Die Dämonen. Fjodor Dostojewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fjodor Dostojewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754173145
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ist Rußland ein zu großes Rätsel, als daß wir allein, ohne die Deutschen und ohne Arbeit, es lösen könnten. Schon seit zwanzig Jahren läute ich Sturm und rufe zur Arbeit auf! Ich habe mein Leben diesem Aufrufe geweiht, und ich Tor habe an einen Erfolg geglaubt! Jetzt glaube ich daran nicht mehr; aber ich läute und werde läuten bis zu meinem Ende, bis zum Grabe; ich werde den Glockenstrick ziehen, bis man zu meiner Seelenmesse läutet!«

      Leider stimmten wir ihm lediglich bei. Wir klatschten unserm Lehrer Beifall, und mit welchem Eifer! Aber, meine Herren, hört man nicht auch jetzt noch auf Schritt und Tritt solchen »hübschen«, »verständigen«, »liberalen«, altrussischen Unsinn?

      An Gott glaubte unser Lehrer. »Ich begreife nicht, warum mich hier alle als Gottesleugner hinstellen?« sagte er manchmal. »Ich glaube an Gott; mais distinguons: ich glaube an ihn wie an ein Wesen, das sich seiner nur in mir bewußt wird. Ich kann eben nicht in der Weise an ihn glauben wie meine Nastasja« (das Dienstmädchen), »oder wie ein Hausherr, der ›unter allen Umständen‹ glaubt, oder wie unser lieber Schatow, – übrigens nein, Schatow scheidet hier aus. Schatow glaubt zwangsweise, als Moskauer Slawophile. Was aber das Christentum anlangt, so bin ich bei all meiner aufrichtigen Hochachtung gegen dasselbe doch kein Christ. Eher bin ich ein antiker Heide wie der große Goethe oder wie die alten Griechen. Man nehme schon allein den Umstand, daß das Christentum kein Verständnis für das Weib gehabt hat, wie das George Sand in einem ihrer genialsten Romane so prächtig dargelegt hat. Was Verbeugungen, Fasten und all dergleichen anlangt, so sehe ich nicht ab, wen meine Ansicht darüber etwas angeht. Mögen auch unsere hiesigen Denunzianten eine noch so rege Tätigkeit entwickeln, so will ich doch kein Jesuit sein. Im Jahre 1847 schickte Bjelinski, der damals im Auslande war, seinen bekannten Brief an Gogol und machte diesem darin heftige Vorwürfe darüber, daß er ›an irgendwelchen Gott‹ glaube. Entre nous soit dit, ich kann mir nichts Komischeres vorstellen als den Augenblick, wo Gogol (der damalige Gogol!) diesen Ausdruck und den ganzen Brief las! Aber ich lasse die Lächerlichkeit beiseite, und da ich in allem Wesentlichen einverstanden bin, so sage ich und spreche es aus: das waren Männer! Sie verstanden es, ihr Volk zu lieben; sie verstanden es, für dasselbe zu leiden; sie verstanden es, für dasselbe alles zu opfern, und sie verstanden es gleichzeitig, wo das nötig war, auf ein Zusammengehen mit ihm zu verzichten und ihm in gewissen Anschauungen nicht nach dem Munde zu reden. Es war doch auch wirklich unmöglich, daß ein Bjelinski die Erlösung in Fastenöl oder in Rettich mit Erbsen suchte! ...«

      Aber hier erhob Schatow Einspruch.

      »Niemals haben diese Ihre Männer das Volk geliebt, für dasselbe gelitten und ein Opfer gebracht, wenn sie sich das auch selbst zu ihrem Troste eingebildet haben mögen!« brummte er grimmig, indem er die Augen auf den Boden richtete und sich ungeduldig auf seinem Stuhle hin und her drehte.

      »Diese Männer, die sollten das Volk nicht geliebt haben!« rief Stepan Trofimowitsch klagend. »O, wie haben sie Rußland geliebt!«

      »Weder Rußland noch das Volk!« rief nun Schatow ebenfalls erregt; seine Augen funkelten. »Man kann nicht lieben, was man nicht kennt, und sie haben keinen Begriff vom russischen Volke gehabt! Alle diese Männer und Sie mit ihnen haben das russische Volk durch eine Brille betrachtet, und Bjelinski ganz besonders; das geht schon aus ebendiesem seinem Briefe an Gogel hervor. Bjelinski hat, genau so wie der Wißbegierige in der Krylowschen Fabel, den Elefanten im zoologischen Museum nicht bemerkt[9] und seine ganze Aufmerksamkeit auf die französischen sozialistischen Käferchen gerichtet; dabei ist er bis zu seinem Lebensende verblieben. Und der war doch noch verständiger als Sie alle! Und nicht genug damit, daß Sie das Volk verkennen, empfinden Sie gegen dasselbe auch Ekel und Geringschätzung, schon allein deswegen, weil Sie sich unter einem Volke nur das französische Volk vorstellen, und auch von dem nur die Pariser, und sich schämen, daß das russische Volk nicht von derselben Art ist. Das ist die nackte Wahrheit! Wer aber kein Volk hat, der hat auch keinen Gott! Glauben Sie sicher: jeder, der sein Volk zu verstehen aufhört und die Verbindung mit ihm verliert, verliert auch im selben Augenblick und im selben Maße den väterlichen Glauben und wird entweder ein Atheist oder gleichgültig. Ich spreche die Wahrheit! Das ist eine Tatsache, die sich belegen läßt. Das ist der Grund, weshalb Sie alle und wir alle jetzt entweder schändliche Atheisten oder indifferentes, liederliches Gesindel sind und weiter nichts! Und ich schließe auch Sie, Stepan Trofimowitsch, ganz und gar nicht aus; was ich gesagt habe, war sogar ausdrücklich auf Sie gemünzt. Das mögen Sie wissen!«

      Gewöhnlich ergriff Schatow nach einem solchen längeren Erguß (wie er bei ihm oft vorkam) seine Mütze und stürzte zur Tür, fest überzeugt, daß nun alles zu Ende sei, und daß er seine freundschaftlichen Beziehungen zu Stepan Trofimowitsch vollständig und für alle Zeit zerstört habe. Aber der hielt ihn immer noch rechtzeitig zurück.

      »Wollen wir uns nun nicht nach all diesen freundlichen Worten versöhnen, Schatow?« pflegte er zu sagen und ihm von seinem Lehnstuhl aus gutmütig die Hand hinzustrecken.

      Der plumpe, aber sich leicht schämende Schatow mochte Zärtlichkeiten nicht leiden. Seinem äußeren Wesen nach grob und derb, besaß er doch, wie ich glaube, im stillen ein großes Zartgefühl. Er überschritt zwar oft das rechte Maß, war aber selbst der erste, der darunter litt. Nachdem er auf Stepan Trofimowitschs einladende Worte etwas vor sich hingebrummt und wie ein Bär auf demselben Flecke herumgetreten hatte, lächelte er auf einmal unerwartet, legte seine Mütze wieder hin und setzte sich auf seinen früheren Platz, wobei er hartnäckig auf den Boden blickte. Natürlich wurde Wein gebracht, und Stepan Trofimowitsch brachte einen passenden Toast aus, zum Beispiel auf das Andenken einer der früheren Größen der Politik und Literatur.

Zweites Kapitel. Prinz Harry. Die Brautwerbung.

       I.

      Es gab auf der Erde noch ein Wesen, zu welchem Warwara Petrowna nicht mindere Zuneigung empfand als zu Stepan Trofimowitsch, und das war ihr einziger Sohn Nikolai Wsewolodowitsch Stawrogin. Für ihn war ja auch Stepan Trofimowitsch als Erzieher angenommen worden. Der Knabe war damals acht Jahre alt, und der leichtsinnige General Stawrogin, sein Vater, lebte damals schon von seiner Frau getrennt, so daß das Kind ausschließlich unter ihrer Obhut aufwuchs. Man muß Stepan Trofimowitsch die Gerechtigkeit widerfahren lassen, anzuerkennen, daß er es verstand, seinen Zögling an sich zu fesseln. Sein ganzes Geheimnis dabei bestand darin, daß er selbst noch ein Kind war. Ich stand damals mit ihm noch in keiner Beziehung; er bedurfte aber beständig eines aufrichtigen Freundes. Er trug kein Bedenken, den Kleinen, sowie er nur ein wenig heranwuchs, zu seinem Freunde zu machen. Sie stimmten in ihrem Wesen so gut zusammen, daß sich zwischen ihnen nicht der geringste Abstand fühlbar machte. Nicht selten weckte er seinen zehn oder elfjährigen Freund in der Nacht auf, einzig und allein um ihm unter Tränen sein gekränktes Herz auszuschütten oder ihm irgendein häusliches Geheimnis zu entdecken, ohne daran zu denken, daß das durchaus unerlaubt sei. Sie fielen einander in die Arme und weinten. Der Knabe wußte, daß seine Mutter ihn sehr liebte; aber er selbst liebte sie kaum. Sie redete wenig mit ihm und legte seinem Willen nur selten Beschränkungen auf; aber er fühlte, daß ihr Blick ihn immer unverwandt verfolgte, und das war ihm peinlich. Übrigens setzte die Mutter in allem, was den Unterricht und die moralische Erziehung des Knaben anlangte, auf Stepan Trofimowitsch volles Vertrauen. Sie glaubte damals an ihn noch ohne Einschränkung. Man muß wohl annehmen, daß der Pädagog das Nervensystem seines Zöglings in Unordnung gebracht hatte. Als dieser im Alter von sechzehn Jahren auf das Lyzeum gebracht wurde, war er schwächlich und blaß und in auffälliger Weise still und nachdenklich. (In der Folge zeichnete er sich durch außerordentliche Körperkraft aus.) Man muß auch annehmen, daß die beiden Freunde, wenn sie sich nachts umarmten, nicht immer nur über häusliche Vorkommnisse weinten. Stepan Trofimowitsch verstand es, in dem Herzen seines Freundes die verborgensten Saiten anzurühren und in ihm das erste, noch unbestimmte Gefühl jenes ewigen, heiligen Sehnens zu erwecken, welches manche auserwählte Seele, nachdem sie es einmal gekostet und kennen gelernt hat, nachher nie mehr mit einer billigen Zufriedenheit vertauschen möchte. (Es gibt auch solche Liebhaber dieses Sehnens, die dasselbe sogar höher schätzen als eine absolute Zufriedenheit, wenn eine solche selbst möglich wäre.) Aber