2050. Jennifer Schumann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jennifer Schumann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783754927403
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Strom im Haus«, erwiderte sie im Tonfall der Lehrerin, die ihrem Schüler eine einfache Tatsache erklärt, die er eigentlich wissen sollte.

      »Das kann nicht sein. Du hast bestimmt etwas falsch gemacht.«

      »Klar, immer ich. Ich hab gar nichts gemacht. Schau doch selbst, wenn du mir nicht glaubst. Die Rollläden sind noch unten, kein Wasser …«

      »Du musst die Temperatur nur richtig einstellen, wahrscheinlich hast du …«

      »Jetzt hör mir doch mal zu und schalt dein Hirn ein!«

      »Warte«, brummelte Rainer und stand ebenfalls auf. Das musste er seiner Frau beweisen. Nur mit Boxershorts bekleidet, schritt er zuerst ins Bad. Auch er bemerkte das fehlende Licht und später, dass es kein Wasser gab. Er mutmaßte, dass der Sicherungshauptschalter gekippt war. Entschlossen, das Problem sofort zu beheben, kehrte er ins Schlafzimmer zurück, holte sein Smartphone und schaltete die integrierte Taschenlampe ein. Damit ging er zum Sicherungskasten. Alles war in Ordnung. Mehrmals betätigte er den Schutzschalter. Kein Strom.

      »Fuck! So eine gottverdammte Scheiße! Wie soll ich dann bitte die Präsentation fertig bekommen?«

      Unten bekam er keine Antwort auf diese Frage, also kehrte er ins Schlafzimmer zurück. Dort stand Hannah und grinste verhalten. Sie wusste, dass sie jetzt besser schwieg.

      Wütend schnaubte er. Bevor er etwas sagte oder tat, schlüpfte er in Hose und T-Shirt, anschließend stellte er die Weckfunktion ab und vorsorglich auch die Taschenlampe.

      »Ich rufe beim Stromanbieter an. Hast du die Nummer?«

      »Hm? Ich? Nein, du hast das alles.«

      »Gut, ich suche sie selbst. Mach du Kaffee … Nein, der Scheiß geht ja auch nicht, dann richte eben ein kaltes Frühstück. Und such ein paar Kerzen. Ich ruf beim Anbieter an. Das Problem wird bestimmt gleich behoben sein.«

      Rainer war ganz der befehlende Optimismus, etwas, das Hannah nervte. Trotzdem ging sie in die Küche und wollte sich um ein mickriges Frühstück kümmern.

      Das Surren des Kühlschranks fehlte ihr. So zielstrebig es in der Dunkelheit möglich war, ging sie durch die Küche, streckte schon die Hand nach der Tür aus, da trat sie in etwas Nasses. Angewidert sprang sie zurück.

      »Igitt! Was ist das?« Gleich darauf bemerkte sie die Bescherung: Der Gefrierschrank mit all seinen Köstlichkeiten war abgetaut.

      »Was ist denn jetzt los?«, brüllte Rainer von oben.

      »Nichts, ruf bei denen an und sag ihnen, sie sollen sich beeilen, bei uns taut der Gefrierschrank!«

      »Verdammt! Bin gleich unten!«

      Sie fragte sich, was er gegen das Tauwasser unternehmen wollte. Doch schon hörte sie seine schweren Schritte auf der Treppe und kurz darauf betrat er die Küche, das Telefon am Ohr und mitten im Gespräch.

      »Wir haben keinen Strom, was ist da los? – Wie? Wie lange? Wir … äh, ja. Ja. Kann jemand kommen? Smarthome. Blöd? Warum blöd? Sie wissen nicht … Wissen Sie überhaupt etwas? Gibt es denn keine Notstromversorgung? Wie? Nein, habe ich noch nicht. Ja, mache ich. Danke.«

      Hannah hatte das Gespräch gespannt mitverfolgt aber nur die Hälfte davon verstanden. Die Körpersprache ihres Mannes konnte sie an diesem Morgen nicht deuten. Normalerweise erkannte sie Anzeichen schlechter Laune und ging ihm dann aus dem Weg. Doch an diesem Tag war alles anders. Sie sah zu wenig und er bewegte sich wie ein Holzpflock. Lediglich an der Stimmlage merkte sie, dass er verärgert war.

      »Was ist jetzt, Rainer?«

      »Anscheinend ein Blackout. Wir sollen die Nachrichten am Smartphone lesen oder ein batteriebetriebenes Transistorradio anstellen. Laufend werden Verhaltensregeln durchgegeben. Anscheinend soll das aber bald behoben sein.« Noch während er redete, tippte und wischte er auf seinem Telefon herum, bis er das Gewünschte gefunden hatte. Hannah konnte nur sein »Hm« hören, denn in ihrem Kopf geisterte die abgetaute Gefriertruhe. Genießbar war vom Inhalt bestimmt nichts mehr; vielleicht noch die halbe Torte, die sie von ihrem letzten Besuch bei Tante Hilde mitgenommen hatte.

      Rainer setzte sich an den Tisch und gab nichts anderes als verärgerte Geräusche von sich. Das hielt Hannah nicht aus, sie wollte selbst wissen, was los war und lief ins Wohnzimmer, wo ihr Smartphone lag. Hastig entsperrte sie es, ignorierte die entgangenen Anrufe und widmete sich den neuesten Nachrichten. Sie berichteten von einem europaweiten Blackout. Die Bevölkerung solle sich im Haus aufhalten und auf Hilfe warten. Die Regierung arbeite mit Hochdruck an einer Lösung des Problems.

      »Na toll«, murmelte sie, dann rief sie bei ihrer Mutter an, doch sie bekam kein Freizeichen. Natürlich, die alte Dame hatte noch ein Festnetztelefon, eines der letzten existierenden Exemplare. Also wählte Hannah die Nummer einer Nachbarin ihrer Mutter und bat sie, sich um die alte Frau zu kümmern, bis sich die Lage normalisiert hatte.

      »Und jetzt gibt es Frühstück. Wir können es eh nicht ändern, Rainer.« Sie gab sich optimistischer, als sie sich fühlte. »Mit Mutti hab ich alles geregelt, da kümmert sich die Nachbarin. Wie wäre es mit Torte und Saft?«

      »Wie? Spinnst du? Du kannst doch nicht zur Tagesordnung übergehen!«

      »Sicher kann ich das. Die werden das Problem bald lösen und in ein, zwei Stunden läuft alles wie immer. Den Gefrierschrank muss ich nur sauber machen und den Kühlschrank. Aber danach können wir die freie Zeit doch etwas genießen.«

      Hannah sah nicht ein, sich alles vermiesen zu lassen. Nun da sie wusste, was los war und an einer Lösung gearbeitet wurde, entspannte sie sich langsam.

      Aus dem Gefrierschrank roch es Übelkeit erregend nach dem aufgetauten Fisch, den Rainer erst vor ein paar Tagen aus dem nahen Fluss geangelt hatte. Sie hielt die Luft an, griff die Torte und schloss den Schrank rasch wieder. Der Gestank des Siffs, der den Boden verunstaltete, reichte ihr allemal, war aber noch angenehmer als der offene Tiefkühler. Der Kühlschrank gab noch eine halbe Packung lauwarmen Orangensaft her.

      Den Tisch zu decken, dauerte etwas länger, weil sie erst nach den Kerzen suchen musste. Am Ende sorgte eine Friedhofskerze für Licht.

      »Sieht doch gleich freundlicher aus, findest du nicht? Aber es wird langsam etwas frisch hier drinnen«, meinte sie nach getaner Arbeit. Rainer reagierte nicht.

      »Mensch, Rainer, jetzt mach nicht so ein Gesicht. Das ist bestimmt bald vorbei, du hast es selbst gesagt. Erst frühstücken wir, dann ziehen wir uns warm an und machen einen Spaziergang. Nutzen wir die Zeit doch für uns.«

      Rainer lachte freudlos. »Du hast vergessen, dass die Haustür automatisch auf- und zugeht. Sie hängt am Stromnetz. Wir sitzen fest, bis der Blackout vorbei ist.« Seine Stimme war leiser als normal, auch seine Haltung wirkte zusammengesunken. Hannah fand, dass sie ihn noch nie so niedergeschlagen erlebt hatte. Seine Worte und sein Anblick drückten ihre Laune zurück in den Keller. Daran hatte sie nicht gedacht. Es war so eine praktische Tür, besonders, wenn sie schwerbeladen vom Einkaufen kam oder noch diverse Unterlagen, Ordner und Kisten von der Arbeit mitbrachte, die sie zuhause abarbeiten wollte. Einfach Tür auf sagen und die Stimmerkennung erkannte sie und öffnete. Jetzt war das sehr unpraktisch. Gewiss löste sich alles bald auf. Bis der Strom wieder lief, mussten sie sich eben mit etwas anderem beschäftigen, irgendetwas würde ihr schon einfallen. Sie versuchte, optimistisch zu bleiben.

      Die Stunden schlichen dahin. Rainer suchte nach alternativen Lösungen, während Hannah den Gefrierschrank leerräumte und reinigte. In der Küche stank es fürchterlich. Das hielt der empfindliche Magen ihres Mannes nicht aus. Unauffällig verzog er sich in sein Arbeitszimmer. Wenigstens eine Weile konnte er sich am Laptop ablenken, doch sobald der Akku leer war, kehrte er zurück.

      »Hier stinkt’s ja noch immer wie auf dem Fischmarkt!« Angewidert wedelte er mit der Hand vor dem Gesicht.

      »Kein Wunder, ich kann nicht lüften! Wir brauchten ja unbedingt die stabilen, einbruchssicheren Fenster, die sich nicht öffnen lassen, weil die Wohnraumlüftung für Frischluft sorgt … sehr smart, mein Junge!« Ein mordlüsterner Blick