Abgelenkt. Adam Wutkowski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Adam Wutkowski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738020281
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«Weißt du, wie spät es ist?»

      «Zehn nach fünf.»

      «Was. So spät schon? Oh nein.» sage ich in gespieltem Ton. «Ich muss leider gleich nach Hause. Die Deutsch-Hausaufgaben, wenn du verstehst, was ich meine.» antworte ich auf einer bedauernden Art und Weise.

      «Aber die müssen wir erst Donnerstag vorzeigen!» erwidert Johannes verdutzt.

      Wir haben Hausaufgaben auf? So ein Mist! «Jaaaa.» erwidere ich, verzweifelt nach einer Ausrede in meinem Kopf suchend. «Da hast du Recht. Aber mein Vater will, dass ich ihn morgen zum Einkaufen begleite.» erwidere ich und ärgere mich im selben Moment über die schlechte Ausrede.

      «Wobei sollst du ihm da behilflich sein?» fragt Johannes verwundert.

      «Ehrlich. Ich weiß es selber nicht. Aber weißt du was, ich hab irgendwann einfach aufgehört, bei meinem Vater nach dem Sinn für seine Pläne zu fragen! Das erspart viel Zeit und lästige Diskussionen. So!» gebe ich bestimmt von mir und erhebe mich vom Stuhl. «Jetzt muss ich aber los.»

      «Ah, bevor ich es vergesse.» sagt Johannes, an der Haustür angekommen. «Ich habe heute in einer Zeitschrift für Computerspiele gelesen, dass nächsten Monat zwei richtig gute Spiele auf den Markt kommen sollen. „Die 6 Armada“ ein Flugsimulationsspiel und „Die dunklen Tore von Hall“ ein Rollenspiel. Beide erhielten eine ausgezeichnete Rezession in den Vorabtests.»

      «Wirklich. Das ist ja super. Kannst du die Zeitschrift morgen zur Schule mitbringen, dann kann ich mir im Unterricht die Artikel zu den Spielen durchlesen.»

      «Ich kann dir die Zeitschrift auch jetzt mitgeben, wenn du willst?»

      «Nee Du. Lass mal. Heute schaffe ich es sowieso nicht mehr, mir die Zeitung anzuschauen. Bring sie einfach morgen mit.»

      «Wie du willst.» erwidert Johannes und fügt nach einem Moment hinzu. «Das Spiel, das wir grade gespielt haben. Ich werde es abspeichern, so dass wir es ein anderes Mal zu Ende spielen können.»

      «Mach das.» sage ich wohlwissend, dass ich mich hüten werde, dieses Spiel mit Johannes noch einmal zu spielen.

      Im Supermarkt um die Ecke stehen verschiedene Computerspiele zum Verkauf, darunter „Der Strategische Krieg“ für den Preis von 10 Mark. Genauso wie Johannes sagte.

      Vor der Haustür zu der Wohnung meiner Eltern verstecke ich das Spiel unter dem Pullover und öffne erst dann die Haustür. Kaum dass die Tür auf ist, da raunt auch schon die Stimme meines Vaters durch die Wohnung, «Sven, komm bitte her!»

      Dieser Ton verheißt nichts Gutes. «Ja, ich komme sofort.» erwidere ich höflich.

      Doch zuerst haste ich in mein Zimmer und verstecke das Spiel in meinem Kleiderschrank. Anschließend mache ich mich auf in das Wohnzimmer. Dort angekommen, sehe ich neben meinem Vater, meine Mutter sitzen und mich mit ernster Miene beäugen.

      «Was ist los mit dir?» richtet mein Vater ohne Wenn und Aber das Wort an mich. «Du hast deine Mutter heute angefahren, als sie dir das Telefon gebracht hat. Was sollte das? Hast du kein Benehmen! Verhalten wir uns jetzt wie irgendwelche Wilden?»

      «Ach, Papa. Du kennst doch Mama. Sie schaukelt sich gern in etwas herein. Das Ganze war gar nicht so, wie Mama das darstellt. Zugegeben, ich war grade in dem Moment, als Mama in das Zimmer herein kam, etwas aufgebracht. Aber ich war nicht auf Mama wütend, sondern auf den Computer. Mama hat das fälschlicherweise auf sich bezogen.» antworte ich und hoffe, damit die Sache im Keim zu ersticken, bevor die ganze Sache mehr Zeit in Anspruch nimmt als nötig. Schließlich war der Tag heute stressig genug. Auch ohne meine Eltern.

      «Das ich nicht lache!» gibt meine Mutter, unglaubwürdig lächelnd zurück. «Du hast mich Wut entbrannt mit zugekniffenen Augen beäugt und angeschrien. Du hast keine Sekunde lang dabei den Computer angeblickt, sondern nur mich. Und so hast du dich auch am Telefon aufgeführt. Schroff und abweisend. Du hättest dich sehen sollen. So geht das nicht. Was ist in letzter Zeit mit dir los? Du gehst nur noch selten raus, sitzt den ganzen Tag vor dem Computer und spielst deine dummen Spiele bis spät in die Nacht.»

      Das sind keine dummen Spiele. Du hast doch keine Ahnung. Wieso urteilen Menschen über etwas, dass sie nicht verstehen. Langsam spüre ich, wie die Wut in mir aufsteigt. Mit letzter Willenskraft schaffe ich es noch, mich zu beherrschen. Eine Konfrontation würde nur zu einem langen sinnlosen Gespräch führen. Und das hätte wiederum zufolge, dass ich noch später zum Spielen kommen würde, als ohnehin schon. Es bleibt also, nur noch eins zu tun. Mundhalten und abwarten.

      «Wie stellst du dir das vor? Wie soll es hier weiter gehen mit dir?» bringt sich mein Vater wieder ins Gespräch. «Du selbst merkst es vielleicht nicht, aber du hast dich verändert. Wie deine Mutter bereits sagte, du gehst nur noch selten raus. Schottest dich in deinem Zimmer ab und verbringst den ganzen Tag entweder vor dem Computer oder vor dem Fernseher. Stellst du dir etwa so deine Zukunft vor?» fragt er und starrt mich erneut an. «Apropos Zukunft. Deiner Mutter und mir ist aufgefallen, dass wir schon lange nicht mehr gesehen haben, wie du Hausaufgaben machst. Gibt es an eurer Schule keine Hausaufgaben mehr?»

      Nicht das Thema schon wieder. «Das habe ich Mama heute Mittag bereits versucht, zu erklären. Wir haben in der letzten Zeit einfach keine Hausaufgaben aufbekommen. Da kann ich doch nichts für, oder?» erwidere ich, mir eines anderen Sachverhaltes bewusst werdend.

      Schließlich bin ich in den letzten ein oder zwei Malen durch nicht gemachte Hausaufgaben in der Schule aufgefallen. Das wiederum war aber einfach nur doof gelaufen. Blöder Zufall. Sonst hatte ich immer meine Hausaufgaben gemacht. Aber das erwähne ich an dieser Stelle lieber nicht und fahre statt dessen fort, die Sache schnell zu Ende zu bringen. «Momentan sind nicht viele Jugendliche draußen unterwegs. Und jene die draußen sind, die öden mich an. Es macht also momentan keinen Sinn für mich hinauszugehen, um draußen zu spielen.»

      «Ach, so ist das also. Die Menschen draußen auf der Straße öden dich an.» sagt mein Vater in einem gehässigen Ton und fährt fort. «Wer ödet dich noch so an? Wir vielleicht oder die Schule?»

      Als ich in deinem Alter war, höre ich plötzlich eine Stimme in meinem Kopf erklingen, und höre so gleich meinen Vater, wie so oft, dieselbe Geschichte vortragen. «Als ich in deinem Alter war, musste ich Verantwortung tragen, Geld verdienen. Wir hatten es nicht so gut wie du! Genug zu Essen, Kleidung und all die Annehmlichkeiten, die du in deinem Leben hast. Ich habe damals Modelle zusammengebaut, Fahrräder aus alten Fahrrädern zusammengebaut und sie immer wieder geflickt. Das Geld für alles musste ich selbst erarbeiten, z.B. durch Flaschen und Schrott sammeln und verkaufen. Und du? Du bekommst von uns Taschengeld und hast sonst nicht viel im Haushalt zu tun. Aber selbst mit diesen wenigen Aufgaben bist du überfordert.»

      «Und Respekt hat er überhaupt keinen mehr. Für niemanden.» fügt meine Mutter eilig hinzu, während mein Vater grade Luft holt.

      «Ja.» fügt mein Vater, leicht aus dem Konzept gebracht, hinzu. «Und wie stellst du dir eigentlich deine Zukunft vor? Ich meine deine richtige Zukunft! Dein letztes Zeugnis spiegelte nicht grade den Klassenprimus wieder! Um auf dem Bau schwer zu arbeiten, braucht man kein Grips. Das habe ich dir schon oft genug gesagt. Willst du denn wirklich körperlich schwer in deinem Leben arbeiten, genauso wie ich?» beendet er sein Monolog, mit der Erwartungshaltung eine Antwort von mir zu bekommen.

      Mann! Lass mich doch in Ruhe! Kommt Zeit, kommt Rat. Es wird sich schon was finden. Erst einmal muss das erste Halbjahr der 7ten Klasse zu Ende gehen. Danach sehen wir weiter. Ich habe noch genug Zeit.

      Die Antwort im Mund zurechtlegend, grade zu einer Antwort ansetzend, nehme ich wahr, wie mein Vater die Fernbedienung in die Hand nimmt und von neuem anfängt zu sprechen.

      «Du musst dich langsam entscheiden. Deine Mutter und ich können nicht ewig Entscheidungen für dich treffen. Mir ist es persönlich egal, ob du nachher schwer arbeitest oder auch nicht. Denn du musst später die Konsequenzen tragen. Aber komm dann nicht bei mir an und beschwere dich über dein Los. Ich habe es dir ja schon oft genug gesagt. Nicht nur heute, sondern auch schon mehrmals zuvor. Wer nicht lernen will, der muss später hart in seinem Leben arbeiten und von anderen