Die Dämonen. Fjodor Dostojewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fjodor Dostojewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754173145
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einige Ähnlichkeit hatte. Aber auch das ist natürlich unwichtig.

      In den ersten Jahren oder, genauer gesagt, in der ersten Hälfte seines Aufenthaltes bei Warwara Petrowna hatte Stepan Trofimowitsch immer noch an dem Gedanken festgehalten, eine Abhandlung zu schreiben, und es sich täglich ernsthaft vorgenommen. Aber in der zweiten Hälfte begann er offenbar schon das zu vergessen, was er früher gewußt hatte. Immer häufiger sagte er zu uns: »Ich möchte meinen, daß ich zur Arbeit vorbereitet bin, das Material beisammen habe, und doch schaffe ich nichts! Es kommt nichts zustande!« und er ließ in trüber Stimmung den Kopf hängen. Ohne Zweifel mußte dies ihm als einem Märtyrer der Wissenschaft in unseren Augen eine noch höhere Bedeutung verleihen; aber er selbst wollte noch auf etwas anderes hinaus. »Man hat mich vergessen; niemand bedarf meiner!« Diese Klage entrang sich nicht selten seiner Brust. Diese gesteigerte Hypochondrie bemächtigte sich seiner besonders ganz am Ende der fünfziger Jahre. Warwara Petrowna gelangte schließlich zu der Erkenntnis, daß die Sache ernst sei. Auch konnte sie den Gedanken nicht ertragen, daß ihr Freund vergessen sei und niemand seiner bedürfe. Um ihn zu zerstreuen und zugleich seinen Ruhm wieder aufzufrischen, nahm sie ihn damals mit nach Moskau, wo sie mit mehreren hervorragenden Literaten und Gelehrten bekannt war; aber auch Moskau brachte nicht die gewünschte Wirkung hervor.

      Es war damals eine eigenartige Zeit; es kündigte sich etwas Neues an, das der bisherigen Stille sehr unähnlich war, etwas sehr Seltsames, das aber überall gespürt wurde, sogar in Skworeschniki. Allerlei Gerüchte drangen bis dorthin. Die Tatsachen waren im allgemeinen mehr oder minder bekannt; aber es war klar, daß außer den Tatsachen auch gewisse sie begleitende Ideen aufgetaucht waren und, was die Hauptsache war, in außerordentlicher Menge. Aber gerade das richtete Verwirrung an: es war schlechterdings unmöglich, sich darin zu orientieren und sich ordentlich darüber klar zu werden, was diese Ideen nun eigentlich zu bedeuten hatten. Warwara Petrowna wollte ihrer weiblichen Natur zufolge darin absolut ein Geheimnis spüren. Sie machte sich selbst daran, Zeitungen und Journale, ausländische verbotene Bücher und sogar die damals aufkommenden Proklamationen zu lesen (all dies konnte sie sich verschaffen); aber davon wurde ihr nur der Kopf schwindlig. Sie machte sich daran, Briefe zu schreiben; aber man antwortete ihr wenig und aus je weiterer Ferne um so unverständlicher. Sie forderte Stepan Trofimowitsch feierlich auf, ihr alle diese Ideen ein für allemal zu erklären; aber sie war mit seinen Erklärungen entschieden nicht zufrieden. Stepan Trofimowitschs Urteil über die allgemeine Bewegung war im höchsten Grade hochmütig; bei ihm kam alles darauf hinaus, daß er selbst vergessen sei und niemand seiner bedürfe. Endlich erinnerte man sich auch seiner, zuerst in ausländischen Publikationen, als eines verbannten Dulders, und dann sofort auch in Petersburg als eines früheren Sternes in einem bekannten Sternbilde; man verglich ihn sogar aus irgendwelchem Grunde mit Radischtschew. Dann ließ jemand drucken, Stepan Trofimowitsch sei bereits gestorben, und stellte einen Nekrolog von ihm in Aussicht. In einem Nu war Stepan Trofimowitsch von den Toten auferstanden und nahm nun eine sehr würdevolle Haltung an. Der ganze Hochmut seines Urteils über die Zeitgenossen trat auf einmal zu Tage, und es entbrannte in ihm der schwärmerische Wunsch, sich der Bewegung anzuschließen und seine Kraft zu zeigen. Warwara Petrowna glaubte sofort von neuem an alles und wurde von einem großen Eifer ergriffen. Es wurde beschlossen, ohne den geringsten Verzug nach Petersburg zu reisen, alles an Ort und Stelle in Erfahrung zu bringen, persönlich in diese Kreise einzudringen und womöglich voll und ganz sich einer neuen Tätigkeit zu widmen. Unter anderm erklärte sie, sie sei bereit, ein eigenes Journal zu gründen und diesem von nun an ihr ganzes Leben zu weihen. Als Stepan Trofimowitsch sah, bis zu welchem Punkte die Sache gekommen war, wurde er noch hochmütiger und begann sich unterwegs gegen Warwara Petrowna sogar gönnerhaft zu benehmen, was sie sogleich in ihrem Herzen deponierte. Übrigens hatte sie auch noch einen andern sehr wichtigen Grund zu dieser Reise, nämlich die Auffrischung ihrer Beziehungen zu hochgestellten Persönlichkeiten. Sie mußte sich in der guten Gesellschaft möglichst wieder in Erinnerung bringen oder dies wenigstens versuchen. Der Hauptvorwand für die Reise war ein Wiedersehen mit ihrem einzigen Sohne, der damals ein Petersburger Lyzeum besuchte.

       VI.

      Sie fuhren hin und verlebten in Petersburg fast die ganze Wintersaison. Aber um die großen Fasten platzte alles entzwei wie eine regenbogenfarbene Seifenblase. Die Zukunftsträumereien verflogen, und der unsinnige Wirrwarr klärte sich nicht nur nicht auf, sondern wurde noch widerwärtiger. Zunächst: es gelang fast gar nicht, die Verbindungen mit hochgestellten Persönlichkeiten wieder anzuknüpfen, außer in ganz mikroskopischem Umfange und nur mittels demütigender Anstrengungen. Im Gefühl der erlittenen Kränkung stürzte sich Warwara Petrowna ganz in die »neuen Ideen« und richtete sich einen Abend ein. Sie wünschte sich Literaten als Gäste, und die wurden ihr denn auch sogleich in Menge zugeführt. Demnächst kamen sie auch von selbst, ohne Einladung; einer brachte den andern mit. Sie hatte noch nie solche Literaten zu sehen bekommen. Sie waren unglaublich eitel, aber in ganz offener Weise, wie wenn sie damit eine Pflicht erfüllten. Manche (wiewohl bei weitem nicht alle) erschienen in Warwara Petrownas Salon sogar in betrunkenem Zustande, aber als ob sie sich damit einer besonderen, erst gestern entdeckten Schönheit bewußt wären. Alle waren sie auf irgend etwas so stolz, daß es ganz seltsam herauskam. Auf allen Gesichtern stand geschrieben, daß sie soeben erst ein außerordentlich wichtiges Geheimnis entdeckt hätten. Sie zankten sich untereinander und rechneten sich dieses Benehmen zur Ehre an. Es war ziemlich schwer, in Erfahrung zu bringen, was sie eigentlich schrieben; aber es gab da Kritiker, Romanschriftsteller, Dramatiker, Satiriker und Polemiker. Stepan Trofimowitsch drang sogar in ihren höchsten Kreis ein, von wo aus die Bewegung geleitet wurde. Bis zu diesen leitenden Persönlichkeiten war es unglaublich hoch; aber sie begegneten ihm freundlich, obwohl keiner von ihnen über ihn etwas wußte oder gehört hatte, außer daß er »eine Idee vertrete«. Er manövrierte so geschickt um sie herum, daß er auch sie trotz all ihrer olympischen Höhe ein paarmal dazu brachte, Warwara Petrownas Salon zu besuchen. Es waren sehr ernste, sehr höfliche Männer; sie betrugen sich gut; die übrigen hatten offenbar Furcht vor ihnen; aber es war augenscheinlich, daß sie keine Zeit hatten. Es erschienen dort auch zwei oder drei frühere literarische Zelebritäten, mit denen Warwara Petrowna schon seit längerer Zeit die besten Beziehungen unterhielt, und die sich damals zufällig in Petersburg aufhielten. Aber zu Warwara Petrownas Erstaunen waren diese wirklichen und unzweifelhaften Zelebritäten wie um den Finger zu wickeln, und manche von ihnen schmeichelten geradezu diesem ganzen neuen Gesindel und buhlten in schmählicher Weise um seine Gunst. Anfangs hatte Stepan Trofimowitsch Glück; man bemühte sich um ihn und stellte ihn in öffentlichen literarischen Versammlungen zur Schau. Als er zum erstenmal an einem öffentlichen literarischen Vortragsabende als einer der Vorlesenden die Rednerbühne betrat, erscholl ein rasendes Händeklatschen, das fünf Minuten lang nicht verstummte. Er erinnerte sich daran neun Jahre später mit Tränen in den Augen, übrigens mehr infolge seiner Künstlernatur als aus Dankbarkeit. »Ich schwöre Ihnen und wette darauf,« sagte er selbst zu mir (aber nur zu mir und im geheimen), »daß unter diesem ganzen Publikum niemand von mir auch nur das geringste wußte!« Ein beachtenswertes Bekenntnis: also besaß er doch einen scharfen Verstand, wenn er gleich damals auf der Rednerbühne seine Situation trotz seines Freudenrausches so klar zu erfassen vermochte, und andrerseits besaß er keinen scharfen Verstand, wenn er noch neun Jahre nachher daran nicht ohne ein Gefühl der Kränkung zurückdenken konnte. Man bat ihn, zwei oder drei Kollektivproteste zu unterschreiben (wogegen, das wußte er selbst nicht); er unterschrieb. Auch Warwara Petrowna wurde um ihre Unterschrift unter einem »Protest gegen das ungehörige Verhalten jemandes« ersucht; auch sie unterschrieb. Übrigens hielten die meisten dieser neuen Männer, wenn sie auch Warwara Petrowna besuchten, doch aus nicht recht verständlichem Grunde sich für verpflichtet, mit Geringschätzung und unverhohlenem Spotte auf sie herabzusehen. Stepan Trofimowitsch deutete mir später in Augenblicken der Bitterkeit an, daß sie ihn seitdem sogar beneidet habe. Sie sah allerdings ein, daß sie mit diesen Menschen nicht verkehren könne; aber trotzdem empfing sie sie bei sich mit großer Beflissenheit und echt weiblicher nervöser Ungeduld, da sie (und das war die Hauptsache) immer erwartete, daß bald etwas kommen werde. Bei den Abendgesellschaften redete sie wenig, obgleich sie sehr wohl imstande gewesen wäre zu reden; aber sie hörte meist zu. Man sprach über die Abschaffung der Zensur und der stummen Endbuchstaben, über den Übergang von der russischen Schrift zur lateinischen, über