App to Date. Carine Bernard. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carine Bernard
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742760975
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Andreasstraße. Sie bildete dort ein kleines, unregelmäßiges Zickzack-Muster, ein untrügliches Zeichen dafür, dass Jenny sich da länger aufgehalten hatte. Vom Benders Marie aus verlief sie auf kürzestem Weg zur Heinrich-Heine-Allee, wo sie abbrach. Ein wenig südlich davon tauchte sie wieder auf, riss wieder ab und erschien noch weiter südlich erneut. Jenny war mit der U-Bahn nach Hause gefahren.

      Carsten schaltete um auf die Zeitachse. Laut den Daten der App war Jenny etwa eine Stunde im Benders Marie gewesen, und bereits nach fünf Minuten war ein Handshake erfolgt. Carsten runzelte die Stirn. Jenny hatte tatsächlich ein Date gehabt. Er klickte den Handshake an. Schokobrauner Dalmatiner.

      Der Abruf der Daten des Mannes dauerte deutlich länger als bei Jenny. Entsprechend war der Datensatz auch wesentlich umfangreicher. Er rief die Auswertung auf. Der Kalender zeigte durchgehend grüne Markierungen, Carsten klickte darauf, seit drei Monaten war er als Dater aktiv. Er wählte den Freitag, und halb Deutschland wurde auf der Karte eingeblendet, um den Standortverlauf von München bis Düsseldorf darzustellen. Er war vom Düsseldorfer Hauptbahnhof in die Innenstadt gefahren, zum Benders Marie, das war keine Überraschung, und danach mit der U-Bahn nach Süden. Carsten zog die Augenbrauen zusammen.

      Erneut rief er die Suchmaske auf und stellte hier direkt eine Auswertung der beiden Profile zusammen. Feuerrotes Eichhörnchen, Schokobrauner Dalmatiner, Standortverlauf, letzten Freitag. Jetzt wurden seine Augen groß. Jenny hatte den Dalmatiner mit nach Hause genommen.

      Es klopfte an der Tür, und Carsten schloss reflexartig das geöffnete Fenster der Datenbankanwendung. Nigel steckte seinen runden Schädel herein und blinzelte ins Licht.

      »Chef, ich habe die Festplatte kontrolliert, du hattest recht. Der Slot im Gehäuse ist im Arsch.«

      Carsten brauchte einen Moment, dann hatte er seine Gesichtszüge unter Kontrolle. »Welches ist es?«

      »Das neue. Da ist sogar noch Garantie drauf.«

      »Sehr gut. Ruf doch bitte die Firma an, sie sollen es austauschen.«

      »Hab ich schon gemacht. Die brauchen aber die Originalrechnung.«

      Carsten runzelte die Stirn. »Die haben wir nicht, die liegt in der Buchhaltung. Ich weiß nicht …«

      Nigel unterbrach ihn. »Ohne Rechnung werden die keinen Finger rühren. Es ist ja keine von den Vertragsfirmen der Uni.«

      »Ja, das stimmt wohl. Ich werde mich darum kümmern.« Carsten wartete darauf, dass Nigel wieder ging, doch der blieb stehen.

      »Mach das bitte so schnell wie möglich«, sagte er. »Ich habe das kaputte Gehäuse nämlich abgestöpselt, bevor die anderen Platten auch noch crashen. Momentan läuft unser Baby sozusagen auf einem Bein.«

      »In Ordnung.«

      Nigel ließ demonstrativ die Tür offen, als er ging, und Carsten erhob sich. Zum Glück kannte er die Mitarbeiterinnen der Haushaltsstelle, und mit etwas Glück konnte er die Rechnung gleich mitnehmen. Er verließ sein Büro und schloss mit Nachdruck die Tür hinter sich.

      Jenny bestätigte das Löschen mit einem Fingertippen und sah zu, wie der grüne Balken voranschritt, der die App von ihrem Handy und Jakob aus ihrem Leben entfernte. So einfach ging das.

      Anschließend startete sie das Handy neu, um auch die letzten Spuren ihres Profils aus dem Cache zu entfernen. Während sie auf das Hochfahren wartete, kam Dana ins Zimmer, gefolgt von Piet, der Jenny grüßend zunickte.

      »Wie siehst du denn aus?«, fragte Dana. »Wie zehn Tage Regenwetter! War es so schlimm?«

      »Was?« Jenny fuhr zusammen. »Nein, gar nicht. Er hat mir nur einen Vortrag über meine Integrität als Wissenschaftlerin gehalten.« Sie verzog das Gesicht.

      Dana hob das Kinn, zog die Brauen zusammen und strich mit der Hand das imaginäre Haar zurück. Dann sah sie Jenny von oben herab an. »Ihr dürft euch bei dieser Arbeit niemals emotional engagieren.« Sie hob dozierend den Finger. »Ihr seid die Beobachter, ihr steht über euren Testobjekten. Ihr müsst das strikt von eurem Privatleben trennen.« Der Finger richtete sich jetzt anklagend auf Jenny. »Validität! Nur darauf kommt es an!«

      Kichernd ließ sie sich in ihren Stuhl fallen, und Jenny musste lachen. »Ja, genau so war es.«

      Selbst Piet konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Danas Imitation von Carsten war aber auch zu treffend gewesen.

      »Ich hoffe, du hast dich unterwürfig entschuldigt und bist wieder in Gnaden aufgenommen.«

      »Natürlich, was denkst du denn.« Jenny nickte. »Er hat mir sogar einen Job angeboten, wenn ich mit der Masterarbeit fertig bin.«

      »Nein!« Dana riss die Augen auf. »Und? Wirst du ihn annehmen?«

      »Ich habe mich noch nicht entschieden.«

      »Was spricht dagegen, an der Uni zu bleiben?«, warf Piet ein. »Es ist ein sicherer Job.«

      Jenny hob die Schultern. »Ich habe mich eigentlich nie als Wissenschaftlerin gesehen. Aber die Beziehungsforschung ist ein unglaublich spannendes Gebiet, das könnte ich mir wirklich vorstellen.«

      »Also ich würde es an deiner Stelle tun«, sagte Piet.

      »Du hast leicht reden«, gab sie zurück. »Du bist ja auch der geborene Professor.«

      »Das will ich hoffen!« Piet wandte sich ab und holte einen schweren Aktenordner aus dem Schrank.

      Dana warf Jenny einen vielsagenden Blick zu. Piet war nur wenig älter als sie, aber durch seine übertrieben konservative Kleidung und den sorgfältig gestutzten Vollbart wirkte er deutlich älter. Seit einem Jahr hielt er selbst Vorlesungen, und Jenny war sich sicher, dass er mit seinem distanzierten Auftreten nur seine innere Unsicherheit überspielte.

      Jenny nahm ihr Handy vom Tisch und stand auf. »Ich muss zu Nigel«, sagte sie. »Er muss mir noch die Master-Version von App2Date installieren, sonst kann ich heute überhaupt nichts mehr machen.«

      Nigels Zimmer war leer. Jalousien beschatteten den Raum, und in dem dämmrigen Licht leuchteten nur die drei Monitore über dem Chaos aus Kabeln, Notizzetteln, Kaffeetassen, Computerbauteilen, Feinmechanikerwerkzeug und einer zerlegten Tastatur auf seinem Schreibtisch. Ein bunter Ball bewegte sich wie eine Billardkugel in Zeitlupe über alle drei Bildschirme hinweg, und Jenny beobachtete hypnotisiert, wie er auf seinem Weg die Farbe von rot über orange und gelb zu grün, dann türkis, blau, violett und wieder zu rot änderte. Irritiert schüttelte sie den Kopf, verließ das Zimmer und zog die Tür hinter sich zu.

      Es gab nur einen weiteren Ort, an dem sich Nigel aufhielt, wenn er nicht an seinem Rechner war, und das war der Serverraum. Dort fand sie ihn, auf den Knien und mit dem Oberkörper in einem Metallgestell, das wie ein überdimensionales CD-Rack aussah. Seine Hose hatte den Halt auf den rundlichen Hüften verloren und bot Jenny freien Ausblick auf rot-weiß gestreifte Boxershorts, die ebenfalls kurz davor waren, den Weg nach unten anzutreten. Sie räusperte sich vernehmlich, und wie in einer Slapstick-Szene ruckte Nigels Kopf hoch und knallte gegen das Gehäuse.

      Er krabbelte heraus, richtete sich auf und blinzelte wie eine Eule durch seine dicke Hornbrille. Er zog seine Hose hoch, dann erkannte er Jenny, und sein rundes Gesicht verzog sich zu einem herzlichen Lächeln. »Jenny!«

      »Hallo Nigel!«

      »Was verschafft mir die Ehre?« Er fuhr sich durch die verstrubbelten Haare, wischte sich die Hände an der Hose ab und reichte ihr die Hand.

      »Ich habe ein neues Handy«, sagte Jenny. »Kannst du mir die App neu aufspielen?«

      »Ja, klar. Ich bin hier ohnehin gleich fertig.«

      Er ließ sich wieder auf alle viere fallen und kroch in den Schrank.

      »Was machst du da eigentlich?«

      »Ein Festplattengehäuse vom Raid-System ist kaputt, und wir bekommen morgen ein neues. Ich baue die Festplatten aus, damit es morgen früh gleich weitergehen kann.«

      »Das