Die Dämonen. Fjodor Dostojewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fjodor Dostojewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754173145
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erfülle. Und schließlich mußte er auch jemand haben, um mit ihm Champagner zu trinken und gewisse vergnügliche Gedanken über Rußland und den »russischen Geist«, über Gott im allgemeinen und den »russischen Geist« im besonderen auszutauschen und russische Skandalgeschichten, die ein jeder kannte und auswendig wußte, zum hundertsten Male zu wiederholen. Auch dem Stadtklatsch waren wir nicht abgeneigt und gelangten dabei manchmal zu strengen, hochmoralischen Urteilssprüchen. Auch allgemein menschliche Dinge zogen wir in den Kreis unserer Erörterungen; wir sprachen ernst über das zukünftige Schicksal Europas und der Menschheit, sagten im Professorentone voraus, daß Frankreich nach dem Cäsarismus mit einem Male auf die Stufe eines Staates zweiten Ranges herabsinken werde, und waren völlig davon überzeugt, daß dies sehr bald und sehr leicht geschehen könne. Dem Papste hatten wir schon längst vorausgesagt, daß er in dem geeinigten Italien die Rolle eines einfachen Metropoliten spielen werde, und zweifelten nicht im geringsten daran, daß die Lösung dieser ganzen ein Jahrtausend alten Frage in unserm Zeitalter der Humanität, der Industrie und der Eisenbahnen eine Bagatelle sei. Aber anders stellt sich ja »der höchste russische Liberalismus« zu den Dingen überhaupt nicht. Stepan Trofimowitsch sprach auch manchmal über die Kunst und immer gut, nur etwas zu abstrakt. Auch gedachte er mitunter seiner Jugendfreunde, lauter in der Geschichte unserer Gesamtentwickelung hervorragender Persönlichkeiten; er gedachte ihrer mit Rührung und Verehrung, aber, wie es schien, zugleich mit etwas Neid. Wenn es einmal gar zu langweilig wurde, so setzte der Jude Ljamschin, ein niederer Postbeamter und vorzüglicher Klavierspieler, sich an das Instrument, und zwischen den einzelnen Stücken, die er spielte, imitierte er allerlei Töne: ein Schwein, ein Gewitter, eine Entbindung mit dem ersten Schrei des Kindes usw. usw.; nur deswegen wurde er auch eingeladen. Hatten wir sehr stark getrunken (und das kam vor, wiewohl nicht oft), so gerieten wir in Begeisterung und sangen sogar einmal im Chor mit Ljamschins Klavierbegleitung die Marseillaise; aber ob es gerade sehr gut klang, weiß ich nicht. Den großen Tag des 19. Februar[5] begrüßten wir enthusiastisch und leerten in den folgenden Jahren noch lange ihm zu Ehren unter Trinksprüchen unsere Gläser. Das liegt schon weit, weit zurück, damals gehörten Schatow und Wirginski unserem Vereine noch nicht an, und Stepan Trofimowitsch wohnte noch mit Warwara Petrowna in demselben Hause. Einige Zeit vor dem großen Tage hatte Stepan Trofimowitsch es sich angewöhnt, ein paar Verse vor sich hinzumurmeln, die allerdings ziemlich sinnlos waren und wohl von einem früheren liberalen Gutsbesitzer herrührten:

      »Mit Beilen sieht man Bauern gehn;

      Gewiß wird Schreckliches geschehn.«

      So ungefähr war es; auf den Wortlaut kann ich mich nicht besinnen. Warwara Petrowna hörte das einmal zufällig mit an, rief ihm zu: »Unsinn, Unsinn!« und wurde sehr zornig. Liputin aber, der gerade zugegen war, bemerkte, zu Stepan Trofimowitsch gewendet, boshaft:

      »Es würde doch zu bedauern sein, wenn den Herren Gutsbesitzern ihre früheren Leibeigenen wirklich in der Freude ihres Herzens eine Unannehmlichkeit bereiten sollten!«

      Dabei fuhr er sich mit dem Zeigefinger um den Hals.

      »Cher ami,« erwiderte ihm Stepan Trofimowitsch gutmütig, »Sie können glauben, daß dies« (er wiederholte die Fingerbewegung um den Hals) »weder den Gutsbesitzern noch uns allen insgemein irgendwelchen Nutzen bringen würde. Auch ohne Köpfe würden wir nicht verstehen, eine brauchbare Einrichtung zu treffen, obwohl gerade unsere Köpfe es sind, die uns am meisten daran hindern, etwas zu verstehen.«

      Ich bemerke, daß viele bei uns glaubten, am Tage des Manifestes werde etwas Ungewöhnliches geschehen, etwas von der Art, wie es Liputin und alle sogenannten Kenner des Volkes und des Staates vorhersagten. Es scheint, daß auch Stepan Trofimowitsch dieser Ansicht war und sogar in solchem Grade, daß er kurz vor dem großen Tage auf einmal Warwara Petrowna um die Erlaubnis bat, ins Ausland reisen zu dürfen; kurz, er befand sich in großer Unruhe. Aber als der große Tag und dann noch eine gewisse Zeit vergangen war, da zeigte sich wieder auf Stepan Trofimowitschs Lippen das frühere hochmütige Lächeln. Er sprach vor uns als Zuhörern einige bemerkenswerte Gedanken über den Charakter des Russen im allgemeinen und des russischen Bauern im besonderen aus.

      »Hastig, wie wir nun einmal sind,« schloß er die Reihe seiner interessanten Gedanken, »haben wir uns mit unsern Bauern übereilt. Wir haben sie in Mode gebracht, und ein ganzer Zweig unserer Literatur hat sich mehrere Jahre hintereinander mit ihnen wie mit einem neuentdeckten Kleinode beschäftigt. Wir haben Lorbeerkränze auf verlauste Köpfe gesetzt. Das russische Dorf hat im Laufe eines ganzen Jahrtausends uns weiter nichts gegeben als den Kamarinski.[6] Ein bedeutender russischer Dichter, dem es nicht an klugem Verstande mangelt, rief, als er zum erstenmal die große Rachel auf der Bühne sah, entzückt aus: ›Ich gebe die Rachel nicht für einen Bauer hin!‹ Ich möchte noch weiter gehen und sagen: ich gebe alle russischen Bauern für die eine Rachel hin. Es ist Zeit, daß wir die Sache etwas nüchterner betrachten und nicht unsern heimischen derben Teer mit bouquet de l'impératrice vermischen.«

      Liputin stimmte ihm sogleich bei, bemerkte aber, daß es damals doch für die liberale Richtung unumgänglich notwendig gewesen sei, auch gegen die eigene Überzeugung die Bauern zu loben; hätten doch selbst Damen der höchsten Gesellschaftskreise bei der Lektüre von ›Anton, der Unglücksmensch‹[7] Tränen vergossen, und manche von ihnen hätten sogar aus Paris an ihre Verwalter geschrieben, sie sollten von nun an die Bauern möglichst human behandeln.

      Es begab sich, und zufällig gerade nach jenen Gerüchten, daß auch in unserm Gouvernement, nur fünfzehn Werst von Skworeschniki entfernt, Mißhelligkeiten vorkamen, so daß man in der ersten Hitze ein Militärkommando hinschickte. Bei diesem Anlaß regte sich Stepan Trofimowitsch dermaßen auf, daß auch wir darüber einen Schreck bekamen. Er rief im Klub, es sei mehr Militär nötig; man solle aus einem andern Kreise telegraphisch welches herbeirufen. Er lief zum Gouverneur und versicherte ihm, daß er bei der Sache ganz unbeteiligt sei; er bat, man möchte ihn nicht etwa auf Grund alter Erinnerungen in diese Affäre hineinmengen, und ersuchte den Gouverneur, über diese seine Erklärung unverzüglich nach Petersburg an die zuständige Stelle zu berichten. Ein Glück, daß dies alles schnell vorüberging und sich in nichts auflöste; aber ich habe mich damals über Stepan Trofimowitsch höchlichst gewundert.

      Drei Jahre darauf fing man bekanntlich an von Nationalität zu sprechen, und es entstand die »öffentliche Meinung«. Stepan Trofimowitsch lachte darüber herzlich.

      »Meine Freunde,« sagte er in lehrhaftem Tone, »unsere Nationalität, wenn sie wirklich ›geboren ist‹, wie die Leute jetzt in den Zeitungen behaupten, sitzt noch in der Schule, in einer deutschen Kinderschule, bei einem deutschen Buche, und lernt ihre ewige deutsche Aufgabe, und der deutsche Lehrer läßt sie nötigenfalls zur Strafe niederknien. Wegen des deutschen Lehrers lobe ich sie; aber das wahrscheinlichste ist, daß überhaupt nichts geschehen und nichts Derartiges geboren ist, sondern alles so weitergeht, wie es bisher gegangen ist, das heißt unter Gottes Schutze! Meiner Ansicht nach genügt das auch für Rußland, pour notre sainte Russie. Zudem sind dieses ganze Allslawentum und diese ganze Nationalität viel zu alt, um neu zu sein. Die Nationalität, kann man wohl sagen, ist bei uns noch nie etwas anderes gewesen als ein phantastischer, aus vornehmen, noch dazu Moskauer, Klubs herstammender Einfall. Ich rede natürlich nicht von der Zeit Igors.[8] Und schließlich rührt das alles vom Müßiggange her. Daher rührt bei uns alles, auch das Gute und Schöne. Alles rührt von unserm herrschaftlichen, lieben, gebildeten, launischen Müßiggange her! Das werde ich nie müde werden zu wiederholen. Wir verstehen es nicht, von unserer Arbeit zu leben. Und was machen sie jetzt für ein Gerede von einer angeblich bei uns entstandenen öffentlichen Meinung? Ist die so plötzlich ohne weiteres vom Himmel gefallen? Verstehen diese Menschen denn nicht, daß, um in den Besitz einer eigenen Meinung zu gelangen, vor allen Dingen Arbeit nötig ist, eigene Arbeit, eigene Initiative, eigene Praxis? Ohne Müh und Arbeit wird nie etwas erreicht. Wenn wir arbeiten werden, werden wir auch eine eigene Meinung haben. Aber da wir nie arbeiten werden, so werden an unserer