Grade als ich dabei bin, meine Mission erfolgreich abzuschließen, geht die Tür zu meinem Zimmer auf und reißt mich aus meinem Einsatz heraus. Aus der Dunkelheit des Flurs tritt meine Mutter in ihrem gestreiften Pyjama in mein Zimmer. Sichtlich überrascht, mich vor dem Computer zu sehen, richtet sie schließlich das Wort an mich: «Wieso bist du noch wach? Es ist kurz vor 1 Uhr nachts! Du musst doch morgen zur Schule. Mach den Computer sofort aus und geh ins Bett!» befehlt sie.
Von einem Augenblick auf den anderen ändert sich plötzlich meine Gefühlswelt. Unvermittelt baut sich Zorn und Wut auf und beginnt, die Kontrolle über mein Handeln zu übernehmen. Mit letzter Willensanstrengung gelingt es mir jedoch, noch einmal ruhig zu bleiben.
Immer kommt sie zur falschen Zeit in mein Zimmer. Fast will ich...
Aber da! Aus heiterem Himmel wird mir bewusst, dass ich bereits seit 18:00 Uhr, seitdem das alltägliche langweilige Abendessen sein Ende nahm, am Computer sitze. Ich war so vertieft, dass ich nicht bemerkt habe, wie die Zeit an mir vorbei ging. Doch noch bevor ich dieser Tatsache weiter Aufmerksamkeit schenken kann, fordert wieder etwas meine Aufmerksamkeit und bringt meine schwer gewonnene Beherrschung wieder zum Bröckeln. Die Mission scheiterte aufgrund meiner Mutter.
«Na super!» höre ich mich in Richtung Computer sagen und schau enttäuscht zu Boden.
Da meine Mutter immer noch keine Anstalten macht, aus meinem Zimmer zu verschwinden, füge ich mich meinem Schicksal, mache verärgert den Computer aus und lege mich ins Bett. Im Dunkel liegend, kreisen meine Gedanken um die Mission. Noch einmal erscheint die Zielperson vor meinem inneren Auge. «Morgen hat dein letztes Stündlein geschlagen.» sage ich leise in die Dunkelheit meines Zimmers hinein. Ich will nach Möglichkeit die volle Punktzahl für die Mission erhalten. Denn ich weiß, ich bin gut. Und ein Blick auf die Punktetafel beweist es mir auch.
Meine Schulkameraden hatten wirklich Recht! Die neue Grafik und Steuerung verschaffen der Umgebung und den Personen soviel Agilität, dass sie schon fast real wirken. Ach. Was für ein Glück habe ich doch, in dieser Zeit leben zu können!
7:00 Uhr. Der Wecker klingelt. Die Müdigkeit steckt in jedem Winkel meines Körpers. Es fällt mir schwer, mich aufzuraffen. Wieder zur Schule zu müssen. Wie Schrecklich! Wer hat sich bloß die Schule ausgedacht? Na ja. Das einzig Gute an dem heutigen Schultag ist die Tatsache, dass diese nur aus zwei Schulstunden besteht und das bedeutet mehr Zeit zum Spielen.
«Und dieses Mal wird mich keiner aufhalten!» sage ich in mein Zimmer hinein, in Gedanken an den gestrigen Abend.
Immer noch nicht ganz bei Bewusstsein füge ich mich meinem Schicksal, stehe auf und vollführe dieselben morgendlichen Rituale wie immer. Nachdem das, von wenig Aufregung begleitete, morgendliche Frühstück schließlich zu Ende geht, stehe ich vom Tisch auf, nehme das Pausenbrot in die eine Hand, die Schultasche in die andere, öffne die Haustür und mache mich auf den Schulweg.
«Hey Sven.» begrüßt mich, wie jeden Morgen, Johannes auf dem Weg zur Schule.
«Hey Johannes! Du hör mal. Ich hatte gestern wieder etwas Zeit gehabt, „Die Helden des Krieges“ zu spielen. Das Spiel ist ja so was von cool und so authentisch. Ich bin bereits bei der neunten Mission angelangt. Hätte diese auch erfolgreich beendet, wenn nicht meine Mutter in mein Zimmer rein gekommen wäre und mich genervt hätte, von wegen dass ich endlich schlafen gehen soll. Aber Schwamm drüber.» winke ich mit meiner rechten Hand ab und fahre fort. «Aber sag! Bei welcher Mission bist du grade?».
«Ich bin erst bei der Fünften. Hatte gestern nicht so viel Zeit zum Spielen. Mein Vater musste am Computer arbeiten. Ich war wirklich stinksauer, als er mir mitteilte, dass er selbst den Computer braucht, um zu arbeiten. Mein Ärger verflog aber, als ich sah, dass er mir ein neues Spiel vom Supermarkt mitgebracht hatte. „Der Strategische Krieg“ nennt sich das. Ich habe es, nachdem er endlich fertig war, kurz angespielt. Aber ich sag dir: Das Spiel ist der Hammer!», sagt Johannes, breit grinsend meine Neugier weckend. «In dem Spiel geht es um eine Welt, die du mit deinen Armeen erobern sollst. Zu Beginn des Spiels steht dir eine Festung zur Verfügung, auf der du deine Truppen ausbildest. Du bekommst ebenfalls zu Anfang des Spiels einen besonderen Charakter, mit dem du „Quests“ ausführen kannst. Zusätzlich besitzt dieser Charakter die Fähigkeit, Armeen anzuführen und verleiht ihnen somit einen zusätzlichen Bonus im Kampf. Mit den Artefakten, die du durch die „Quests“ bzw. durch siegreiche Kämpfe gegen andere Armeen eroberst, machst du dich und deine Armeen stärker. Ich sag’s dir: So ein cooles Spiel habe ich bisher noch nicht gesehen.»
«Das Spiel hört sich wirklich interessant an.» erwidere ich interessiert.
«Ja, das ist es auch.» sagt Johannes und fügt hinzu, «Das Interessante an dem Spiel ist auch, dass man es gleichzeitig mit bis zu acht Personen spielen kann. Hey! Meine Eltern sind heute Nachmittag nicht da. Wenn du nichts Besseres vorhast, kannst du gern vorbeikommen und dir das Spiel anschauen.» schlägt Johannes vor.
Von Neugier auf das Spiel getrieben, setze ich zum Sprechen an. Doch im gleichen Augenblick verharre ich kurz und versinke für einen Moment in meinen Gedanken. Nach den Erzählungen von Johannes zu urteilen, macht das Spiel einen soliden Eindruck. Doch die Lust „Krieg der Kriege“ weiter zu spielen, meine Mission zu beenden, lässt mich zögern.
Doch zu meiner Freude erscheint mir plötzlich die Lösung für mein Dilemma vor meinem inneren Auge. «Das hört sich gut an!» sage ich und fahre fort, meinen Lösungsansatz umzusetzen. «Lass uns so gegen 15:00 Uhr bei dir treffen. Vorher bin ich leider etwas verhindert, da ich noch ein paar Dinge mit meinen Eltern zu erledigen habe. Aber um 15:00 Uhr sollte ich wieder frei sein. Was sagst du dazu?» frage ich, meine Eltern als Vorwand benutzend, um etwas Zeit für „Die Helden des Krieges“ zu schinden.
«Ja. Super.» erwidert Johannes und setzt mit mir den Weg zur Schule fort.
Der Schultag beginnt genauso zäh wie sonst auch. Während die Lehrer kommen und gehen, bin ich mit meinen Gedanken bei „Die Helden des Krieges“. Die einzige Abwechslung in dem Schultag bringen einzig die Pausen zwischen den Unterrichtsstunden.
„Hast du schon von dem neuen Spiel gehört? In welcher Mission bist du grade? Wie hast du diese oder jene Mission durchgespielt?“ Die Pause wird intensiv genutzt, um die wichtigsten Tipps und Tricks für die bevorstehenden Gefechte am Nachmittag auszutauschen, damit nach Möglichkeit auch die höchste Punktzahl für jede Mission erreicht werden konnte.
Das Läuten der Pausenglocke markiert dabei nicht nur den Beginn einer neuen Unterrichtsstunde, sondern gleichzeitig auch das Ende jeglichen Interesses an der Schule.
Zu meinem immer wiederkehrenden Erstaunen wirkt der Weg von der Schule nach Hause nicht so lästig wie der Hinweg, obwohl diese sich in keinster Weise unterscheiden.
«Also bis später.» verabschiede ich mich von Johannes an der Einfahrt zu der Mietwohnung von meinen Eltern. «Sollte die Sache mit meinen Eltern schneller zu Ende gehen als erwartet, dann komme ich schon früher zu dir als abgemacht!»
«Alles klar. Kein Problem. Ich werde solange die Zeit nutzen und selbst ungestört von meinem Vater, etwas am Computer zu spielen.» erwidert Johannes und lässt für einen Moment den Kopf hängen. «Ich wünschte, ich hätte meinen eigenen Computer. Genauso wie du. Dann würde mich mein Vater beim Spielen nicht ständig nerven.»
Zu Hause angekommen, werfe ich die Schultasche in die Ecke und gehe in die Küche, wo, wie immer, meine Mutter mit dem Essen auf mich wartet.
«Na, wie war die Schule?» fragt meine Mutter wie gewohnt.
So wie immer, völlig Sinn frei. Doch anstelle dessen höre ich mich erwidern: «Gut! Was gibt es zu Essen?»
«Fisch mit Spinat und Kartoffeln.» erwidert meine Mutter, mit sich selbst zufrieden.
Na super! Du sitzt den ganzen Tag von morgens bis abends zu Hause und bringst nur so etwas wie „Fisch mit Spinat und Kartoffeln“ hervor. Egal. Ich habe besseres vor, als mich noch über dieses Essen zu ärgern. In Gedanken schon längst bei „Die Helden des Krieges“ beginne ich,