Der Säbeltänzer. Erhard Regener. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Erhard Regener
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754926758
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lange kennen, winkte freundlich, sagte "Hola" und schon war sie an ihnen vorbei. Atsche hielt es nicht mehr auf seinem Stuhl. Entgegen seiner angeborenen Scheu gegenüber dem anderen Geschlecht schnellte er hoch, riss die Tür ihres Verhaus auf und passte das Mädchen, Hecki im Nacken, gerade noch auf dem Flur ab.

      "Hallo, wer bist du denn?"

      "Ich heiße Rosana, ihr könnt auch Rosa zu mir sagen."

      "Ich heiße Richard, aber alle nennen mich nur Atsche."

      "Ja, das kann ich mir gut merken. Im Spanischen buchstabieren wir das 'H' wie 'atsche'.", Hecki drängte sich an Atsche vorbei.

      "Hallo Rosa, ich bin Hecki. In welcher Seminargruppe bist du denn?"

      "Ich bin in Seminargruppe 7."

      "Na, wenn das kein gutes Zeichen ist. Dann sind wir drei in derselben Seminargruppe. Was machst du heute noch?", kam Hecki gleich zur Sache.

      "Ich weiß nicht, ich kenne ja niemanden."

      "Wenn du weiter nichts vorhast, kannst du uns ein bisschen Gesellschaft leisten. Wir müssen noch bis zehn hier sitzen.", Hecki hatte Atsche wohl doch einiges voraus.

      "Ja, das wäre nett. Aber ich muss erstmal auf mein Zimmer, meine deutsche Zimmerkollegin kennenlernen. Vielleicht komme ich nachher bei euch vorbei. Also dann, chau.", sie winkte wie ein Schulkind und weg war sie. Die beiden Diensthabenden standen eine Weile wortlos nebeneinander und sahen auf die Ecke, hinter der Rosana eben verschwunden war, so als ob sie dort gleich wieder zum Vorschein kommen würde. Als Atsche wiedererwachte, fasste er Hecki bei beiden Schultern und schüttelte ihn:

      "Mann, hast du das gesehen? Das ist doch der Hammer!"

      "Die kommt heute nicht wieder."

      "Sie hat doch 'vielleicht' gesagt."

      "Dieses 'vielleicht' kenne ich. Mensch Junge, bleib ruhig. Wir sind in derselben Seminargruppe, die sehen wir jeden Tag."

      "Sag mal Hecki. Ich habe da eine eher philosophische Frage."

      "Oh fein. Ich gebe auch gern philosophische Antworten."

      "Glaubst du, hier fällt auch für einen Trottel wie mich etwas ab?"

      "Junge, bist du blind? Hast du nicht geschnallt, was hier vorbeigelaufen ist? Wir werden vögeln, was das Zeug hält."

      "Meinst du echt?"

      "Aber sicher. Und wir werden noch heute damit anfangen, gleich nach dem Dienst."

      "Wie soll das denn gehen?"

      "Ich habe für nachher eine Spontanfete auf meinem Zimmer organisiert."

      "Ey, sauber. Das nenn' ich mal Mitdenken."

      "Das sehe ich auch so. Na, ich denke, das ist ein würdiger Anlass, noch einen gehörigen Schluck zu nehmen.", der Würger wurde wieder hin- und hergereicht.

      "Ähm, ... , da wir gerade beim Thema sind: Wann war denn dein erstes Mal?"

      "Boah, das war überirdisch, mit vierzehn.", Hecki machte in der Erinnerung daran jetzt noch große Augen.

      "Mit vierzehn? Das gibt es nicht! In dem Alter habe ich gerade mal angefangen, mir einen runterzuholen - in der Badewanne."

      "Und wie lange ist es bei der Badewanne geblieben?"

      "Bis ich achtzehn war. Aber erzähl mal, wie war das bei dir?"

      "Im Ferienlager. Da war so'ne kleine süße Schnecke, weiß nicht, was die an mir gefressen hat. Jedenfalls waren nachmittags alle am Strand und wir beide hatten uns verabredet, Unwohlsein vorzutäuschen. Ich hätte im Leben nicht geglaubt, dass da wirklich was läuft, maximal ein bisschen küssen. Aber die Kleine war für ihr Alter schon, wie soll ich sagen, nicht unbeleckt. Lange Rede kurzer Sinn. Mit einem Mal lag ich drauf und die Post ging ab. Ich wusste gar nicht, wie mir geschah. Ich weiß nur noch, dass ich von Anfang an geschwitzt habe wie ein Schwein. Das war klasse."

      "Hast du ein Glück. Das hätte mir auch gefallen. Ich war einfach immer zu blöd."

      "Wie war denn nun dein erstes Mal?"

      "Wie gesagt, erst mit achtzehn. Feier im Internat. Die Feier war um halb zehn Schluss, Zapfenstreich war immer um zehn. Auf der Fete war eine Siebzehnjährige, die wollte angeblich noch was in Physik von mir erklärt haben, bevor Nachtruhe war. Wir beide auf mein Zimmer, da war nicht mehr viel mit Physik. Ich mache das Licht aus, da liegt sie schon im Bett. Ich rauf auf die Mutti, mir nur die Hose aufgeknöpft und ihr den Rock hochgeschoben. Da geht das Licht wieder an - Seppel, mein Mitbewohner kommt rein: 'Atsche, bist du verrückt. Die alte Hexe ist schon auf dem Flur'. Die 'Hexe' war die Internatsleiterin, die gleich alle Zimmer kontrollieren würde. Es wurde ein Wettlauf mit der Zeit. Seppel aufgepasst, wie weit die 'Hexe' ist, aus dem Zimmer rausgeguckt, reingeguckt: 'Beeil dich.', rausgeguckt, reingeguckt: 'Verdammt, nur noch zwei Zimmer.', ich rammele weiter, und das alles bei Festbeleuchtung. Dann ist mir endlich einer abgegangen. Wir beide sofort raus aus dem Bett, die Klamotten hochgezogen und gleich am Schreibtisch einen auf Physik lernen gespielt, total verschwitzt. Das war's, das war alles. Ich war dermaßen enttäuscht. Irgendwie hatte ich mir das epochaler vorgestellt. Dabei war es nicht viel anders als Wichsen, nur wärmer. Aber egal, jetzt war ich endlich ein Mann und konnte mitreden."

      "Und danach? Wann war das nächste Mal?"

      "In den Ferien habe ich gearbeitet."

      "Aber an den Wochenenden."

      "Habe ich meinen Jagdschein gemacht. Und dann kam die Armeezeit."

      "Aber bis zum Studium war ein halbes Jahr Zeit."

      "Habe ich wieder als Traktorist gearbeitet."

      "Doch nicht die ganze Woche."

      "In der Ernte wird auch an den Wochenenden gearbeitet, und wenn nicht ..., Mensch Hecki, ich wohne auf einem winzigen Dorf."

      "Also danach war gar nix mehr?", Atsche sparte sich die Antwort. Eine Stunde mussten sie noch überstehen. Da klopfte es an der Budentür und ohne das "Herein" abzuwarten, lugte doch tatsächlich das neugierige Gesicht von Rosana hinter der Tür vor.

      "Komm her Mädel. Willst du ein Bier?"

      "Ja, gerne.", das hatten sie nicht erwartet.

      "Wo kommst du her?"

      "Colombia."

      "Kolumbien also, aus Bogotá?", meist landet man mit der Hauptstadt einen Treffer.

      "Nein, aus Cartagena. Das liegt an der karibischen Küste."

      "Gabriel García Márquez?"

      "Hey, woher kennst du ihn?"

      "Ich kenne ihn natürlich nicht. Ich habe 'Hundert Jahre Einsamkeit' von ihm gelesen."

      "Ah ja, cien años de soledad. Ja, das ist sehr bekannt. Und wie fandest du es?"

      "Grottenlangweilig. Alle hatten die gleichen Namen und ein derartiges Durcheinander. Es war die reinste Qual."

      "Warum hast du es gelesen weiter?"

      "Ich lese jedes Buch, das ich einmal angefangen habe, bis zum Schluss."

      "Wirklich jedes?"

      "Sogar die Bibel."

      "Que masoquista!"

      "Sag mal, Rosa. Das ist ja irre, wie gut du Deutsch sprichst. Hast du das vorher in Kolumbien gelernt?"

      "Dios mio, ihr habt Vorstellungen!", lachte sie. "In Lateinamerika kann fast niemand eine Fremdsprache, nicht einmal Englisch. Wozu auch? Alle Nachbarländer sprechen Spanisch. Nein, die ausländischen Studenten, alle hier, mussten vorher ein Jahr auf das Herder-Institut in Leipzig. Ein Jahr lang Deutsch intensiv, jeden Tag, von morgens bis abends, auch samstags. Ich kann also nichts dafür. Aber bitte, nicht so schnell sprechen, ja? ", bettelte sie mit zusammengefalteten Händen.

      "Der Wahnsinn. Mal was anderes Rosa: Wie heißt du mit Nachnamen?", wollte Hecki wissen.