«Sorry, Mama. Aber ich würde gern noch etwas Computer spielen, bevor ich mich nachher mit Johannes treffe. Deswegen muss ich mich jetzt beeilen.»
«Sag mal, Sven! Habt ihr keine Hausaufgaben für die Schule zu machen?»
«Nein!» erwidere ich knapp und hoffe, dass die Sache damit erledigt ist. Aber die Rechnung habe ich ohne meine Mutter gemacht.
«Was ist das für eine Schule, in der ihr nie Hausaufgaben aufbekommt?» hakt meine Mutter nach.
«Ja. Äh. Keine Ahnung. Das ist halt so.» sage ich, wobei mir gleichzeitig auffällt, dass ich überhaupt nicht weiß, ob wir Hausaufgaben nun aufhaben oder nicht.
Um der mühsamen Unterhaltung ein Ende zu bereiten, lege ich schließlich Messer und Gabel hin, stehe auf und sage, «So, Mama. Danke fürs Essen. Aber ich muss jetzt weiter.»
Nachdem der Computer endlich die Mission gestartet hat und ich mich wieder in der gleichen Position befinde wie gestern Abend, fühle ich endlich Entspannung meinen Körper durchströmen.
Der Hubschrauber nährt sich seinem Bestimmungsort. Die Zielvorrichtung des Scharfschützengewehrs visiert die Tür des Gebäudes an, in dem sich die Zielperson befindet. Gleich bist du fällig. Der Finger am Abzug…
Doch genauso wie gestern geht die Tür auf und meine Mutter tritt in den Türrahmen.
«Mann!» sage ich gereizt und schaue meine Mutter an, «Was willst du denn schon wieder!».
«Aber Hallo.» erwidert meine Mutter, wie vor den Kopf gestoßen, während Wut und Ärger meine Gefühlswelt übernehmen. «Nun beruhige dich erstmal. Was ist los mit dir? Hier ist ein Telefonat für dich!» sagt sie und reicht mir den Telefonhörer.
Wer nervt denn jetzt wieder?
Den Hörer am Ohr haltend, werfe ich meiner Mutter einen verärgerten Blick hinterher und sehe, wie sie sich in Richtung des Wohnzimmers aufmacht. Auf ihrem Weg macht sie ihrem Ärger Luft und brabbelt ein wenig vor sich hin. Außer den Bruchstücken „so kann man sich doch nicht benehmen“ und „es wird Zeit, dass sein Vater mit ihm ein Wörtchen spricht“ lässt sich nichts Sinnvolles aus dem ganzen Gefasel heraushören.
Egal. Soll sie doch reden, mit wem sie will.
«Ja!» erwidere ich gereizt in den Telefonhörer hinein.
«Hallo Sven! Hier ist Sebastian.» sagt die Stimme an der anderen Seite der Leitung.
Oh nein, was will der schon wieder?
«Ich wollte fragen, ob du Lust hast, mit mir rüber zum Fußballplatz zu fahren, um ein wenig Fußball zu spielen.» beendet dieser seinen Satz.
«Nee, du. Also ehrlich. Momentan passt es mir gar nicht. Aber vielleicht morgen!» erwidere ich und hoffe inständig, Sebastian so schneller loszuwerden.
«Oh! OK. Dann vielleicht morgen. Falls du es dir doch anders überlegst, dann kannst du jederzeit zum Fußballplatz kommen.» seufzt Sebastian traurig in den Hörer hinein.
«Ja, das mach ich. Also, dann. Bis morgen.» schließe ich das Gespräch ab und lege den Telefonhörer zur Seite, noch bevor Sebastian etwas sagen kann.
Nerv doch jemand anderen!
Also, jetzt noch einmal von vorne. Ein Blick auf die Uhr zeigt 12:00 Uhr. Gut. Noch drei Stunden bis zu der Verabredung mit Johannes. Der Hubschrauber fliegt wieder sein Ziel an….
Zwei Missionen später zeigt die Uhr auf halb drei. Bis zur Verabredung sind es also noch 30 Minuten, die es sinnvoll zu füllen gibt. Ein Blick auf den Bildschirm lässt den Handlungsstrang der nächsten Mission erahnen:
Ein Konvoi aus vier Fahrzeugen…. Bla bla bla. Muss sein Ziel erreichen. Bla bla bla. Sorgen Sie dafür, dass dieser Konvoi unbeschadet seinen Bestimmungsort erreicht. Bla bla bla. Sie sind der MG-Schütze…
Nach dieser kurzen Zusammenfassung ist die Vorfreude auf die nächste Mission so groß, dass ich mich kurzerhand entschließe, noch eine Mission zu spielen, ohne mir über die Spieldauer weitere Gedanken zu machen.
Gegen halb vier klingle ich schließlich an der Haustür von Johannes.
«Da bist du ja endlich. Was hat dich so lange aufgehalten?» fragt dieser, im Türrahmen stehend.
«Ach, meine Eltern wollten noch einmal mit mir über die Schule reden. Nichts Wichtiges!», wiegle ich ab und überlege mir eine Frage, um von dem Thema abzulenken. «Und wie ist das Spiel?».
«Super. Hab grade einen meiner Feinde niedergestreckt. Das Spiel basiert auf einem Rundensystem, d.h. du kannst dir während deines Zugs Zeit nehmen, um deinen nächsten Zug zu planen. Aber komm rein und sieh es dir doch selbst an.» sagt Johannes und macht die Tür für mich frei. Im Zimmer angekommen, setzen wir uns auf die beiden Stühle neben dem Computer.
«Das ist das Spiel.» sagt Johannes und weist auf den Bildschirm des Computers.
Die Grafik des Spiels ist nicht unbedingt auf dem neusten Stand der Technik, aber sie ist auch nicht so schlecht, dass man sich von vornherein mit dem Spiel nicht weiter auseinandersetzen möchte.
Nach diesem ersten Eindruck setzt sich Johannes zu mir und beginnt, das Spiel im Detail zu erläutern.
«Es ist also ein Strategiespiel.» gebe ich begeistert, auf den Bildschirm schauend, von mir. «Du sagtest, dass man das Spiel mit mehreren Personen gleichzeitig spielen kann. Wollen wir vielleicht ein neues Spiel starten, in dem wir zusammen gegen den Computer spielen?»
«Aber sicher.» erwidert Johannes. «Warte. Ich speichere nur schnell einmal ab.»
Während Johannes sein eigenes Spiel absichert und anschließend ein neues Spiel startet, sagt er: «Sebastian hat vorhin angerufen.»
«Ach, ja.» erwidere ich, immer noch auf den Bildschirm schauend. «Und was wollte er?»
«Er fragte, ob ich nicht Lust hätte, Fußball zu spielen?» antwortet Johannes.
«Und was hast du ihm geantwortet?»
«Nun. Ich teilte ihm mit, dass ich keine Lust hätte, Fußball zu spielen. Außerdem sei das Wetter nicht so gut, sagte ich weiter, um ihn abzuwimmeln.» antwortet Johannes. Dreht sich im nächsten Augenblick um und fügt mit einem spöttischen Lächeln hinzu: «Fußball spielen! Wer hat schon Lust raus zu gehen? Außerdem spielen nur noch die Asozialen draußen! So. Das Spiel ist geladen. Du bist dran.» sagt Johannes und schiebt mir die Maus zu, «Such dir dein Königreich aus, mit dem du spielen möchtest. Ich geh uns noch eine Packung Chips holen.»
«Ja, ist gut.» antworte ich und widme mich dem Spiel.
Acht Spielrunden später sind Johannes und ich voll in das Spiel vertieft. Neben dem strategischen Geschick, sind Planung und Logistik die entscheidenden Faktoren, um seinen Gegner zur Strecke zu bringen. Das Einzige, was an dem Spiel stört, ist Johannes. Die Durchführung eines jeden einzelnen Zugs von Johannes nimmt unheimlich viel Zeit in Anspruch. Jedes Mal, wenn dieser am Zug ist, verspüre ich eine gewisse Gereiztheit in mir aufsteigen. Wenn ich bloß das Spiel hätte, dann könnte ich noch gezielter, noch schneller meinen Sieg erringen. «Wo hat dein Vater das Spiel gekauft?» frage ich schließlich genervt Johannes, während dieser sich zum x-ten Mal ein und dieselbe Burg anschaut.
«Das Spiel gibt es im Supermarkt, hier bei uns um die Ecke. Sogar im Angebot. Mein Vater erwähnte etwas von 10 Mark, wenn ich mich recht erinnere.»
10 Mark! Das Geld liegt noch bei mir zu Hause. Es steht also nichts im Wege, das Spiel zu kaufen. Moment. Meine Mutter hat mir doch Geld gegeben, bevor ich das Haus verließ, damit ich Brot kaufen kann. Anstatt das Brot zu kaufen, kann ich gleich zum Supermarkt gehen und das Spiel holen. Und falls jemand zu Hause fragt, wo das Brot ist, dann behaupte ich einfach, dass es ausverkauft war.
Dann kann ich endlich in Ruhe, ohne das Johannes dazwischen funkt, entspannt spielen. Jetzt muss ich aber hier erst einmal wegkommen.
«Du bist am