Deborah schüttelte den Kopf. »Nein, das musst du wirklich nicht. Es war die Arbeit der Agentur, nicht meine.«
»Aber die Verpackung am Ende, die war doch von dir, oder nicht?«
»Das war nur ein Entwurf«, schwächte Deborah ab. »Ich wusste nicht einmal, dass der mit eingereicht wurde.«
»Gerade mal zwei Monate im Praktikum und schon bei einer Ausschreibung dabei, nach der sich halb Düsseldorf die Finger leckt.« Deborah schluckte. Stefans verbitterter Tonfall ließ das Kompliment fast zur Beleidigung werden. »Und das da drüben ist also dein Chef?«
Ihr Gesicht erhellte sich wieder. »Ja, das ist Carl.« Stefan zog die Augenbrauen hoch. »Carl Schulze, einer der beiden Geschäftsführer«, beeilte sich Deborah zu sagen. Das fehlte noch, dass Stefan aus der harmlosen Anrede die falschen Schlüsse zog.
Stefans Augen verdunkelten sich wieder. »Debbie, ich hoffe, du weißt, was für einen Ruf Schulze in der Branche hat?«
Deborah sah ihn fragend an. »Nein, was meinst du?«
»Er ist bekannt dafür, dass er jede Frau in sein Bett kriegen will, die nur in seine Nähe kommt.« Er sah finster zu Carl hinüber, der ungeniert mit Frau Leidenberg scherzte.
Deborah schüttelte vehement den Kopf. »Nein, das kann ich nicht glauben. Zu mir war er immer sehr freundlich.«
»Eben, das meine ich ja. Er ist immer sehr freundlich zu Frauen.« Stefan lachte bitter auf. »Und man sagt, er bekommt am Ende immer das, was er will.«
Deborah schoss die Röte ins Gesicht. »Er ist nett zu mir, weil ich gute Arbeit leiste, und aus keinem anderen Grund«, fauchte sie.
Stefan hob die Schultern. »Das würde mich sehr wundern. Du wärst die Erste, bei der er es nicht versucht.«
»Stefan, du bist doch nicht etwa eifersüchtig? Oder bist du neidisch, weil nicht du gewonnen hast?«
»Neidisch? Auf den da?« Stefan hatte jetzt die Stimme erhoben. Einige Köpfe wandten sich zu ihm um. »Das habe ich wirklich nicht nötig!«
Carl Schulze war inzwischen herangekommen. Er stellte sein leeres Dessertglas auf den Stehtisch und legte Deborah demonstrativ die Hand auf die Schulter. »Was ist los?«, fragte er ruhig.
»Nichts ist los«, giftete ihn Stefan an. »Ich will nur nicht, dass Debbie ein weiterer Punkt in Ihrer Statistik wird, das ist alles.«
»Darf ich fragen, was Sie das angeht?« Carl war die Ruhe in Person und kanzelte Stefan ab wie einen Schuljungen. »Deborah komm, wir gehen besser. Frau Leidenberg möchte noch mit uns sprechen.«
Deborah warf Stefan einen wütenden Blick zu, als Carl sie am Arm nahm.
»Hör auf, dich in mein Leben einzumischen«, zischte sie ihm zu. »Dazu hast du kein Recht mehr.«
»Kein Recht mehr?«, wiederholte Carl fragend, sobald sie außer Hörweite von Stefan waren.
Deborah presste die Lippen zusammen. »Ich will darüber nicht reden.«
Carl nickte und winkte einem der Mädchen mit einem Tablett. Sie bekamen die zwei letzten Gläschen mit Schokoladenmousse. Während sie das Dessert löffelten, sah Deborah, wie Stefan den Raum verließ, ohne sich noch einmal umzusehen. Sie konnte nicht sagen, woher das mulmige Gefühl kam, das sie plötzlich verspürte.
Er nähert sich unauffällig dem Tisch und lässt das Glas in seiner Tasche verschwinden. Ein rascher Blick in die Runde, niemand hat etwas mitbekommen. Eine Hand hält er schützend davor, damit die kleine Beule nicht auffällt. Mit schnellen Schritten entfernt er sich.
Deborahs Augen leuchteten. Die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus.
»Stell dir vor, das letzte Bild in der Präsentation war mein Entwurf zur Verpackung!« Ihre Wangen röteten sich, während sie ihrer Mutter von dem Empfang bei Rheopharm erzählte.
»Herzlichen Glückwunsch, Debbie!« Marion Peters stand vom Sofa auf und nahm ihre Tochter in die Arme. »Ich freue mich so für dich!«
Deborah erwiderte die Umarmung und drückte ihre Mutter fest an sich. Ihre Gefühle quollen regelrecht über. Am liebsten hätte sie die ganze Welt umarmt.
Nach dem Empfang waren sie alle gemeinsam zurückgefahren. Die Stimmung im Auto war ausgelassen gewesen. Klaus hatte lauthals gesungen und Deborah strahlte übers ganze Gesicht.
»Wir haben gewonnen, wir haben wirklich gewonnen!«, wiederholte sie ständig, als ob sie es noch immer nicht glauben konnte. Zum ersten Mal fühlte sie sich wirklich der Agentur von Schulze & Niess zugehörig.
Carl lächelte ihr immer wieder im Rückspiegel zu, schloss sich aber den Gefühlsausbrüchen seines Grafikers nicht an. War der Erfolg bei ihm schon so sehr zur Routine geworden, dass er sich gar nicht mehr von Herzen darüber freute? Oder hatte seine Zurückhaltung einen anderen Grund?
In der Agentur waren sie mit großem Hallo empfangen worden. Offenbar hatte Klaus die anderen bereits per Handy verständigt, denn die komplette Belegschaft war im Empfangsbereich versammelt. Auf Moniques Tresen wartete weiterer Sekt auf sie. Deborah war im Anschluss tatsächlich ein wenig beschwipst. An vernünftiges Arbeiten war nicht mehr zu denken.
Carl hatte sich in sein Büro zurückgezogen. Bald darauf verließ er die Agentur, während Boris gar nicht erst aufgetaucht war. Der zweite Geschäftsführer schloss sich solchen Aktionen ohnehin nie an, er war ein Eigenbrötler. Deborah hatte ihn in den letzten zwei Monaten außer zu den Teambesprechungen kaum gesehen.
Das war schade, denn sie hatte sich von der Zusammenarbeit mit ihm viel versprochen. Aber die anderen hatten ihr versichert, dass das für sie so besser wäre. Wenn man den Kollegen glauben durfte, war Boris Niess ein ungeduldiger Vorgesetzter, sehr von sich eingenommen und störrisch gegenüber Kritik an seinen Ideen. Ganz anders als Carl Schulze, der dem Team nach den ersten Anweisungen weitgehend freie Hand ließ.
Später war Carl wiedergekommen und hatte ihnen die Teamzusammensetzung für den Rheopharm-Auftrag mitgeteilt. Zu ihrer Überraschung und Freude war auch Deborah dabei. Ihr schnell hingeworfener Entwurf für die Verpackung sollte direkt umgesetzt werden. Alle hatten sie beglückwünscht, ihr auf die Schulter geklopft und sie gelobt. Alle bis auf Carl, der sie einfach in die Arme genommen hatte.
»Willkommen im Team, Deborah«, hatte er gesagt und sie dabei mit seinen wunderschönen grauen Augen angesehen. Deborahs Herz hatte geklopft, wie wenn es zerspringen wollte, und die Antwort war ihr im Hals stecken geblieben. Das musste unbedingt aufhören!
Sie blickte auf. Ihre Mutter sah sie unverwandt an. »Was ist los, Mama?«
»Nichts, Debbie.« Frau Peters schüttelte versonnen den Kopf. »Ich kann nur manchmal gar nicht glauben, wie groß und erwachsen du schon bist.«
»Ach Mama, gib zu, du bist doch froh, dass ich kein Kleinkind mehr bin!«
Ihre Mutter musste lachen. »Ja, da hast du auch wieder recht.«
Sie schenkte ihr noch einen Tee ein. »Was ist jetzt mit morgen, brauchst du das Auto?«
Deborah nickte. »Ja, bitte. Ich würde gern erst noch Sachen von hier zur Wohnung bringen. Anschließend fahre ich dann zu IKEA.«
»Und du bist sicher, dass ich nicht doch mitkommen soll?«
»Ja, ganz sicher. Danke, Mama, aber ich möchte das wirklich allein machen.«
»Hast du wenigstens jemanden, der dir beim Tragen hilft?« Deborah hörte die Besorgnis in der Stimme ihrer Mutter.
»Nein, aber das brauche ich auch nicht.« Deborah gab sich selbstbewusst. »Bei IKEA sind Leute, die mir beim Einladen helfen. Und in die Wohnung trage ich notfalls alles einzeln hoch.«
Sie lächelte ihrer Mutter beruhigend zu. »Jetzt gehe ich schlafen, morgen wird ein langer Tag.«
Frau Peters winkte ihrer