Abgelenkt. Adam Wutkowski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Adam Wutkowski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738020281
Скачать книгу
eine Freude hat mich damals ergriffen, als ich zu Weihnachten mein großes Lego-Raumschiff erhalten habe. Sechs Monate lang, Monat für Monat, habe ich mein Taschengeld zur Seite gelegt, während alle anderen nach Belieben über ihr Taschengeld verfügten. Oft musste ich mir die Fragen gefallen lassen, wieso ich mir den nichts gönne. Selbst bei so Kleinigkeiten wie einer Dose Limonade. Aber am Ende waren all diese Entbehrungen nicht mehr von Bedeutung. Mit meinem Ersparten und dem Teil, den meine Eltern zugelegt haben, wurde mein Wunsch verwirklicht. Unzählige Stunden verbrachte ich mit dem Lego. Neue Raumschiffe und Raumstationen wurden nach Belieben zusammengesetzt und wieder auseinander genommen. Oft kam auch Sebastian vorbei und wir spielten Szenarien durch, die unserer Fantasie entsprungen waren.

      Es ist aber schon lange her, seitdem ich das letzte Mal mit ihm gespielt habe. Genauer gesagt ein Jahr. Kurz bevor ich meinen Computer bekommen habe. Schade, denn im Endeffekt hatte ich eine wirklich gute Zeit mit dem Lego und Sebastian. Vielleicht sollte ich mal wieder Sebastian fragen, ob er nicht Zeit und Lust hätte, eine Runde Lego zu spielen.

      Grade als ich noch in Gedanken versunken bin, erblicke ich eine Ecke eines Kartons unter dem Bett. Von der Neugier gepackt, ziehe ich den Karton unter dem Bett hervor. Zum Vorschein kommt das Gesellschaftsspiel „Die Helden von Umbar“.

      Was für ein Spiel. Johannes, Frank, Sebastian und ich. Zusammen erlebten wir heldenhafte Kämpfe an unserem Esstisch. Aber auch das ist schon etwas länger her. Das Titelbild des Verpackungskartons stellt einen mächtigen Kämpfer dar, bewaffnet mit einem großen Breitschwert. Im Hintergrund stehen kampfbereit mehrere Orks, Zombies und andere Monster, die es zu besiegen gilt. Das Spiel hat schon seine Jahre und auch das Titelbild scheint seine ursprüngliche Farbstärke verloren zu haben. Beim Drüber wischen mit der Handfläche stelle ich jedoch zu meiner Freude fest, dass das Titelbild nicht verblasst ist. Es war bloß getrübt von dem Staub, der sich mit der Zeit draufgelegt hat.

      Die eben gewonnene Erkenntnis löst ein zufriedenes Gefühl in mir aus. Auch für dieses Spiel musste ich mehrere Monate sparen. Aber auch hier überwiegte am Ende die Freude über die Entbehrungen im Vorfeld.

      «Telefon für dich.» sagt meine Mutter, die wie aus dem Nichts in der Tür erscheint und mich aus meiner Erinnerung reißt.

      «Danke.» erwidere ich und nehme das Telefon entgegen. «Sven Lassen am Apparat.»

      «Hey Sven, hier ist Sebastian. Na alles klar bei dir? » fragt dieser.

      «Hey Sebastian. Ja. Danke der Nachfrage. Ich muss zugeben, dass ich grade an dich gedacht habe. Ich habe nämlich vor ein paar Minuten das Spiel „Die Helden von Umber“ zufällig unter meinem Bett entdeckt und da musste ich an unsere Spielabende denken. Als Johannes, Frank, du und ich uns gemeinsam heldenhaft in den Kampf gestürzt haben. Kannst du dich noch daran erinnern?»

      «Aber ja, natürlich.» antwortet Sebastian. «Das waren wirklich schöne Zeiten. Ich habe dich und die anderen beiden mehrmals in der Schule angesprochen, ob ihr nicht wieder Lust hättet, das Spiel zu spielen. Ihr habt mir zwar zu verstehen gegeben, dass ihr ebenfalls Interesse hättet und gerne mal wieder euch auf ein Kampf einlassen würdet, aber danach geschah einfach nichts mehr. Irgendwann hatte ich aber dann keine Lust mehr, euch zu fragen und ließ dann schließlich die Sache auf sich beruhen.»

      «Hast du uns wirklich gefragt?» frage ich Sebastian, mich selbst dieses Sachverhaltes nicht mehr bewusst werdend.

      «Mehrmals. Ist jetzt aber auch egal.» wiegelt Sebastian ab und fährt fort. «Du, weswegen ich aber anrufe. Heute Abend läuft eine Sportsendung auf dem Privatsender MTL. Könntest du sie mir aufnehmen und morgen zur Schule mitbringen? »

      «Aber ja. Kein Problem. Wann fängt sie an?» frage ich.

      «Viertel nach acht.» gibt mir Sebastian zu verstehen.

      «Ist kein Problem. Mach ich. Aber erzähl doch mal, wie geht es dir? »

      «Soweit so gut. Ich war heut mit Tim und Hauke Basketball spielen, unten auf dem Schulsportplatz. In den Pausen zwischen den Spielen kamen wir etwas ins Gespräch und da haben Tim und Hauke sich nach dir erkundigt. Beide fanden es schade, dass du in der letzten Zeit nicht mehr draußen anzutreffen bist. Ansonsten wollten sie wissen, wie es dir sonst so geht.»

      «Oh, das ist ja nett. Ich muss zugeben, ich habe die beiden auch schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen.»

      «Ich habe mich mit ihnen am Samstag auf dem Basketballplatz verabredet. Wenn du Lust hast, kannst du uns gern begleiten.» schlägt Sebastian vor.

      «Das ist eine gute Idee.» sage ich. «Samstag passt mir auch sehr gut. Halten wir uns diesen dann frei. So. Jetzt muss ich aber den Videorekorder vorbereiten, damit ich die Sendung aufnehmen kann. Also genieß den Abend und wir sehen uns morgen in der Schule.»

      Nachdem sich Sebastian verabschiedet hat, gehe ich herüber ins Wohnzimmer zu dem Videorekorder, um diesen zu programmieren. Im Wohnzimmer sitzen meine Eltern nebeneinander auf dem Sofa und schauen sich das Abendprogramm im Fernseher an. Nachdem die nötigen Einstellungen für die Aufnahme getroffen sind, entscheide ich mich noch aus dem Schrank im Wohnzimmer etwas Süßes für den späteren Abend mitzunehmen.

      «Du könntest auch einen Apfel oder eine Birne essen. Da sind wertvolle Vitamine drin.» bemerkt meine Mutter, während ich eine Tafel Schokolade aus dem Schrank nehme.

      «Ich bin doch kein Kaninchen.» erwidere ich und frage im Gegenzug. «Außerdem. Seit wann interessieren dich Vitamine?»

      «Ich sorge mich halt um dich und mir ist es wichtig, dass du dich gesund ernährst. » antwortet sie.

      «Wenn du so an einer gesunden Ernährung interessiert bist, dann mach doch nicht jeden Tag Fleisch zum Essen und koch nicht immer alles auf Schmalz! Wir haben erst kürzlich in der Schule die Folgen der industriellen Fleischerzeugung behandelt und haben dabei gelernt, dass diese erhebliche Folgen für die Umwelt und unsere Gesundheit haben. Wenn dir also so unsere Gesundheit am Herzen liegt, solltest du vielleicht öfters vegetarisch kochen.»

      «Oh. Professor Neunmalklug hat sich wieder gemeldet.» höre ich meinen Vater spotten. «Du wirst noch froh sein, so eine Frau wie deine Mutter zu Hause zu haben, die dir noch vernünftig kocht und nicht diesen Fastfood Mist vor die Nase setzt. Außerdem ist Fleisch gut. Jeder der hart arbeitet, muss viel davon essen. Und seit wann hast du so ein Umweltbewusstsein. Fängst du jetzt an wie die Kornfresser. Das sind doch alles Querulanten! Hast du schon gesehen, wie teuer der Sprit geworden ist wegen dieser Sorte von Menschen? Bald kann sich doch kein einfacher Bürger mehr leisten, mit dem Auto zu fahren.»

      «Ist doch für unsere Umwelt.» sage ich und wundere mich über meine Worte. Denn eigentlich habe ich keine wirkliche Meinung zu diesem Thema.

      «Ich habe einen Katalysator in meinem Auto. Sollen erst die, die keinen haben, dazu verdonnert werden, sich einen einzubauen.» antwortet dieser mit einer merklich erhöhten Stimme.

      «Nun reg dich doch nicht auf. Wir reden doch nur.» versucht meine Mutter, die Situation zu beschwichtigen.

      «Ach.» bricht es aus meinem Vater heraus. «So ein dummes Gerede kann ich einfach nicht mehr hören. Immer hat er etwas zu meckern. Er sollte froh sein, dass er überhaupt was zu Essen hat. Und was lernt ihr eigentlich heutzutage in der Schule. Habt ihr noch solche Fächer wie Mathematik, Deutsch und Physik? Das sind Fächer, mit denen ihr euch auseinander setzen solltet und nicht irgendetwas über Tierhaltung. 40 Jahre war alles gut und nun soll alles plötzlich schlecht sein? Das verstehe ich nicht. In welchem Fach lernt ihr nur so einen Mist? Was ist das für ein Lehrer? Bestimmt so ein Kornfresser! Oder? Die sollte man alle einsperren mit dem Rest der Verrückten auf dieser Welt!»

      «Ach Bernd. Nun rede doch nicht so einen Unsinn.» sagt meine Mutter, womit sie die volle Aufmerksamkeit meines Vaters auf sich zieht.

      Die Gunst der Stunde nutzend, nehme ich meine Schokolade in die Hand und verschwinde in meinem Zimmer. In meiner kleinen Welt ankommend, setze ich mich gemütlich auf das Sofa und nehme einen herzhaften Bissen von der Schokolade, während ich mit der rechten Hand den Fernseher anschalte. Die öffentlichen Kanäle wie immer ignorierend, schalte ich auf die privaten Sender