2050. Jennifer Schumann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jennifer Schumann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783754927403
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recht behalten, Rainer ging es nur ums Geld. Sie musste sparen und er protzte nach außen hin. Wenn es nur das wäre. Sie seufzte vernehmlich, biss danach die Zähne fest aufeinander, dabei zogen sich ihre Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. Nie wieder würde sie sich ungefragt die Welt erklären lassen! Das war das Schlimmste an ihrer Beziehung. Ich bin klug und brauche keinen Mann, der mir sagt, wo es langgeht. Diese Zeiten sind schon lang vorbei. Kapier das endlich, Rainer!

      In ihrem vor Angst umnebelten Hirn keimte ein Plan. Erst waren es nur Mordgedanken, doch jetzt wurden sie konkreter. Rainer tat nichts, um ihr zu helfen. Er hatte sie geschüttelt, ihr wehgetan, nahm ihre Angst nicht ernst. Das musste Konsequenzen haben. Aber das brauchte Zeit. Wenn er nicht mehr war, hatte sie mehr Vorräte und vor allem gehörte dann alles ihr und sie konnte sagen, wo es langging.

      Was tut er eigentlich die ganze Zeit in seinem Büro?, fragte sie sich. In ihr wuchs der Verdacht, dass er mit Licht gesegnet war und sie einfach im Dunkeln sitzen ließ. Am liebsten hätte sie sofort gehandelt, aber etwas bremste sie aus.

      Ist das nicht wieder diese Stimme? Hannah lauschte. Aus dem Zimmer ihres Mannes drang ein Laut, der entfernt an die Sendersuche eines altertümlichen Radios erinnerte. Ihr Großvater hatte so eines besessen, aber das war lange her. Wieder rauschte es. Neugierig ging sie auf die Tür zu und presste ein Ohr gegen das Türblatt. Als sie die Stimme einer Frau hörte, riss sie die Tür auf und starrte in die Dunkelheit des kleinen Raums. Rainer hatte ein Radio und ihr nichts davon gesagt! Woher hat er es und vor allem die Scheißbatterien? Wo es vorher in ihr nur gekocht hatte, tat sich nun ein loderndes Flammenmeer auf.

      »Du mieses Dreckschwein, amüsierst dich hier mit dieser Radiotussi …« Ihre Zurechtweisung verhallte ungehört, denn er unterbrach sie grob.

      »Halt die Klappe, eine Regierungsmeldung. Sei ja still!«

      Die Worte trafen Hannah wie eine Ohrfeige, das Schweigen war eher Gewohnheit, wenn er etwas befahl. Doch dieses Mal war es besser, dass sie nichts sagte und zuhörte.

      »Heute Mittag ließ das Innenministerium mitteilen, dass eine verbindliche Ausgangssperre beschlossen worden ist. Das betrifft auch die Beschaffung von lebensnotwendigen Gütern. Sollten Sie Medikamente oder Lebensmittel benötigen, bittet Sie die Regierung um Geduld. Das Militär ist bemüht, die vorgesehenen Rationen so rasch wie möglich an die Bürger zu verteilen. Bleiben Sie in Ihren Häusern oder Wohnungen, dort sind Sie vor der Strahlung sicher. Die Trinkwasserqualität ist nach wie vor nicht gefährdet. Das Institut für Strahlenschutz und Dosimetrie liefert stündlich neue Daten, bisher zeigt sich leider keine wesentliche Änderung. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass nach dem nächsten heftigen Regenfall die Strahlenbelastung erheblich sinken wird. Wir melden uns wieder zur vollen Stunde.«

      Kein Wort über den Blackout. Hannah runzelte die Stirn. Strahlenbelastung, Ausgangssperre, Militär? Fragend schaute sie Rainer an, doch der beachtete sie nicht.

      »Wie lange hörst du schon heimlich Radio und verschweigst mir das?«, fragte sie zornig und baute sich vor ihrem Mann auf. Feindselig stemmte sie die Fäuste in die Hüften.

      »Das geht dich nichts an. Das ist das alte Ding von deinem Opa, die Batterien waren noch drin. Und jetzt lass mich in Ruhe. Du hast ja gehört, dass der verfickte Blackout noch weitreichendere Folgen gehabt hat. Ich muss nachdenken, also scher dich hier raus!« Mit einer ausholenden Geste wies er zur Tür. Seine Stimme war ein einziges Gewitter, das sie zu gut kannte. Bevor sie ihn ihren Zorn spüren ließ, musste sie ihn in Sicherheit wiegen. Aber für seine Lügen würde er büßen.

      Zum Nachdenken ging sie ins Bett. Zumindest wollte sie es. Da waren wieder diese Geräusche, wie ein Schaben an der Haustür. Sie machte kehrt und lauschte. Sobald sie vor der Tür stand, war alles ruhig. Es fühlte sich an wie Watte in den Ohren, eine dumpfe Stille, die nur ihren Herzschlag durchließ. Angst durchfuhr Hannah. Hektisch machte sie kehrt und flüchtete ins Schlafzimmer. Schon wollte sie unter die Decke kriechen, als ihr einfiel, dass sie auch hier nicht in Sicherheit war. Überall haftete der Geruch ihres Mannes. Das Bettzeug stank nach ihm. Hektisch zog sie die Bettwäsche ab und warf sie in eine Ecke. Klirrend landete dabei der Bilderrahmen mit ihrem Hochzeitsfoto auf dem Boden. Da gehört es hin.

      Erst nachdem sie alles beseitigt hatte, das sie an Rainer erinnerte, verkroch sie sich ins Bett. Nun musste nur noch ihr Mann weg, dann war sie völlig sicher. Bin ich das wirklich? Ist Sicherheit nicht nur eine Illusion? Was heißt das überhaupt mit der Strahlung? Warum ist plötzlich alles verstrahlt? Sie hatte so viele Fragen, auf die sie keine Antwort wusste. Dann kam ihr etwas anderes in den Sinn und ihre beginnende Verzweiflung wandelte sich in Hass. Was, wenn Rainer das alles eingefädelt hat, damit ich nicht mit meiner Freundin nach Spanien fliegen kann? Sie holte tief Luft. Diese Erkenntnis musste sie erst einmal verdauen. Je mehr sie darüber grübelte, desto passender kam es ihr vor. Das würde ihm ähnlich sehen. Mich hier festzuhalten!

       Ihre Gedanken überschlugen sich, während ihr Herz vor Aufregung immer schneller gegen das Brustbein und die Rippen hämmerte.

      Keine Minute später fand sie sich in der Küche wieder, das Fleischmesser in der Hand. Zeit zum Überlegen nahm sie sich nicht.

      »Abbruch! Beenden Sie es!« Die Stimme aus dem Radio klang verzerrt, hektisch und unwirklich. Was hört Rainer für einen Mist? Dieses Fiasko würde sie jetzt beenden. Sogar der Radiosprecher hatte das gesagt. Verblüfft starrte Rainer das Radio an und bekam erst mit, dass er starb, als das Messer bereits tief in seiner Brust steckte. Im gleichen Moment ging das Licht an, die Rollläden hoch und drei Personen in Schutzanzügen stürmten den Raum.

      Die plötzliche Helligkeit blendete sie. Hannah konnte sich keinen Reim auf diese Änderung machen. Ob es etwas mit Rainer zu tun hatte? Ihm habe ich es definitiv gezeigt! Der wird mir nicht mehr sagen, was ich zu tun habe und mich wie eine dumme Kuh behandeln! Nichts anderes als Triumph fühlte sie in dem Moment und ein zufriedenes Lächeln lag auf ihren Lippen.

      Jemand berührte sie sanft an der Schulter und führte sie hinaus. Durch die Haustür! Sie ist offen! Hannah konnte es kaum fassen. Der Wind war kalt und unangenehm heftig. Aber da waren Sonne und frische Luft. Einen tiefen Atemzug später fühlte sie sich so befreit wie nie zuvor. Sie lachte und brach es sofort wieder ab. Da war wieder diese fremde Stimme, laut und befehlend. Irgendwie klang sie wie Rainer. »Jetzt hören Sie mal zu! Wir haben hier eine Leiche! Ihre verdammten Sparmaßnahmen haben dazu geführt, dass die Bewohner den Notausstieg nicht finden konnten. Da muss definitiv noch nachgebessert werden und ohne zusätzliche Notstromversorgung geht bei dieser Art Smarthome gar nichts. Am besten … Ja, ich fertige einen Bericht. So können wir das Teil nicht auf den Markt bringen, schon gar nicht in den USA. Natürlich steigt die Wahrscheinlichkeit eines Blackouts, das wissen wir seit Jahren, da hilft … Ich klugscheißere nicht, ich liefere Ihnen Fakten! Und kommen Sie mir nicht mit den Chinesen! Solange wir für den europäischen und amerikanischen Markt … Verdammt, hören Sie mir überhaupt noch zu?«

      Hannah schauderte es bei der Stimmlage, die ständig lauter wurde. Sanft, aber bestimmt, wurde sie zu einem Krankenwagen geführt. Doch sie konnte den Mann leider noch gut verstehen. Was sonst um sie herum geschah, bemerkte sie nicht.

      »Wir werden weder von den Chinesen noch von den Japanern überholt. Wir punkten mit Sicherheit und bleiben Marktführer! Ich verspreche es. Aber wir brauchen hier einen Putztrupp, einen Bestatter und dann die Arbeiter wegen dem Notausstieg, damit wir das Haus zur nächsten Testreihe freigeben können. Morgen kümmern wir uns zusammen um einen neuen Energieversorger, der aktuelle taugt nichts und ebenso wenig die Solaranlage auf dem Dach … Ich sagte doch, dass wir das morgen machen … Klar, keine Polizei, dafür sorge ich. Wofür halten Sie mich …?«

      Hannah konnte nicht mehr verstehen, was weitergeredet wurde. Die Energieknappheit war weltweit zu einem Problem geworden, seitdem es kaum noch mit Benzin oder Diesel betriebene Autos gab. Vielerorts brach die Stromversorgung fast täglich zusammen, wenn die E-Cars pünktlich nach Arbeitsende ans Stromnetz angeschlossen wurden.

      Die Tür des Krankenwagens schloss sich hinter Hannah. Leise setzte sich der Wagen