2050. Jennifer Schumann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jennifer Schumann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783754927403
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Es ist richtig langweilig mit dir.«

      »Mann, dann tu doch was! Lies ein Buch oder putz den Wohnzimmerschrank! Sortiere deine Klamotten aus oder was auch immer, aber geh mir nicht auf die Nerven! Du siehst doch, dass ich hier viel zu tun habe!«

      Schon jetzt, nach nur wenigen Stunden, war die Stimmung im Haus angespannt. Aber Rainer ging tatsächlich und nahm ihren Vorschlag mit dem Schlafzimmer auf. Hannah blieb in der Küche und putzte weiter. Einfach aufsprühen und wischen, wie in der Werbung. Das Ergebnis konnte sie nicht sehen, aber riechen. Zum Fischgeruch gesellte sich jetzt der künstliche Lavendelduft, der ihrem Lieblingsreiniger beigemengt war.

      »Blackout … Es ist ein absoluter Supergau«, murmelte sie. Die Anspannung durch die aktuelle Lage, addiert mit dem Gestank, bereitete ihr Kopfschmerzen. Verärgert warf sie den Lappen auf die Theke und ging ins Wohnzimmer, wo sie sich auf das breite Sofa fallen ließ. Hierher war der Mief noch nicht gezogen, aber es wurde langsam kühl. Sie zog sich eine Kuscheldecke heran und machte es sich gemütlich. Jetzt einen Film schauen. Ihr Blick richtete sich auf den überbreiten Flatscreen, der an der Wand ihr gegenüber befestigt war. Doch dort tat sich nichts. Sie schloss die Augen und schlief prompt ein.

      Lautes Lachen von oben weckte sie. Warum lacht Rainer? Er lacht doch nie. Ihr Hirn war noch träge vom Schlaf, deshalb sagte sie sich dann auch, dass sie das geträumt haben musste. Dann hörte sie das Gelächter erneut. Jetzt stand sie auf und ging hoch.

      »Was ist los?«, fragte sie ihn, doch er deutete nur auf ein altes Fotoalbum und winkte sie zu sich heran.

      »Weißt du noch?« Feixend hielt er ihr das Buch unter die Nase. Sie nahm es, setzte sich zu ihm und grinste ebenfalls. Eine ihrer ersten Reisen, kurz nachdem sie sich kennen gelernt hatten. Damals hatten sie viel Unsinn zusammen angestellt und Mallorca durchwandert. Bald schon schwelgten sie in Erinnerungen und vergaßen die prekäre Situation für eine Weile.

      Stunden später waren die Fotoalben angeschaut, der Weinvorrat geschrumpft und die Kerze heruntergebrannt. Noch vor wenigen Minuten hatte Hannah herzlich über die alten Bilder gelacht, jetzt weinte sie.

      »Ich will aus diesem verdammten Haus.« Durch ihr Schluchzen war sie kaum zu verstehen. »Wie lange dauert das noch?«

      »Nicht mehr lange. Es kommt uns nur so vor, weil wir nichts tun können«, erwiderte Rainer. Um sie zu beruhigen, nahm er sie in den Arm und küsste sie. Plötzlich herrschte eine knisternde Intimität zwischen den beiden, wie seit Jahren nicht mehr.

      Draußen brach ein weiterer Tag ihrer Isolation an, doch sie wussten es nicht. Die Zeit, die sie allein im dunklen Haus verbrachten, dehnte sich. Eine Minute fühlte sich wie Stunden an. Keine Änderung war in Sicht.

      Mehr und mehr strapazierte Rainer Hannahs Nerven. Sie hatte nicht gewusst, dass er so laut atmete oder die Füße beim Gehen nicht richtig anhob, sondern mehr schlurfte als ging. Aber es war nicht nur das. Auch sein Geruch störte sie plötzlich, sogar seine Stimme. Jetzt saß er wenigstens in seinem Arbeitszimmer und belästigte sie nicht mit seiner Anwesenheit. Sie konnte ihn hören, wie er in alten Akten kramte und schimpfte.

      »Hannah!«, brüllte er. Erschrocken über den plötzlichen Lärm, zuckte sie zusammen. »Schau mal auf deinem verfickten Handy, ob du irgendetwas Neues erfahren kannst!«

      Als ob ich noch ausreichend Saft auf meinem Smartphone hätte. Aber sie probierte es trotzdem. Kein Strom, kein Internet, keine Nachrichten. Sosehr sie sich auch darum bemühte, das Telefon zu starten, das Display blieb schwarz.

      »Der Akku ist leer«, erwiderte sie leiser.

      Langsam wurde die Sache ungemütlich. Während der zahlreichen Corona-Lockdowns, damals war sie ein Kind gewesen, konnte sie auch nicht alles tun. Zu der Zeit durfte sie weder Kindergarten noch Freunde besuchen. Aber sie ging wenigstens mit ihrer Mutter spazieren und war vor allen Dingen nicht in einem abgedunkelten Haus eingesperrt. Sie hatten Fernsehen, Internet und konnten jederzeit mit anderen Leuten reden, zwar oft nur über den Balkon, aber immerhin.

      Jetzt war jede Kommunikation nach außen weg. Ihr blieb nur Rainer. Diese Erkenntnis frustrierte sie.

      »Du blöde Kuh!«, blaffte er sie zornig aus dem Arbeitszimmer heraus an.

       Als ob ich etwas für die Umstände kann!

      In ihren Gedanken kreisten verschiedene Krimis und Thriller, die sie in der Vergangenheit gelesen hatte. Sogar auf diese schöne Beschäftigung musste sie verzichten; es war zu dunkel dazu und Licht hatten sie keines mehr. Die Taschenlampe war im Auto, das vor dem Haus stand. Ihr war zum Heulen zumute.

      Wie lange waren sie nun schon zusammen eingeschlossen? Hatte es jemals zu ihren Wünschen gehört, mit ihrem geliebten Rainer auf einer einsamen Insel oder wochenlang in einem Hotelzimmer eingesperrt zu sein? Zerknirscht gestand sie sich ein, dass das vor langer Zeit zu ihren schönsten Träumen gehört hatte. Natürlich war das der ersten Verliebtheit geschuldet gewesen. Rainer verhielt sich früher auch ganz anders, musste sie einräumen. Damals hatte er sie nie angebrüllt oder beschimpft. Wenn sie jetzt daran zurückdachte, hörte sie seine angenehme Stimme, doch wurde sie vom älteren Rainer überlagert. Die Liebe hatte sich in der Dunkelheit aufgelöst. Oder es kam ihr erst jetzt so richtig zu Bewusstsein.

      »Alter Besserwisser, du gehst mir so was von auf den Geist«, murmelte sie, während sie mit dem Fleischmesser das hart gewordene Brot bearbeitete. Mit der Nahrung sah es schlecht aus. Das Zeug aus der Tiefkühltruhe stank in einem Müllbeutel in der Küche vor sich hin. Sie wollte es nicht einmal mehr anfassen, so sehr ekelte sie sich davor. Dann hatte auch noch ein Riss im Beutel dafür gesorgt, dass der Dreck auf den Boden tropfte. Ihre schöne Küche wurde zum Horror. Der Kühlschrank war leer und roch eigenartig. Nudeln brachten nichts, wenn man sie nicht kochen konnte, das gleiche galt für Reis.

      »So ein Scheiß auch!« Mit diesem Ausruf warf sie das Messer zornig von sich. Erst traf es das einbruchsichere Fensterglas und landete anschließend mit einem metallischen und lauten Klang auf dem Küchenboden. Danach kam ihr die Stille im Haus noch bedrohlicher vor. Die einzelne Kerze, die fast heruntergebrannt auf dem Esstisch stand, verbreitete ein unheimliches Licht.

      War da etwas an der Tür? Ein Schaben, ein Kratzen oder gar ein Klopfen? Ihr Herz raste. Einen Moment setzte ihr Atem aus. Sie lauschte. Aber da war nichts mehr. Was wenn die Rettung schon wieder weg ist? So schnell es ging, rannte sie los und hielt erst an der massiven Haustür an.

      »Hallo? Ist jemand da draußen? Können Sie mich hören?«, rief sie, gleichzeitig hämmerte sie mit den Fäusten dagegen. »Helfen Sie uns! Wir sind hier eingeschlossen!«

      Die einzige Reaktion war Rainer, der angelaufen kam, sie grob an den Schultern packte und von der Tür wegriss.

      »Hör auf, das hat keinen Zweck. Das Haus ist schalldicht isoliert, wir wollten es hier ruhig haben. Hast du das vergessen?«

      Tränen traten ihr aus den Augen. Zornig riss sie sich von ihm los und hämmerte erneut gegen die Tür. »Lasst uns hier raus!«

      Heftiges Schütteln brachte sie für einen Moment zur Besinnung. Fassungslos schaute sie ihren Mann an.

      »Du Riesenarschloch! Tu doch endlich etwas, wo du sonst auch immer alles weißt!«, brüllte sie ihn an, dabei schlug sie ihm mit der flachen Hand ins Gesicht. »Tu was!«

      Jetzt, wo es nötig ist, tut er gar nichts. Das ärgerte sie. Dazu kam ihre stärker werdende Angst.

      Nachdem sie ihn geschlagen hatte, ging Rainer einfach weg. Er sagte nichts und tat nichts, sondern schloss sich in seinem Arbeitszimmer ein.

      »Anscheinend genießt du das noch!« Sie schickte ihm eine Reihe Schimpfnamen hinterher, ehe sie schluchzend an der Tür zu Boden rutschte.

      Dieses Haus war eine Falle! Nichts anderes. Sie hörte Rainers Schritte. Mal ging er hierhin, mal dorthin. Irgendetwas murmelte er dabei vor sich hin. So sehr sie sich auch anstrengte, was er sagte, blieb ihr verborgen. Wie konnte sie seine tiefe, raue Stimme jemals anziehend finden? Es reichte schon zum Ausrasten, wenn er nur ihren Namen rief. Sie versteckte sich vor ihm, das war