den ersten Briefen aus Berlin stimmte er wieder die alte Leier an: »Mein Herz ist zerrissen,« schrieb er an Warwara Petrowna; »ich kann die Vergangenheit nicht vergessen! Hier in Berlin hat mich alles an meine alte Zeit erinnert, an meine ersten Wonnen und an meine ersten Qualen. Wo ist sie? Wo sind jetzt diese beiden weiblichen Wesen? Wo seid ihr, ihr meine beiden guten Engel, deren ich nie wert gewesen bin? Wo ist mein Sohn, mein geliebter Sohn? Wo ist endlich mein eigenes früheres Ich geblieben, ich, der ich ehemals stark wie Stahl und unerschütterlich wie ein Fels war, während jetzt so ein Andrejew, ein rechtgläubiger, bärtiger Hansnarr, peut briser mon existence en deux «, usw. usw. Was Stepan Trofimowitschs Sohn anlangt, so hatte er ihn nur zweimal in seinem ganzen Leben gesehen, das erstemal, als er geboren wurde, und das zweitemal kürzlich in Petersburg, wo der junge Mensch sich zum Eintritt in die Universität vorbereitete. Die ganze Zeit her war der Knabe, wie bereits gesagt ist, bei seinen Tanten im Gouvernement O***, siebenhundert Werst von Skworeschniki entfernt, (auf Warwara Petrownas Kosten) erzogen worden. Was nun jenen Andrejew anlangt, so war das ganz einfach unser hiesiger Kaufmann und Ladenbesitzer Andrejew, ein großer Sonderling, archäologischer Autodidakt, leidenschaftlicher Sammler russischer Altertümer, der sich manchmal vor Stepan Trofimowitsch mit seinen Kenntnissen und namentlich mit seiner patriotischen Gesinnung aufspielte. Dieser achtbare Kaufmann mit seinem grauen Barte und seiner großen silbernen Brille hatte von Stepan Trofimowitsch einige Desjätinen Wald auf dessen kleinem, bei Skworeschniki gelegenen Gute zum Abschlagen gekauft, war aber mit der Zahlung von vierhundert Rubeln im Rückstand geblieben. Obgleich Warwara Petrowna ihren Freund, als sie ihn nach Berlin schickte, reichlich mit Geldmitteln ausgestattet hatte, hatte Stepan Trofimowitsch doch auf diese vierhundert Rubel vor seiner Abreise noch besonders gerechnet, wahrscheinlich für seine geheimen Ausgaben, und hatte beinah geweint, als Andrejew bat, ihm einen Monat Frist zu geben; übrigens hatte dieser sogar ein Recht auf einen solchen Aufschub; denn er hatte die ersten Raten fast ein halbes Jahr vor den Terminen bezahlt, weil Stepan Trofimowitsch sich damals in besonderer Geldklemme befunden hatte. Warwara Petrowna las diesen ersten Brief mit lebhaftem