Unendlich. Katie Sola. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Katie Sola
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754180525
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du dafür auch etwas tun müssen.“

      „Was? Ich dachte, ich soll mich auf mein Studium konzentrieren. Von einem Nebenjob war nie die Rede.“ Fassungslos schaute ich ihn an. Es war eine Diskussion vor knapp eineinhalb Jahren gewesen, als ich mein Studium begonnen hatte. Mein Vater hatte mir gesagt, dass es so vollkommen in Ordnung sei. Mein Studium hätte Vorrang. Und daran wollte ich auch nichts ändern. Mir gefiel mein Leben so, wie es jetzt war. Mit allen Freiheiten, die ich hatte und ohne jegliche Verpflichtungen. Ich würde noch lange genug arbeiten.

      „Wenn du unter der Woche beinahe jeden Tag feiern gehen kannst, dann dürfte das kein Problem sein. Außerdem verlange ich nichts Unmenschliches von dir.“ Er holte tief Luft und blieb im Eingang zum Wohnzimmer stehen. Eine fremde Frau saß an unserem Esstisch, die sich jetzt langsam erhob. „Joanna, das ist Marianna Winter.“

      „Freut mich. Aber du brauchst mir deine neue Freundin nicht vorzustellen. Eine Einladung zur Hochzeit reicht.“ Ich schaute nur kurz zu ihr rüber.

      Mein Vater presste die Kiefer fest aufeinander, die einzige Reaktion, die er mir in den letzten Monaten gezeigt hattev. „Sie ist nicht meine Freundin. Sie ist wegen dir hier, Joanna.“

      Kapitel 3 – Heute

      Wie betäubt saß ich in Mariannas Auto und starrte aus dem Fenster. Sie fuhr langsam durch die dunklen Straßen unseres Vorortes. Ich konnte nicht sagen, wie lange wir schon unterwegs waren und was unser eigentliches Ziel war. Meine Gedanken kreisten nur um das, was passiert war.

      Ich wollte weinen, aber es wollte keine einzige Träne kommen. Ich wollte trauern, aber die Trauer huschte an mir vorbei, ohne dass ich sie greifen konnte. Ich wollte an etwas festhalten, doch mein Leben glitt durch meine Finger, ohne dass ich es greifen konnte. Dabei war es nicht das meine, das auf dem Spiel stand.

      Die Straßen verschwammen vor meinen Augen. Die aufgehende Sonne tauchte alles in ein angenehmes und warmes, orangenes Licht. Es wäre schön gewesen, wenn ich es gesehen hätte. Ich wollte nicht wieder daran denken, wollte nicht an die vielen Sonnenaufgänge, die ich erlebt hatte. An die darauf folgenden Sonnenuntergänge. An das schwindende Licht. An die Dunkelheit, die langsam vom Himmel Besitz ergriff. Nur, um am nächsten Morgen wieder abgelöst zu werden von den ersten Sonnenstrahlen. Wie oft hatte ich das alles schon gesehen? Wie viele Nächte war ich schon wach geblieben, nur um dieses Schauspiel zu beobachten?

      Er hatte mir immer gesagt, dass das der Kreislauf des Lebens sei. Jeder Tag ging einmal vorüber, so wie jede noch so lang erscheinende Nacht wieder abgelöst werden würde von einer zarten Morgenröte. Nichts würde unendlich lange andauern.

      Ein Sinnbild für das Leben. Alles war endlich.

      Wer hätte schon gedacht, dass ich das einmal mit seinem Leben in Verbindung bringen würde? Ich nicht. Und er mit Sicherheit auch nicht. Bekam er das jetzt überhaupt noch mit? Konnte er noch denken? Fühlte er noch? Kämpfte er?

      Der Wagen hielt an. Mein Blick wurde klarer, die Umgebung um mich herum nahm wieder scharfe Konturen an. Wir waren nicht am Krankenhaus. Wir waren noch immer in dem Vorort, in dem wir beide wohnten. Die Straße kam mir vage bekannt vor, auch wenn ich es im ersten Moment nicht einordnen konnte. Erst, als ich das junge Mädchen sah, das mit verheultem Gesicht auf das Auto zusteuerte, wusste ich es wieder. Die Erinnerungen liefen in meinem Kopf ab wie ein Film. Immer wieder hatte ich ihn damit konfrontiert. Es war einfach lächerlich gewesen. Lächerlich und unglaublich unwichtig.

      „Was macht sie hier?“ Der Vorwurf in ihrer Stimme war kaum zu überhören. Es berührte mich kaum. Ich hörte sie, aber es löste nichts in mir aus. Keine Wut, keinen Trotz, keine Eifersucht. Nichts. Sie war egal. Es hatte doch alles keinen Sinn mehr, wenn er nicht mehr hier war.

      „Joanna hat durchaus ein Recht darauf, es zu wissen.“ Marianna klang erstaunlich ruhig.

      „Nein, hat sie nicht.“ Ihre Stimme war erstickt. Sie weinte. Ich beneidete sie darum. Ich hätte meine Gefühle auch gerne auf diese Art und Weise gezeigt. Doch in mir war nichts, dem ich irgendwie hätte Ausdruck verleihen können. Ich fühlte nichts. Ich war wie betäubt. In mir war nur eine Leere. Als hätte mir jemand in nur ein paar Minuten all das geraubt, was das Leben für mich lebenswert machte.

      „Es ist in Ordnung, Julia. Wir sind alle mit dem gleichen Ziel hier.“

      Müde lehnte ich meinen Kopf gegen die Fensterscheibe. Sie fühlte sich kühl und glatt an meiner Stirn an. Die Welt raste wieder an mir vorbei, während sie im gleichen Moment still zu stehen schien. Würde sie sich überhaupt noch weiterdrehen ohne ihn? Hatte die Welt noch einen Sinn? Worin lag der Sinn in meinem Leben, wenn seines jetzt zu Ende sein sollte?

      Wir passierten das Ortsschild. Die Straßen waren frei. Ich schloss die Augen, wollte wenigstens irgendetwas fühlen. Aber da war nichts. Keine Verzweiflung, keine Trauer. Ich war nur noch eine leere Hülle. Ich atmete. Ich existierte. Und selbst das schien im Moment noch zu viel zu sein, um es zu ertragen.

      Keiner sagte mehr ein Wort. Die Sonne stieg langsam höher. Ich spürte die Wärme auf meinen Augenlidern. Sie ließ mich kalt.

      Eine dumpfe Erinnerung kam in mir hoch. Die Erinnerung an die Hoffnung, die ich damals noch hatte. Und die Enttäuschung, als sie mit jedem Tag ein wenig mehr schwand. Genau konnte ich mich nicht mehr daran erinnern, wann ich sie verloren hatte oder wann ich aufgehört hatte, jeden Tag daran zu denken. Es war eine schwache Erinnerung an längst vergessene Zeiten. Verschwommen und unklar. Und verstärkte nur das, was ich jetzt fühlte.

      Nichts.

      Kapitel 4 – Dezember 2018

      „Wo warst du denn?“ Ungeduldig drückte Milena mich, als ich endlich in dem Pub ankam, in dem wir uns mit dem Rest unserer Clique verabredet hatten.

      Ich rollte mit den Augen. „Frag nicht. Mein Dad hat mich aufgehalten. Und dann habe ich auch noch den Bus verpasst.“

      „Schon wieder?“ Mitfühlend verzog Milena das Gesicht. Sie hatte mir einen Platz neben sich am Ende des Tisches freigehalten. Uns gegenüber waren noch zwei Plätze frei. Kurz ließ ich meinen Blick über alle Anwesenden schweifen. Valentina lächelte mir kurz zu. Neben ihr saß ihr Freund Kristian, der sich angeregt mit zwei anderen Kommilitoninnen von uns unterhielt. Er selbst machte seinen Master in Architektur, begleitete seine Freundin aber auf viele von unseren Treffen. Ich mochte ihn gerne. Er war eine angenehme Gesellschaft. Milena saß rechts von mir und neben ihr Selina und Xenia, zwei beste Freundinnen, die zu dem Kern unserer kleinen Clique gehörten. Ihnen gegenüber saßen zwei Jungs die ich nur vage vom Sehen kannte. Wahrscheinlich die Freunde von Konstantin.

      „Er ist noch nicht da“, raunte meine beste Freundin mir überflüssigerweise zu.

      „Wer fehlt dann noch?“ Ich nickte zu dem zweiten freien Platz uns gegenüber.

      Milena hob unwissend die Achseln. „Keine Ahnung. Vielleicht hat Valentina noch jemanden eingeladen.“

      „Deinen Bruder vielleicht?“

      „Um Gottes Willen, nein. Der hat hier nichts zu suchen.“ Sie rümpfte die Nase.

      Eine junge Kellnerin kam vorbei und brachte die ersten Getränke vorbei. Milena und ich bestellten uns noch einen Gin Tonic.

      „Was wollte dein Vater wieder von dir?“, griff sie das Thema wieder auf und wandte sich zu mir um. Der Rest vom Tisch redete noch über die Klausur. Wir beide hatten keine Lust, uns daran zu beteiligen. Ich wollte nicht so tun, als wäre sie schwer gewese und als wäre ich mir nicht sicher, ob ich bestanden hätte. Milena ging es da zum Glück ähnlich.

      Ich konnte nicht anders als wieder genervt die Augen zu verdrehen. „Er meinte, er will jetzt feste Regeln aufstellen. Er hätte Angst um mich.“

      „Wie süß“, bemerkte sie trocken. „Kurz vor deinem einundzwanzigsten Geburtstag.“

      „Eben.“ Ich seufzte. „Er meinte, dass ich jemandem Nachhilfe