"Nein! Das ist unfassbar, absolut und in jeder Hinsicht unfassbar. Und wie war's?"
"Unfassbar! Absolut unfassbar!"
"Mann, du Glückspilz. Und das gleich am ersten Tag. Warum kann mir sowas nicht passieren?"
"Weil du vom Dorf bist, ein Bauer eben. Und weil du Trottel nur Augen für diese Rosana hattest. Dabei hättest du gleich bei irgendeiner von den anderen zuschlagen können. Hast du denn nicht geschnallt, wie die Klunten auf dich reflektiert haben, als du mit deiner Gitarre einen auf Troubadour gemacht hast? Darauf stehen doch alle Weiber. Mensch, Atsche, dir kann man einfach nicht helfen."
"Ja, scheiße, vielleicht hast du recht. Aber Rosa hat doch Klasse, oder?"
"Vergiss es, Mann. Eine nette kleine Kohle, ja. Aber bei der landest du nie. Die sind da unten alle katholisch, genau wie die Polen. Eine Polin kriegst du auch nur ins Bett, wenn du ihr die Hochzeit versprichst. Ich habe es versucht: Aufwand und Nutzen stehen in keinem Verhältnis, glaube mir. Nee Mensch, konzentrier dich auf das Machbare. Sonst bleibst du ewig auf deiner bisher einzigen Nummer im Leben sitzen."
"Hecki, wollen wir ein Abkommen schließen?"
"Das kommt auf das Abkommen an."
"Ich kann die Zeichen, die die Mirzen aussenden, einfach nicht deuten. Du musst mir dabei helfen, mich unterrichten."
"Weißt du eigentlich, was ein Abkommen ist? Das ist etwas Reaktives, ein Einvernehmen zum beiderseitigen Vorteil. Dieses Agreement hier hilft nur dir, ausschließlich dir. Ich habe nichts als Arbeit damit und ..., und ich kann mich nicht mehr auf meine eigenen Kampfziele konzentrieren. Warum also sollte ich das tun?"
"Um mir zu helfen."
"Okay, überredet."
"Ich danke dir."
"Na ja, einen Tipp hätte ich da gleich für dich."
"Ich bitte darum."
"Wenn du bei einem Mädel landen willst, solltest du besser nicht einschlafen, während sie mit dir redet."
"Wie bitte?"
"Huh, huh, huh ...,", Hecki kicherte in sich hinein und krümmte sich dabei.
"Ja, du und Rosa, ihr habt nebeneinander auf dem Bett gesessen. Du wolltest sie die ganze Zeit mit deinen rudimentären Spanischkenntnissen beeindrucken. Das hätte auch fast funktioniert. Aber dann hat sie dich irgendetwas gefragt. Und anstatt zu antworten hast du nur behindert mit den Armen gefuchtelt und bist ohne jede Vorwarnung nach hinten gekippt, einfach so - und hast dich nicht mehr gerührt, bis zum Schluss nicht. Junge, du bist mir eine Kanone, ich meine: echt zum Schießen."
"Verdammte Scheiße! Und was hat sie gesagt?"
"Ach, nu' mach dir mal nicht ins Hemd, gelacht hat sie. Was ist, gehen wir zur Einschreibung?"
"Das wird sich nicht vermeiden lassen, wenn wir in Neustadt bleiben wollen."
"Und das wollen wir."
"Auf jeden Fall!"
Hecki und Atsche schlenderten Richtung Hauptgebäude und sondierten in Ruhe das Gelände. Die Universität von Neustadt an der Plage war perfekt zugeschnitten. Während bei anderen Unis Hörsäle, Seminarräume, Sportplätze und Wohnheime oft über das gesamte Stadtgebiet verteilt sind, war in Neustadt alles auf einem einzigen Campus-Gelände zusammengefasst, bis hin zu den vielen Studentenclubs. Es gab Fußballplätze, eine große Mensa, drei Kneipen, eine Speisegaststätte, einen Lebensmittelladen, einen Getränkemarkt, ein Russenmagazin, eine Post, ein Münztelefon: also alles, was man zum Leben braucht, und alles war fußläufig in Minuten erreichbar. Fünftausend Studenten in einem Tiegel von zwei Quadratkilometern zusammengepresst. Und das Beste daran: mehr weibliche als männliche Kommilitonen.
Der große Hörsaal war fast voll. Atsche hatte sich auf das Studium auch deswegen gefreut, weil er viel vom freien Geist und der offenen Diskussionskultur an den Universitäten gelesen hatte. Der Zahn wurde ihm bei dieser Veranstaltung recht schnell gezogen. Es war wie überall: Die politischen Dogmen dominierten auch hier alles. Das fing bereits mit der "sozialen Herkunft" an, ein wichtiges Auswahlkriterium bei der Zulassung zum Studium. Ein gewisser Prozentsatz an Arbeiterkindern musste erfüllt sein. Die geringsten Chancen auf einen Studienplatz hatte man als Abkömmling der Intelligenz. Die Crux bei der Sache, dass eben diese Arbeiterkinder und deren Nachkommen später selbst zur minderprivilegierten Intelligenz gehören würden, sprang offenbar niemandem ins Auge. Gemeinhin stellt man sich unter "Herkunft" etwas Unabänderliches vor, fix wie die DNA. Aber Atsche selbst war das beste Beispiel für die Variabilität dieses Merkmals, das in den Papieren festgehalten wurde wie in anderen Ländern die Religionszugehörigkeit. Sein Vater hatte Schmied gelernt, was Atsche bei seiner Geburt zum Arbeiterkind qualifizierte. Nach einem Fernstudium stieg der Vater zum Ingenieur auf und die soziale Herkunft seines Sohnes wurde auf "Intelligenz" herabgestuft. Und schließlich wurde mit dem Wechsel des Seniors in die Landwirtschaft aus dem zwanzigjährigen Atsche im Handumdrehen und offiziell ein Bauernkind.
In den vor ihnen liegenden Fragebögen wurde folgerichtig die soziale Herkunft abgefragt.
"Ich habe mal eine Frage.", meldete er sich artig.
"Ja bitte.", die Dame, die die Veranstaltung leitete, erteilte ihm lächelnd und scheinbar hilfsbereit das Wort.
"Wir sind doch ein Arbeiter- und Bauern-Staat, oder?", das Gesicht der freundlichen Dame erstarrte. Im besten Falle mimte dieser vorwitzige Neuling hier den Klassenkasper. Andernfalls konnte sich hinter seiner satirisch anmutenden Suggestivfrage nur eine blasphemische, konterrevolutionäre Grundgesinnung verbergen. So etwas konnte sie ausgerechnet bei dieser initialen Veranstaltung nicht gebrauchen.
"Was soll die Frage? Ja natürlich sind wir das."
"Bei der sozialen Herkunft kann man hier nur Arbeiter oder Intelligenz ankreuzen."
"Und Angestellter.", ergänzte die korrekte Dame.
"Ja, aber ich bin doch ein Bauer!", der ganze Saal brüllte.
5. Fettbach, Phenol und Vietnamesen
Der "Fettbach" war einer der diversen Studentenclubs in Neustadt, doch keineswegs nur einer von vielen. Der Fettbach war eine Institution, hatte aber einen gewichtigen Nachteil: die Entfernung. Es war der einzige Club, der nicht auf dem Campus lag, sondern im Stadtzentrum von Neustadt - mit den entsprechenden Konsequenzen. Für den Fußweg vom Fettbach ins Wohnheim benötigte man eine halbe Stunde, vorausgesetzt man war im Vollbesitz seiner geistigen und körperlichen Kräfte. Andernfalls dauerte es entsprechend länger, was die Regel war. Während man die Distanz von einem Studentenclub auf dem Campus bis ins eigene Bett im Ernstfall auf allen vieren in schicklicher Zeit bewältigen konnte, war Gleiches beim Fettbach praktisch ausgeschlossen. Und der Rückweg vom Fettbach hatte noch eine andere unangenehme Besonderheit: Die Wahrscheinlichkeit, zu nächtlicher Stunde von einer Polizeistreife angehalten zu werden, war im Stadtgebiet überdurchschnittlich hoch. Das galt in besonderem Maße für diese frechen Studenten. Ihr stets ausgelassenes, lautes Benehmen wurde von den freudlosen Volkspolizisten als überheblich wahrgenommen. In gewissen Einzelfällen lagen sie damit nicht so weit daneben.
Mittwoch, ihr dritter Tag beim Studium. Hecki und Atsche hatten sich mit vier Mädels verabredet, heute das erste Mal in den Fettbach zu gehen. Und dann war da noch ein gewisser Zerowitsch, genannt Zero. Hecki hatte den Burschen angeschleppt und war von ihm begeistert, erzählte andauernd von ihm und fand ihn supercool. Das konnte nur an Heckis Brille liegen, Atsche sah das anders: ein weichlicher Schönling, ein selbstverliebter Schwätzer vor dem Herrn, kurzum ein arrogantes, überhebliches Arschloch. Aber eins musste selbst Atsche zugeben: ein sehr gescheites überhebliches Arschloch. Zu allem Überfluss standen die Mädels auf Zero. Dabei hatte er eine eher weiche Figur, dicke Lippen und Hände wie ein Mädchen. Aber Atsche wollte sich dadurch seine gute Laune nicht verderben lassen.
Beim Eintreten empfing sie ein originelles Kellergewölbe mit einer famosen Raumaufteilung: Die einzelnen