»Na, das ist lauter dummes Zeug!« sagte Warwara Petrowna, indem sie auch diesen Brief weglegte. »Wenn er bis zum Morgengrauen attische Nächte verlebt, dann kann er nicht zwölf Stunden täglich bei den Büchern sitzen. Ob er das in betrunkenem Zustande geschrieben hat? Wie kann diese Frau Dundasowa sich erdreisten, mich grüßen zu lassen? Übrigens, mag er meinetwegen ein bißchen bummeln ...«
Der Ausdruck, »dans le pays de Makar et de ses veaux« bedeutete: »wohin Makar seine Kälber nicht getrieben hat«.[3] Stepan Trofimowitsch übersetzte manchmal absichtlich in der dümmsten Art und Weise echt russische Sprichwörter und Redensarten ins Französische, obwohl er sie ohne Zweifel richtig verstand und sie hätte besser übersetzen können; aber er tat das aus einer eigenartigen Geschmacksrichtung heraus und fand es geistreich.
Aber sein Bummelleben dauerte nicht lange; er hielt es nicht vier Monate aus und eilte nach Skworeschniki zurück. Seine letzten Briefe bestanden nur aus Ergüssen der gefühlvollsten Liebe zu seiner abwesenden Freundin und waren buchstäblich von Tränen durchnäßt, die er über die Trennung vergossen hatte. Es gibt Naturen, die sich außerordentlich an das Haus gewöhnen, wie Stubenhunde. Das Wiedersehen der Freunde war entzückend. Nach zwei Tagen ging alles wieder im alten Gleise und sogar langweiliger als vorher. »Mein Freund,« sagte Stepan Trofimowitsch nach vierzehn Tagen zu mir unter dem Siegel des tiefsten Geheimnisses, »mein Freund, ich habe etwas Neues entdeckt, was für mich ganz schrecklich ist: Je suis un einfacher Parasit et rien de plus! Mais rrrien de plus! «
VIII.
Darauf trat bei uns eine stille Zeit ein, die beinah diese ganzen neun Jahre dauerte. Die Anfälle von krankhafter Traurigkeit, bei denen er an meiner Schulter schluchzte, setzten sich in regelmäßiger Wiederkehr fort, ohne uns in unserer Glückseligkeit zu stören. Ich wundere mich, daß Stepan Trofimowitsch in dieser Zeit nicht dick wurde. Nur seine Nase rötete sich ein wenig, und seine Sanftmut nahm noch zu. Allmählich bildete sich um ihn ein Verein von Freunden, der übrigens immer nur klein war. Warwara Petrowna kam mit unserem Vereine nur wenig in Berührung; aber dennoch erkannten wir sie alle als unsere Patronin an. Nach der schmerzlichen Lehre, die ihr in Petersburg zuteil geworden war, hatte sie sich endgültig in unserer Stadt niedergelassen; im Winter wohnte sie in ihrem Stadthause und im Sommer auf ihrem in der Nähe der Stadt gelegenen Gute. Noch nie hatte sie in der besseren Gesellschaft unserer Gouvernementsstadt so viel Bedeutung und Einfluß gehabt wie in den letzten sieben Jahren, das heißt bis zur Ernennung unseres jetzigen Gouverneurs. Unser früherer Gouverneur, der unvergeßliche, milde Iwan Osipowitsch, war ein naher Verwandter von ihr und hatte ehemals von ihr viele Wohltaten empfangen. Seine Gemahlin zitterte bei dem bloßen Gedanken, daß Warwara Petrowna ihr etwas übelnehmen könne; und die Verehrung, die die Gesellschaft der Gouvernementsstadt ihr erwies, hatte schon beinah etwas Sündhaftes. Eine Folge davon war, daß auch Stepan Trofimowitsch es gut hatte. Er war Mitglied des Klubs, verlor würdevoll im Kartenspiel und genoß die allgemeine Achtung, obgleich viele in ihm nur einen »Gelehrten« sahen. Als ihm im Laufe der Zeit Warwara Petrowna erlaubte, in einem andern Hause zu wohnen, fühlten wir uns noch ungenierter. Wir versammelten uns bei ihm zweimal in der Woche; es ging meist heiter her, namentlich wenn er den Champagner nicht sparte. Der Wein wurde im Laden des schon genannten Andrejew auf Borg entnommen. Alle Halbjahr bezahlte Warwara Petrowna die Rechnung, und der Tag der Bezahlung war fast immer auch ein Tag der Cholerine.
Das älteste Mitglied unseres Vereins war der Gouvernementsbeamte Liputin, ein nicht mehr junger Mann, ein großer Fortschrittler; in der Stadt galt er auch für einen Atheisten. Er war zum zweitenmal verheiratet, mit einer jungen, hübschen Frau, die ihm eine beträchtliche Mitgift gebracht hatte; außerdem hatte er drei Töchter im Backfischalter. Seine ganze Familie hielt er zur Gottesfurcht und zu einem sehr häuslichen Leben an; er war außerordentlich geizig und hatte sich von seinen Ersparnissen im Dienste ein Häuschen angeschafft und ein Kapital angesammelt. Er war ein unruhiger Mensch, auch bekleidete er nur ein niedriges Amt; in der Stadt genoß er wenig Achtung, und in die bessere Gesellschaft hatte er keine Aufnahme gefunden. Zudem war er ein notorisches Lästermaul, wofür er schon mehrmals und empfindlich bestraft worden war, einmal von einem Offizier und ein anderes Mal von einem achtbaren Familienvater, einem Gutsbesitzer. Aber wir liebten seinen scharfen Verstand, seine Wißbegierde, seine eigenartige, boshafte Lustigkeit. Warwara Petrowna mochte ihn nicht leiden; aber er verstand es immer, ihr gegenüber den Liebenswürdigen zu spielen.
Auch Schatow erfreute sich nicht ihrer Gunst, der erst im letzten Jahre Mitglied unseres Vereines geworden war. Schatow war früher Student gewesen, aber infolge einer studentischen Skandalgeschichte von der Universität verwiesen worden; als Kind hatte er Stepan Trofimowitschs Unterricht genossen; geboren war er als Leibeigner Warwara Petrownas, und zwar als Sohn ihres verstorbenen Kammerdieners Pawel Fjodorow, und er hatte von ihr viele Wohltaten empfangen. Sie mochte ihn nicht leiden wegen seines Stolzes und wegen seiner Undankbarkeit und konnte es ihm nie verzeihen, daß er nach seiner Relegation von der Universität nicht sogleich zu ihr gekommen war; ja, auf einen Brief, den sie damals expreß an ihn geschrieben hatte, hatte er ihr nicht einmal geantwortet, sondern es vorgezogen, sich bei einem einigermaßen kultivierten Kaufmann als Lehrer der Kinder desselben zu verdingen. Er war mit der Familie dieses Kaufmanns ins Ausland gefahren, mehr in der Stellung eines Aufsehers der Kinder als eines Erziehers; aber es zog ihn damals außerordentlich nach dem Auslande. Bei den Kindern befand sich auch noch eine Gouvernante, ein frisches russisches Fräulein, die ebenfalls erst kurz vor der Abreise in das Haus eingetreten und hauptsächlich der Wohlfeilheit halber angenommen war. Nach zwei Monaten jagte sie der Kaufmann »wegen ihrer freien Anschauungen« weg. Nach ihr machte sich auch Schatow davon und ließ sich bald darauf mit ihr in Genf trauen. Sie lebten etwa drei Wochen zusammen; dann trennten sie sich wieder als freie, durch nichts gebundene Menschen, allerdings auch wegen ihrer Armut. Lange Zeit trieb er sich darauf allein in Europa umher und lebte Gott weiß wovon; es heißt, er habe auf der Straße Stiefel geputzt und sei in einem Hafen Lastträger gewesen. Vor einem Jahre war er endlich in seinen Heimatort zurückgekehrt und hatte sich daselbst mit einer alten Tante zusammen niedergelassen, die er nach einem Monate begrub. Mit seiner Schwester Dascha, die ebenfalls ein Pflegekind Warwara Petrownas war und in einer Günstlingsstellung bei ihr auf sehr vornehmem Fuße lebte, unterhielt er nur sehr spärliche und entfernte Beziehungen. Unter uns war er beständig mürrisch und schweigsam; aber mitunter, wenn jemand seine Überzeugungen antastete, zeigte er eine krankhafte Reizbarkeit und ließ dann seiner Zunge die Zügel schießen. »Schatow muß man zuerst binden; erst dann kann man mit ihm disputieren,« sagte Stepan Trofimowitsch manchmal; aber er hatte ihn gern. Im Auslande hatte Schatow einige seiner früheren sozialistischen Ansichten vollständig geändert und war zum entgegengesetzten Extrem übergegangen. Er war eine jener idealen russischen Naturen, die irgendeine starke Idee plötzlich überkommt und sofort gleichsam mit ihrer Last niederdrückt, manchmal sogar