Bitte, gib nicht auf.. Denise Docekal. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Denise Docekal
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752923889
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nickte Richtung Straßenbahnhaltestelle.

      Ich nickte nur und folgte ihm. Während wir nebeneinanderher gingen, beobachtete ich die Menschen um uns herum.

      Etwas, was ich schon seit geraumer Zeit nicht mehr getan hatte. Die meisten schienen, als wären sie auf dem Weg zur Arbeit oder ebenfalls zur Uni. Aber es gab noch andere Menschen, wie zum Beispiel Väter, die mit dem Kinderwagen unterwegs waren, Omas, die wohl gerade ihren Wocheneinkauf erledigten und Jugendliche, die wohl oder übel gerade Schule schwänzten.

      „Wie geht’s dir eigentlich in der Vorlesung von der Weber? Ich habe bei ihr immer das Gefühl, am Ende noch dümmer zu sein als zu Beginn.“

      Über Adams Aussage musste ich kurz lachen. Und ich konnte ihm nur zustimmen: „Geht mir ähnlich. Ich habe beim letzten Mal recht schnell abgeschaltet.“, gab ich zu.

      „Und sonst? Wie gefällt dir das Seminar vom Böck?“

      Wir hatten ein Seminar mit einem Professor namens Böck? Verdammt, ich sollte mich auf der Uni wirklich besser konzentrieren.

      Ich räusperte mich: „Ähm, ist okay.“

      „Wirklich? Auf mich hast du das letzte Mal so gewirkt, als wärst du in einer völlig anderen Welt.“, Adams Blick ruhte auf mir.

      Ich grunzte – sehr undamenhaft: „Was wird das? Ein Spiel, in dem du mir zeigst, wie mies ich schon nach der ersten Woche auf der Uni bin?“

      „Nein.“, er schüttelte den Kopf: „Du hast auf mich einfach sehr abwesend gewirkt, ehrlich gesagt. Und in den meisten Veranstaltungen bin ich halbwegs gut mitgekommen. Wenn du willst, können wir gemeinsam lernen. Meine Mitschriften sind zwar meistens ein Chaos, aber immerhin vollständig.“

      Na toll.

      „Tu das nicht.“, murmelte ich, als wir in die Straßenbahn einstiegen.

      „Was soll ich nicht tun?“

      „Mich wie ein Opfer zu behandeln. Du musst kein Mitleid mit mir haben. Nur weil du weißt, was mit meinem Bruder passiert ist, heißt das noch lange nicht, dass du mich jetzt wie ein kleines, armes Mädchen behandeln musst.“

      Die Straßenbahn war mal wieder genauso voll wie jeden Morgen, weshalb Adam mir verdammt nahestand. Ich konnte ihn regelrecht riechen.

      „Mary.“, er räusperte sich, wodurch ich meinen Blick hob: „Ich behandle dich nicht wie ein Opfer. Ich weiß nur, wie es ist, sich für den Tod eines geliebten Menschen die Schuld zu geben. Ich weiß, wie sich das anfühlt und, dass man in solchen Moment Unterstützung braucht.“

      Ich sah Adam mit großen Augen an. Konnte kaum glauben, was er gerade gesagt hatte: „Ich gebe mir nicht die Schuld an seinem Tod.“, murmelte ich und schmeckte regelrecht das Bittere der Lüge auf meiner Zunge.

      „Doch, das tust du. Ich weiß, wie jemand aussieht, der sich die Schuld an so etwas gibt.“, Adam legte ganz sanft seine Hände auf meine Schultern und sah mir tief in die Augen: „Und du bist nicht schuld. Was auch immer mit Markus passiert ist – es war nicht deine Schuld.“

      Nun konnte ich den Augenkontakt nicht mehr halten und wich Adams Blick aus: „Du weißt nicht, was passiert ist.“

      „Stimmt. Ich habe keine Ahnung. Wenn du mit mir darüber reden willst, bin ich jederzeit für dich da. Und trotzdem weiß ich, dass du keine Schuld daran hattest.“

      Er kannte die Geschichte nicht.

      Er wusste nicht, dass ich etwas dafür tun hätte können, um Markus zu retten.

      Ich hatte die Möglichkeit dazu, habe sie aber nicht wahrgenommen.

      „Ich brauche keine Nachhilfe.“, war alles was ich noch sagte, bevor ich die Straßenbahn eine Station zu früh verließ. Den restlichen Weg ging ich lieber zu Fuß, als mir weiterhin die „unterstützenden Worte“ von Adam anhören zu müssen.

      Ich kam punktgenau in den Hörsaal. Die Vorlesung hatte noch nicht begonnen, aber bereits jetzt gab es keine freien Plätze mehr, weshalb die viele Studierende bereits einen unbequemen Bodenplatz eingenommen hatten. Ein Platz, auf den ich wirklich so gar keine Lust hatte.

      Verzweifelt sah ich mich nach einem letzten Restplatz um, ich würde mich neben den größten Freak setzen, wenn das bedeuten würde, dass ich nicht auf den harten Stufen verharren musste.

      Und meine Gebete wurden tatsächlich erhört. In einer der letzten Reihen entdeckte ich noch einen leeren Platz. Erleichtert atmete ich auf und zwängte mich durch die Reihen. Genervt seufzend und augenverdrehend standen die Studenten auf, um mich durchzulassen, aber ob sie angepisst wären oder nicht, war mir nun wirklich egal. Als ich endlich bei dem Platz angekommen war, ließ ich mich mit einem tiefen Seufzen darauf fallen. In dem Moment erkannte ich auch meinen Sitznachbar, und wollte am liebsten wieder fliehen.

      „Wieder da.“, Adam grinste mich an.

      Na klar, ich hatte vorhin nicht auf die Menschen geachtet, die neben dem freien Platz saßen, sondern nur den Stuhl im Blick gehabt.

      Ich wollte schon wieder aufstehen, da legte Adam mir eine Hand auf den Arm: „War ein Witz, ich habe ihn für dich freigehalten.“

      „Warum?“, verwirrt sah ich ihn an: „Wir konnten uns zwei Jahre lang auf den Tod nicht ausstehen. Und jetzt bleibst du über Nacht bei mir, weil ich eine idiotische Gehirnerschütterung hatte, richtest meine Wohnung ein und hältst mir verdammt noch Mal Plätze frei!“, meine Stimme wurde immer lauter, wodurch ich den einen oder anderen interessierten Blick auf mich zog. Sofort wurde ich in meinem Stuhl kleiner und hoffte, dass sich jeden Moment ein großes Loch unter mir auftun würde.

      „Ich habe dich nie nicht gemocht.“, Adam zuckte mit den Schultern: „Es hat einfach Spaß gemacht, dich zu provozieren. Unsere Auseinandersetzungen fand ich ehrlich gesagt wirklich witzig und es war eine nette Abwechslung und überaus erfrischend.“

      Eine nette Abwechslung?

      Überaus erfrischend?

      Wollte der Kerl mich verarschen?

      Schon wieder wollte ich aufstehen, um mir einen neuen Platz zu suchen – notfalls auch gern am Boden – aber da fing die Dozentin bereits mit der Vorlesung an. Jetzt konnte ich wohl kaum aufstehen, ohne die gesamte Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen.

      Da ich mich mal wieder überhaupt nicht auf den Inhalt der Vorlesung konzentrieren konnte, fing ich bald an, in meinem Block herumzukritzeln. Malen und zeichnen hatte mich schon immer beruhigt, obwohl meine geheime Leidenschaft früher beim Schreiben gelegen war. Da ich Bücher und Lesen über alles liebte, hatte es nicht lang gedauert, bis ich selbst eines Tages die Feder in die Hand nahm und Worte zu Papier brachte. Seitdem ich eine Jugendliche war, habe ich es geliebt zu schreiben. Ich konnte Stunden damit verbringen, Geschichten über fiktive Figuren zu erfinden und sie die verrücktesten Abenteuer erleben lassen. Natürlich waren meine anfänglichen Werke miserabel, aber ich hatte das Gefühl, dass ich besser wurde. Bis ich vor sechs Monaten damit aufgehört hatte. Es fühlte sich falsch an. Früher habe ich meine Texte immer von Markus lesen lassen. Wenn er mir sagte, dass sie gut wären, war ich auch davon überzeugt. Wenn er mir riet, dass ich sie nochmal überarbeiten sollte, dann wusste ich, dass ich noch viel Arbeit reinstecken müsste.

      Ich wollte sogar Journalistin werden, damit ich täglich schreiben konnte. Natürlich würde ich dann keine fiktiven Geschichten zu Papier bringen, sondern wahre Begebenheiten. Aber da ich schon immer sehr interessiert war an Kultur und Politik, war das für mich ein guter Kompromiss.

      Aber nicht mal dazu hatte ich mich in den letzten sechs Monaten durchringen können. Ich hatte im vergangenen halben Jahr nicht einmal eine Zeitung geöffnet.

      Mein Lebenstraum war gemeinsam mit Markus gestorben.

      Deshalb zeichnete ich heute lieber. Schreiben tat mir zu sehr weh.

      „Nett.“, kommentierte Adam meine Kritzeleien nach einiger Zeit: „Bin das etwa ich?“

      Es war mir gar nicht aufgefallen,