Die Dämonen. Fjodor Dostojewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fjodor Dostojewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754173145
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Fall; der erste ist in seiner Weise so charakteristisch und hatte, wie ich meine, für Stepan Trofimowitschs Lebensschicksal eine solche Wichtigkeit, daß ich mich dazu entschließe, auch ihn zu erzählen.

      Es war im Jahre 1855, im Frühling, im Mai, bald nachdem in Skworeschniki die Nachricht von dem Tode des Generalleutnants Stawrogin eingelaufen war, eines leichtlebigen alten Herrn, der auf der Reise nach der Krim, wohin er zur aktiven Armee kommandiert war, an einer Magenverstimmung gestorben war. Warwara Petrowna war Witwe geworden und hatte tiefe Trauer angelegt. Sehr betrübt konnte sie allerdings nicht sein; denn in den letzten vier Jahren hatte sie infolge des schlechten Zusammenpassens der beiderseitigen Charaktere von ihrem Manne völlig getrennt gelebt und ihm ein Jahrgeld gezahlt. (Der Generalleutnant selbst besaß nur hundertfünfzig Seelen und sein Gehalt, sowie außerdem sein Ansehen und seine Konnexionen; der ganze Reichtum aber, darunter auch das Gut Skworeschniki, gehörte Warwara Petrowna, der einzigen Tochter eines sehr reichen Branntweinpächters.) Nichtsdestoweniger war sie durch die unerwartete Nachricht tief erschüttert und zog sich ganz von der Geselligkeit zurück. Selbstverständlich befand sich Stepan Trofimowitsch beständig um sie.

      Der Mai war in voller Blüte; die Abende waren wundervoll. Der Faulbaum duftete. Die beiden Freunde kamen jeden Abend im Garten zusammen, saßen bis zur Nacht in einer Laube und sprachen einer dem andern seine Gefühle und Gedanken aus. Es waren poetische Stunden. Warwara Petrowna sprach unter dem Eindrucke der in ihrem Schicksal eingetretenen Veränderung mehr als gewöhnlich. Sie schmiegte sich gewissermaßen an das Herz ihres Freundes, und so dauerte das mehrere Abende. Da fuhr dem braven Stepan Trofimowitsch plötzlich ein sonderbarer Gedanke durch den Kopf: ob die untröstliche Witwe nicht vielleicht auf ihn spekuliere und am Ende des Trauerjahres einen Antrag von ihm erwarte. Es war ein frivoler Gedanke; aber gerade durch die hohe Vollkommenheit der seelischen Organisation wird mitunter die Neigung zu frivolen Gedanken befördert, schon allein infolge der Vielseitigkeit der Entwicklung. Er begann darüber nachzudenken und fand, daß es allerdings danach aussehe. Er dachte: »Es ist ein gewaltiges Vermögen; aber ...« In der Tat, Warwara Petrowna konnte keinen Anspruch darauf erheben, eine Schönheit genannt zu werden: sie war eine hochgewachsene, gelbliche, knochige Frau mit unverhältnismäßig langem Gesichte, das einigermaßen an einen Pferdekopf erinnerte. Immer mehr und mehr geriet Stepan Trofimowitsch ins Schwanken; er quälte sich mit Zweifeln und weinte sogar ein paarmal aus Unschlüssigkeit (er weinte überhaupt ziemlich oft). Abends aber, das heißt in der Laube, begann sein Gesicht unwillkürlich einen launischen, spöttischen, koketten und gleichzeitig hochmütigen Ausdruck anzunehmen. So etwas pflegt unversehens und unwillkürlich zu geschehen, und je edler der betreffende Mensch ist, um so leichter ist ein solcher Ausdruck bemerkbar. Es ist schwer, darüber etwas zu behaupten, aber das wahrscheinlichste ist, daß in Warwara Petrownas Herzen sich nichts regte, wodurch Stepan Trofimowitschs Verdacht hätte gerechtfertigt werden können. Auch hätte sie ihren Namen Stawrogina wohl nicht mit dem seinigen vertauschen mögen, mochte dieser auch noch so berühmt sein. Vielleicht lag ihrerseits weiter nichts vor als ein Spiel mit diesem Gedanken; es dokumentiert sich darin eben ein unbewußtes weibliches Bedürfnis, das in manchen außerordentlichen Situationen des Weibes sehr natürlich ist. Übrigens kann ich dafür keine Bürgschaft übernehmen; die Tiefen des Frauenherzens sind bis auf den heutigen Tag noch unerforscht.

      Man muß annehmen, daß sie im stillen den seltsamen Gesichtsausdruck ihres Freundes gar bald verstanden hatte; denn sie war achtsam und scharfsichtig, er dagegen bisweilen nur allzu harmlos. Aber die Abende nahmen ihren bisherigen Verlauf, und die Gespräche waren ebenso poetisch und interessant wie vorher. Eines Abends hatten sie sich bei Einbruch der Nacht nach einem höchst lebhaften, poetischen Gespräche in freundschaftlicher Weise mit einem warmen Händedruck voneinander an der Tür des Nebengebäudes getrennt, in welchem Stepan Trofimowitsch wohnte. Jeden Sommer zog er aus dem riesigen Herrschaftsgebäude von Skworeschniki in dieses fast im Garten stehende Nebengebäude um. Kaum war er in sein Zimmer gekommen, hatte sich in unruhvollem Nachdenken eine Zigarre genommen, aber noch nicht Zeit gefunden, sie anzurauchen, hatte sich müde, wie er war, ans offene Fenster gestellt und betrachtete nun, regungslos dastehend, die leichten, weißen Federwölkchen, die an dem klaren Monde vorüberglitten, als plötzlich ein leichtes Geräusch ihn zusammenfahren ließ und ihn veranlaßte, sich umzuwenden. Vor ihm stand wieder Warwara Petrowna, die er erst vor vier Minuten verlassen hatte. Ihr gelbes Gesicht war fast bläulich geworden; die fest zusammengepreßten Lippen zuckten an den Mundwinkeln. Etwa zehn Sekunden lang sah sie ihm schweigend mit festem, unerbittlichem Blicke in die Augen und flüsterte auf einmal hastig:

      »Das werde ich Ihnen nie vergessen!«

      Als Stepan Trofimowitsch erst zehn Jahre später, nachdem er vorher die Tür verschlossen hatte, mir flüsternd diese traurige Geschichte erzählte, da schwur er mir, er sei damals so starr vor Schreck gewesen, daß er weder gehört noch gesehen habe, wie Warwara Petrowna wieder verschwunden sei. Da sie nachher nie ihm gegenüber eine Anspielung auf diesen Vorgang machte und alles seinen Gang nahm, als ob nichts geschehen wäre, so neigte er sein ganzes Leben lang zu der Annahme, daß dies alles eine Halluzination vor einer Krankheit gewesen sei, um so mehr weil er in derselben Nacht wirklich für volle zwei Wochen erkrankte, was sehr gelegen auch den Zusammenkünften in der Laube ein Ende machte.

      Aber trotzdem er halb und halb an eine Halluzination glaubte, erwartete er doch sein ganzes Leben lang täglich gewissermaßen eine Fortsetzung dieses Ereignisses, eine Lösung dieses Rätsels. Er glaubt nicht, daß die Sache damit zu Ende sei! Unter diesen Umständen konnte er nicht umhin, seine Freundin mitunter in sonderbarer Weise anzusehen.

       V.

      Sie hatte sogar selbst für ihn ein Kostüm entworfen, in dem er denn auch lebenslänglich ging. Dieses Kostüm war geschmackvoll und charakteristisch: ein langschößiger, schwarzer, fast bis oben zugeknöpfter, aber elegant sitzender Oberrock; ein weicher Hut (im Sommer ein Strohhut) mit breiter Krempe; ein weißes batistnes Halstuch mit einem großen Knoten und herabhängenden Enden; ein Spazierstock mit silbernem Knopf; dazu bis auf die Schultern reichendes Haar. Er war dunkelblond, und erst in der letzten Zeit begann sein Haar ein wenig zu ergrauen. Den Bart rasierte er weg. Es wurde gesagt, er sei in seiner Jugend sehr hübsch gewesen. Aber meiner Ansicht nach war er auch im Alter noch außerordentlich anziehend. Und kann man überhaupt schon von Alter reden, wenn jemand dreiundfünfzig Jahre alt ist? Aber aus einer Art von politischer Koketterie machte er sich nicht nur nicht jünger, sondern war gewissermaßen auf sein höheres, gesetztes Lebensalter stolz, und in seinem Kostüme, bei seinem hohen Wuchse, seiner Magerkeit und mit dem auf die Schultern reichenden Haare glich er einigermaßen einem Patriarchen oder, noch richtiger, dem lithographierten Bilde des Dichters Kukolnik, das einer in den dreißiger Jahren gedruckten Ausgabe seiner Gedichte beigegeben war. Die Ähnlichkeit trat besonders hervor, wenn Stepan Trofimowitsch im Sommer im Garten auf einer Bank unter einem blühenden Fliederstrauche saß, sich mit beiden Händen auf seinen Stock stützte, ein aufgeschlagenes Buch neben sich liegen hatte und sich in poetische Gedanken über den Sonnenuntergang versenkte. Was Bücher anlangt, so bemerke ich, daß er gegen das Ende seines Lebens immer mehr davon zurückkam, solche zu lesen. Übrigens war das erst ganz kurz vor seinem Ende der Fall. Zeitungen und Journale, deren Warwara Petrowna eine große Menge hielt, las er beständig. Für die Erfolge der russischen Literatur interessierte er sich gleichfalls dauernd, ohne dabei seiner eigenen Würde etwas zu vergeben. Eine Zeitlang fing er schon an, sich durch das Studium der höheren zeitgenössischen Politik auf dem Gebiete der inneren und äußeren Angelegenheiten fesseln zu lassen; aber bald gab er diese Beschäftigung geringschätzig wieder auf. Auch das kam nicht selten vor, daß er Tocqueville mit in den Garten nahm und einen Band Paul de Kock in der Tasche versteckt trug. Indessen das sind Lappalien.

      Über das Bild Kukolniks bemerke ich in Parenthese folgendes. Dieses Bild war Warwara Petrowna zum erstenmal in die Hände gekommen, als sie sich noch als junges Mädchen in einer vornehmen Moskauer Pension befand. Sie verliebte sich sofort in dieses Bild, wie es die Gewohnheit aller jungen Pensionärinnen ist, sich in alles zu verlieben, was ihnen vor Augen kommt, zugleich auch in ihre Lehrer, namentlich in die Schreib und Zeichenlehrer. Merkwürdig war aber dabei nicht das Verhalten des jungen Mädchens, sondern vielmehr der Umstand, daß Warwara Petrowna noch, als sie schon fünfzig Jahre alt war, dieses