Pater Noster. Carine Bernard. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carine Bernard
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742760968
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zuckte er mit den Schultern. Er richtete die Krawatte gerade und überprüfte, ob der Kragen seines Hemds jetzt komplett durchnässt war. Aber selbst wenn, er könnte es ohnehin nicht ändern.

      Er kehrte in den Raum zurück und stellte fest, dass er den Anfang der Präsentation verpasst hatte. In der Zwischenzeit hatte man die Lampen heruntergedimmt und drei riesige Videoleinwände enthüllt. Auf den Projektionsflächen waren bereits die Logos der an der Ausschreibung beteiligten Agenturen zu sehen: links eine stilisierte Sprechblase, das Logo von Shouting People, in der Mitte der Löwenkopf von Schulze & Niess und rechts der markante Schriftzug von STEFF, seiner eigenen Agentur.

      Stefan hielt den Atem an und stieß ihn geräuschvoll wieder aus, als Frau Leidenberg vorne zu sprechen begann. In blumigen Worten bedankte sie sich bei den Anwesenden, erwähnte lobend die anderen Bewerber, die es nicht in die Endausscheidung der besten drei geschafft hatten, und übergab dann das Wort an einen älteren Mann in schwarzem Anzug mit gepflegtem eisengrauen Vollbart.

      »Guten Tag, meine sehr verehrten Damen und Herren«, begann er. »Ich bin Dr. Daniel Markhof, ich bin der leitende Produktmanager des Medikaments, mit dem Sie sich in den letzten Wochen und Monaten so ausführlich beschäftigt haben …«

      Stefan blendete die sonore Stimme aus. Das Produkt selbst interessierte ihn herzlich wenig, ein Schmerzmittel für Kinder oder eine Supermarktkette, ein Autohersteller oder ein Waschmittel, es war ihm egal. Er versuchte bei seiner Arbeit immer, das Wesen einer Sache zu erfassen und zu erkennen, wie der Markt dafür beschaffen war. Dieses Wissen verband er zu einer Strategie, das war sein großes Talent. Mit Debbie an seiner Seite, die seine Ideen perfekt umsetzte, hatte er sich als Teil eines schlagkräftigen Teams gesehen, mit ihr hätte er gegen die großen Agenturen eine Chance.

      Und jetzt? Jetzt stand er mit leeren Händen da. Weniger noch als leer, denn um an der Ausschreibung von Rheopharm überhaupt teilnehmen zu können, hatte er einen Kredit aufnehmen müssen. Er hatte einen anderen Grafiker für etwas bezahlt, was eigentlich Debbies Aufgabe gewesen wäre.

      Wenn er heute die Ausschreibung gewann, war er aus dem Schneider, dann hatte er auf mindestens zwei Jahre ein regelmäßiges Einkommen. Mit dem ersten Honorar würde er seine Schulden bezahlen, mit dem Rest könnte er gut leben und sogar noch etwas zur Seite legen für die Zukunft.

      Und wenn nicht? Dann hatte er durch das Erreichen der Endausscheidung mal wieder Anerkennung gewonnen. Man war auf ihn aufmerksam geworden, aber Lob und Ehre zahlten keine Miete. Die aktuelle Pater-Noster-Kampagne hielt ihn gerade noch über Wasser, doch wie es danach weitergehen sollte, wusste er nicht.

      Vorne lief jetzt ein Film über die linke Leinwand. Die Agentur Shouting People hatte ihrem Namen Ehre gemacht und einen fulminanten Werbefilm produziert. Die finanziellen Mittel, die dafür investiert worden waren, hätten Stefan locker über die nächsten sechs Monate gebracht. Aber der Name, den sie sich für das Produkt ausgedacht hatten, machte den ganzen Aufwand zunichte. Ibuproteen, das war fantasielos, da fehlte der Pep. Vielleicht hatte er doch noch eine Chance.

      Nun war der Entwurf von Schulze & Niess an der Reihe. Das war die wahre Konkurrenz für ihn, denn Boris Niess war der genialste Grafiker, den Düsseldorf zurzeit zu bieten hatte. Gegen ihn zu bestehen war sehr schwierig, wenn nicht sogar unmöglich.

      In schneller Folge wechselten jetzt vorne die Bilder. Eine Diashow aus mehreren Plakaten, ganzseitigen Zeitungsannoncen und zum Schluss der Entwurf einer Verpackung, der unverwechselbar Debbies Handschrift trug. Ein kühner Pinselschwung in starken Farben quer über den Karton und darauf ein filigraner schwarzer Schmetterling. Die Namensvorschläge waren gut, Prep2Kids und Prep4Fit, die Tablette mit 200 Milligramm Wirkstoff für Kinder und 400 Milligramm für Jugendliche. Warum war ihm das nicht eingefallen?

      Sein Entwurf leuchtete auf der rechten Leinwand auf. Das Konzept war wirklich stimmig, die Entwürfe sauber ausgeführt. Er fand seine Idee noch immer gut: Kinder und Jugendliche direkt in ihrem Alltag dargestellt, an dem sie durch Kopfschmerzen gehindert wurden, und dann die Erleichterung: Aktipep, und die Schule, der Sport, das Kino, das Treffen mit den Freunden konnte stattfinden. Natürlich war das alles nur skizziert und angedeutet, aber es war doch bisher nur eine Ausschreibung und keine fertige Kampagne. Oder etwa nicht?

      Es wurde still im Raum. Unmerklich war das Licht noch ein wenig dunkler geworden. Ein leuchtender Rahmen umgab die linke Leinwand, wanderte in die Mitte, weiter nach rechts und zurück nach links. Immer schneller, immer schneller, Stefan wurde schwindelig, er hätte den letzten Sekt nicht mehr trinken sollen, und zuletzt blieb das Licht in der Mitte stehen. Es wurde dunkel und die beiden Projektoren an den Seiten erloschen. Dann flammten sie wieder auf und nun zeigten alle drei das Logo von Schulze & Niess.

      Die Anwesenden applaudierten. Alle drängten sich vor, um Carl Schulze zum Sieg zu beglückwünschen. Stefan war wie betäubt. Es hatte wieder einmal nicht geklappt. Wo kamen all diese Leute auf einmal her? Vorhin waren nur ungefähr zehn Personen im Raum gewesen, die Mitarbeiter der beteiligten Werbeagenturen und einige Angestellte von Rheopharm. Doch nun schien der Raum schier zu bersten von dem Andrang.

      Das Licht ging an. Sein Blick suchte automatisch nach Debbie. Da war sie, an der Seite von Schulze, und nahm die Glückwünsche entgegen. Sabine Schallert und ihre Leute gratulierten offenbar neidlos, aber klar, die konnten sich das auch leisten. Er wusste, dass das nun auch von ihm erwartet wurde. Widerstrebend stieß er sich von seinem Tisch ab. Mit steifen Schritten durchquerte er den Raum und gesellte sich zu den anderen. Mechanisch drückte er Hände und murmelte irgendetwas, er hätte nicht sagen können, was und zu wem.

      Frau Leidenberg zog ihn zur Seite.

      »Herr Schrödinger, ich muss Ihnen sagen, dass der Ausgang ganz knapp war. Mir persönlich hat Ihr Entwurf sogar noch besser gefallen. Aber es gab am Ende eine Abstimmung im Team, und die ging ganz knapp zugunsten von Schulze & Niess aus. Sie können auf Ihre Arbeit wirklich stolz sein!«

      Er bedankte sich höflich und verabschiedete sich, so schnell er konnte. Er war schon im Gehen begriffen, da fiel sein Blick auf Debbie, die ihn mitleidig ansah. Mitleid? Ausgerechnet von Debbie? Oh nein, das hatte er nicht nötig.

      Er setzte ein bemüht freundliches Lächeln auf und stellte sich zu Tom Herwig. Ihn kannte er noch aus der Zeit in Sabine Schallerts Agentur und er hatte ihn schon viel zu lange nicht mehr gesehen.

      Nun wurden Häppchen herumgereicht. Der junge Mann von vorhin hatte das Tablett mit den Sektgläsern gegen eine große Platte getauscht und Unterstützung von zwei jungen Mädchen in dunklen Jeans und weißen Blusen bekommen. Sie gingen von Gruppe zu Gruppe und boten kleine Fleischspieße, Minifrikadellen, ausgestochene Lasagne auf winzigen Tellern und Schälchen mit Gemüsesticks an. Jeder Happen war kaum mehr als ein Bissen.

      Der Durchgang ließ Stefan hungriger zurück als zuvor, aber mehr gab es nicht. Auf den nächsten Tabletts standen schon die Nachspeisen. Dickwandige Gläschen waren ungefähr zur Hälfte mit verschiedenen Cremes und Desserts gefüllt. Schokomousse, Vanillepudding, Rote Grütze und, ja, tatsächlich, sogar Tiramisu gab es zur Auswahl. In jedem Glas steckte ein kleiner Löffel, passend zu den winzigen Gefäßen, der den Glasdeckel offenhielt. Stefan stellte sich strategisch günstig neben einen der Stehtische und schaffte es diesmal, von jeder Sorte eine Portion zu ergattern. Danach war er zwar noch immer nicht satt, aber er hatte seine Fassung wiedergefunden. Er brachte es sogar fertig, freundlich zu lächeln, als Debbie auf ihn zukam.

      Deborah hatte Stefan die ganze Zeit über aus dem Augenwinkel beobachtet. Weder war ihr sein Gang auf die Toilette entgangen, noch seine Enttäuschung, als er bei der Ausschreibung nur den zweiten Platz erreichte. Nun kratzte er gerade den letzten Rest Vanillepudding aus seinem Gläschen. Deborah fasste sich ein Herz und ging zu ihm hinüber. Sie fühlte sich überhaupt nicht wohl dabei, so zu tun, als ob sie sich nicht kannten, aber bis zu diesem Augenblick hatte sich noch keine Gelegenheit für ein Gespräch ergeben.

      Offenbar spürte er ihre Anwesenheit, denn er hob den Kopf und lächelte ihr entgegen. Überrascht erwiderte Deborah das Lächeln. Dann stand sie vor ihm, unsicher, ob sie ihm förmlich die Hand geben oder ihn umarmen und auf die Wangen küssen sollte, wie es hier üblich zu sein schien. Am Ende tat sie beides nicht, sondern verschränkte